ZitatAlles anzeigenBeschlagnahmung von Bettlaken
Wie Hertha BSC in der Krise auf Kritiker reagiert
Matthias Wolf
BERLIN. Hertha BSC hat sofort reagiert. Auch nach dem Abschalten des Fan-Forums muss der Besucher der Internetpräsenz des Klubs nicht auf Meinungen aus dem Volk verzichten. Mit "Vielen Dank" ist die nette Rubrik überschrieben, in der nur noch jene zu Wort kommen, die trotz des sportlichen und finanziellen Niedergangs alles bestens finden und Manager Dieter Hoeneß für seine Verdienste loben. Damit bietet die Homepage nun wenigstens ein einheitliches Bild, weil zuvor schon Kolumnen peinlich berührten, in denen die Misere verklärt und die Kritiker attackiert wurden; darunter Prominente wie Berti Vogts, der vom Vereinsschreiber verunglimpft wurde. Doch es scheint fraglich, ob der Krisenklub mit den Maßnahmen sein Ziel erreicht. Die Fans machen mobil für das Spiel in Bremen. Sie wollen vor allem Hoeneß einen unangenehmen Empfang bereiten - sofern man sie lässt.
"Vor dem Spiel werden die Drähte zwischen der Hauptstadt und Bremen noch ordentlich glühen", glaubt Felix Obergföll vom Fanklub Harlekins. Er vermutet, dass Herthas Vereinsführung versuchen wird, auch den Bremer Ordnungsdienst zu instrumentalisieren. So, wie das im Olympiastadion der Fall ist, wo laut Marco Wurzbacher, dem Betreiber des Fanforums Hertha-inside (ab dem Wochenende auf einer privaten Plattform wieder zu erreichen), längst "das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung außer Kraft gesetzt wurde". Und wo es nur unter Schwierigkeiten gelingt, Plakate aufzuhängen, die sich gegen die Vereinsführung richten. Der Chemiestudent Michael Müller (20) hat versucht, beim Heimspiel gegen den 1. FC Köln seine Meinung zu artikulieren. "Nur eine sportliche Krise? Ihr seid die Krise!" malte er auf ein Laken. Abgenommen wurde es ihm mit den Worten: "Das wünscht der Veranstalter nicht." Müller lässt sich nicht unterkriegen. Das Auswärtsspiel, so hofft er, sei seine Chance, "endlich wieder zeigen zu können, was ich denke". Allerdings muss offiziell jedes Transparent vorab bei Herthas Fanbetreuern angemeldet werden. Aus Brandschutzgründen, heißt es.
Müller gehört zu jenen Anhängern, die mit Stofffetzen, Kartonschablonen und Sprühdosen auch jene Schals produzieren, auf denen eine simple Botschaft steht: "Hoeneß raus!" 800 Exemplare sind für Bremen gefertigt.
"Wir lassen uns nicht den Mund verbieten", sagt Obergföll (26), ein Bankkaufmann. "Es gilt in Berlin seit Jahren das Totschlagargument, wer den Verein kritisiert, der schadet ihm", sagt er just an jenem Tag, an dem die Geschäftsführer Hoeneß und Schiller ein Umschuldungsmodell vorstellen - und ergänzt: "Aber schaden nicht in Wahrheit all jene dem Verein, die Schuldenberge auftürmen und so die Zukunft gefährden?"
Fragen, die er und andere Hertha-Harlekins schon vor dem Heimspiel gegen den FC Bayern Anfang Februar auf 2 000 Flugblätter druckten, als noch nicht klar war, dass der Klub sich zum schlechtesten Rückrundenteam wandeln würde. Schon damals wurden sie an den Pranger gestellt, sagt Obergföll: "Dabei geht es denen, die Hertha lieben, nur darum, das Duckmäusertum, den Starrsinn in einem Verein mit Alleinherrscher endlich aufzubrechen."
Doch beim Hauptstadtklub sind sie dünnhäutig geworden. Zwei Beispiele: Kapitän Arne Friedrich nennt auf der Homepage in einer Stellungnahme der Mannschaft den Bericht einer Zeitschrift, wonach es um die Autorität des Trainers Falko Götz nicht mehr zum Besten bestellt ist, eine "absolute Unverschämtheit". Ein langjähriges Mitglied, Dauerkarteninhaber, das mit einem offenen Brief an Dieter Hoeneß und per Mail beim Verein Kritik übte, erhielt von Pressesprecher Hans-Georg Felder die Rückantwort, man könne "nur Fans gebrauchen, die den Verein unterstützen, die anderen werden ausgegrenzt". Auch juristische Schritte wurden besonders hartnäckigen Kritikern bereits angedroht. Wie Hertha BSC derzeit mit seiner zahlenden Klientel umgehe, sei "das Dümmste, was der Verein tun kann", glaubt Obergföll. Der Verein zerstöre sein Image als Volksklub.
