Knapp zwei Jahre nach seinem Erstling „Mauergewinner“ kommt Mark Scheppert mit seinem Zweitwerk „90 Minuten Südamerika“ um die Ecke. Aber genau das, was der Titel suggeriert, soll dieses Buch nicht sein, denn Scheppert selbst sieht sich eher als Nummer 1 der Auslands-Supporter vor dem TV oder als Mann mit unnützem Halbwissen ohne Livespielpraxis, der deshalb schlichtweg nicht das Recht hat, ein Fußballbuch zu schreiben. Aber auch für einen Reiseroman ist er der Falsche: Der 39Jährige bezeichnet sich indes als König der sinnlos durch die Weltgeschichte reisenden Menschen. Als Mann mit den nutzlosen roten Punkten auf seiner imaginären Karte, der es nicht schafft, das Gesehene zu reflektieren, zu verstehen und richtig zu deuten und stattdessen auf seinen Touren zu viel Zeit mit unwichtigem Scheiß wie Saufen und Fußballglotzen verwendet. Nun steht unter diesem Review aber dennoch die Höchstnote. Irgendwas muss Scheppert also richtig gemacht haben. Zum einen betreibt der Autor natürlich gnadenloses Understatement. Denn obwohl „90 Minuten Südamerika“ weder ein reiner Fußball- noch Reiseroman ist, kann es dennoch den Freunden beider Genres empfohlen werden. Darüber hinaus ist es ebenso ein Geschichts- oder Liebesroman und handelt an zahlreichen Stellen zudem von der Selbstreflexion des sympathischen Berliners oder seinem lange gespaltenen Verhältnis zum neuen Heimatland, der Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung. Ja, besonders die letzten beiden Punkte sind sogar das Rückgrat der 150 Seiten. Alles beginnt am 8. Juli 1990 symbolträchtig auf der Oberbaumbrücke, die die Stadtteile Friedrichshain (Ost) und Kreuzberg (West) miteinander verbindet. Hier sitzen Scheppert und seine Freunde am Abend des WM-Finals, das ihm herzlich am Arsch vorbeigeht, während er als Ossi von fernen Welten, anderen Bier- und Musiksorten und fremden Frauen träumt. Wie ein roter Faden ist das Buch anschließend in Kapitel unterteilt, die die Jahreszeiten der Welt- und Europameisterschaften tragen. Scheppert ist im Grunde während all dieser Fußball-Großereignisse mit seinen Freunden oder jeweils aktuellen Partnerinnen in Lateinamerika unterwegs und schildert seine Reiseerlebnisse in losem Zusammenhang mit dem parallelen Geschehen auf dem grünen Rasen in mehreren tausend Kilometern Entfernung. Und gerade die scheinbar lapidaren Erlebnisse – eben rund ums Biertrinken, Musik oder einheimischer Kultur, manchmal auch unter Lebensgefahr – erscheinen mit einer Leichtigkeit, die viel mehr berührt und deutlich mehr Fernweh weckt, als es die detaillierte Beschreibung der bereisten Sehenswürdigkeiten geschafft hätten. Vielleicht ist das sogar eines der Geheimnisse des Buches – die Stippvisiten z.B. von Machu Picchu oder des Titicacasees werden durchaus eindringlich beschrieben, aber eben nie ohne persönliche Note, die das eigentlich Lesenswerte sind, ob es sich nun um irgendwelche Rennereien-Spielchen mit pinken Handtaschen von einheimischen Jugendlichen dreht, ums Biertrinken oder schlichtweg nur um Backpackerscheiße, Sex an mystischen Orten und der Suche nach dem Glück mit der holden Weiblichkeit generell. Scheppert schildert seine Reisen genauso, wie sie aus seiner Perspektive tatsächlich stattgefunden haben. Und das entfacht beim Leser eine unglaubliche Reiselust. Ob das alles nutzlos ist oder zu wenig reflektiert wird, wie der Autor eingangs selbst erwähnt, ist dabei vollkommen irrelevant. Denn das Lesen macht Spaß und wirkt jederzeit authentisch. Und nicht zuletzt ist auch eine ganze Menge Fußballbezug im Spiel. Auf seinen zahlreichen Reisen entdeckt Scheppert schließlich immer mehr sein Herz für die deutsche Nationalmannschaft. Er jubelt zu Unzeiten am anderen Ende der Welt über WM-Siege und ist 2006 verdammt stolz, dass die positiven Dinge, die rund um den Globus durch die Medien gehen, in seiner Heimatstadt passieren. Der Kreis schließt sich letztlich, als er bei Vasco da Gama gegen Flamengo auch endlich sein erstes Spiel auf südamerikanischem Boden erlebt. Und, als ihm 2010 endgültig ein Bekenntnis zu seinem Heimatland über die Lippen kommt. Passenderweise in Madrid, am Abend eines weiteren WM-Endspiels, fast auf den Tag genau 20 Jahre nach dem anfangs geschilderten Abend auf der Oberbaumbrücke…
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