Bisweilen nimmt die Angst vor unliebsamen Meinungen auch skurrile Ausmaße an. Schalkes Fans erlebten dies beim Gastspiel im Olympiastadion. Auf die Tatsache, dass Hertha es nötig hat, seine Eintrittskarten für 7,77 Euro bei einem Discounter zu verkaufen, wollten sie mit einer Plastiktüten-Choreografie reagieren. Am Ende sah man große Löcher in der Choreografie: Die Ordner von Hertha hatten mal wieder ihr Bestes gegeben.
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Quelle: Berliner Zeitung
ZitatAlles anzeigenFragen der Zensur
Eine "dünnhäutige" Hertha schließt das Fanforum, weil es Schmähungen gegen den Manager enthalten habe
BERLIN taz Es ist derzeit nicht viel in Ordnung bei Hertha BSC. Die Führungsgremien des Vereins haben Falko Götz zwar das Vertrauen ausgesprochen, obwohl die Mannschaft keines der letzten 13 Pflichtspiele hat gewinnen können. Was aber geschehen soll, wenn auch die nächsten Partien - am Samstag spielen die Berliner in Bremen - verloren werden, das weiß wohl derzeit keiner so genau im Management. Für viele Anhänger ist diese Situation unerträglich. Seit Wochen schimpfen sie im Internet, im Forum der Hertha - über den Trainer, die Spieler, vor allem aber über Dieter Hoeneß, den Manager. Am Dienstag hatte der Klub genug davon. Das Forum wurde aus dem Netz genommen.
"Das war nur noch Schmutz, der dort abgeladen wurde", sagt Hans-Georg Felder, der Pressesprecher des Vereins. Er spricht von Beleidigungen und Morddrohungen, die nicht mehr zu ertragen gewesen seien. "Herr Hoeneß hat das Forum zwar nicht gelesen", so Felder, aber man spreche natürlich über die Inhalte. "Sie können sich vorstellen, dass das Herrn Hoeneß sehr nahe geht." Schon vor Wochen habe man die Fans zur Mäßigung aufgefordert. Zunächst im Forum selbst. Am letzten Wochenende dann wurde die Gemeinde im Stadionheft ermahnt.
Das Forum soll bald wieder zugänglich sein. Marco Wurzbacher, der im Auftrag von Hertha BSC die Online-Diskussionen betreut hat, will es nun privat weiter betreiben. Er bezeichnet die Hertha-Führung als "extrem dünnhäutig". Seit zwei Jahren organisiert und überwacht er alles, was von den Fans bei http://www.herthabsc.de ins Netz gestellt wird. Er gibt zu, dass es in den letzten Wochen immer deftiger zugegangen sei. Auch Morddrohungen habe es gegeben. Aber die seien "zeitnah entfernt" worden. Es war seine Aufgabe, als Administrator darüber zu wachen, dass üble Ausfälle in den Äußerungen der Fans gelöscht wurden. Wurzbacher vermutet den Grund für das Abschalten des Forums in der mangelnden Fähigkeit der Vereinsführung, mit Kritik umzugehen: "Gegensätzliche Meinungen sollten nicht mehr vertreten sein." Das sei aber das Prinzip eines Forums. Auf den Homepages fast aller Bundesligisten könne man dies nachprüfen. Dort werde das Internet als Marktplatz unterschiedlicher Meinungen begriffen.
Nicht so bei Hertha. Wurzbacher spricht sogar von Zensur. Die finde bei Hertha nicht nur im Netz statt. Auch kritische Spruchbänder seien verboten worden. In der Kurve darf schon lange nicht mehr gezeigt werden, was die Fans wollen. In jedem Bundesligastadion müssen Transparente durch den gastgebenden Verein genehmigt werden. Hertha sortierte, so Wurzbacher, weit mehr aus als nur aufgepinselte Verbalinjurien. Beim Heimspiel gegen Köln seien mehrere Hoeneß-kritische Sprüche der Zensur zum Opfer gefallen. Donato Melillo, der als Fanbetreuer von Hertha BSC an der Schnittstelle zwischen Fans und Vereinsführung arbeitet, mag das so nicht bestätigen. Das größte Transparent vom vergangenen Wochenende, eine zwei mal 40 Meter lange Stoffbahn, sei genehmigt worden, obwohl sie alles andere als nett gewesen sei: "Manager, Trainer, Mannschaft - Wir geben alles für Hertha? Leere Worte - leere Kurve", prangte über dem Fanblock, in dem die meisten Fans aus Protest gegen das Management erst 15 Minuten nach Anpfiff ihre Stammplätze aufgesucht haben. Für Melillo gibt es kein Demokratiedefizit bei Hertha, sagt er.
Wurzbacher hofft nun, dass die Fans beim Gastspiel in Bremen endlich zeigen können, was sie schon eine Woche vorher aufgemalt haben. Dort hat Werder Hausrecht - und wird wohl die Spruchbänder genehmigen.
ANDREAS RÜTTENAUER
Quelle: TAZ