Kino, Fernsehen, ist jemand dafür zu haben?
Dienstags ist Kinotag in Brandenburg, also können sich auch sozial schwächelnde Personen wie ich einmal für dreifuffzich einen der aktuellen Streifen zu Gemüte führen. Meine Wahl fiel auf Sönke Wortmanns „Das Wunder von Bern“. Während dieser Film in den aktuellen Kinocharts immerhin Platz 2 belegt, gab es am gestrigen Abend, wie so oft, eine Enttäuschung in Brandenburg, denn nur ca. 20 Leutchen fanden sich zu dieser Vorstellung ein, um den Triumph der Deutschen noch einmal zu erleben. Prügelstreifen a la „Kill Bill“ waren dagegen deutlich höher frequentiert. Leider waren unter den Anwesenden ein paar notorische Dauererzähler, die ihren Abend wohl besser in einer der anliegenden Kneipen verbracht hätten, sowie eine Dame, die ständig den Geruch im Kino 4 bemängelte. So etwas werde ich nie kapieren, und meine Schuhe zog ich auch nicht wieder an... Nachdem also etwas über die Luftverschmutzung diskutiert wurde und man sich einer fünfzehnminütigen, nervenaufreibenden Werbeattackierung aussetzen musste (nach dem Spot werde ich garantiert eine Weile lang kein Langnese- Eis essen...), konnte das Spektakel beginnen.
Neben der altbekannten Geschichte der Vorrunden- Blamage der Deutschen gegen Ungarn, sowie der Aufholjagd eben gegen diese Ungarn, die letztendlich zum ersten Weltmeister- Titel führte, beleuchtet der Film parallel den Konflikt zwischen dem, nach zwölfjähriger russischer Gefangenschaft, traumatisierten Kriegsheimkehrer Richard Lubanski (Peter Lohmeyer) und seiner Familie. Zurück in der Essener Bergarbeitersiedlung ist er von den Anforderungen, die Familie und Umwelt an ihn stellen, nicht mehr gewachsen. Immer wieder kommt es zwischen ihm und seinen Familienmitgliedern zum Eklat. Vor allem sein jüngster Sohn Matthias (Louis Klamroth) findet keinen Kontakt zu ihm, denn dieser hat im Essener Stürmer Helmut Rahn (Sascha Göpel), dem er die Sporttasche tragen darf, einen Ersatzvater gefunden. Während sich die Nationalelf in der Schweiz durch die Spiele schlägt, kommt sich die Familie allmählich näher und beginnt, über die schreckliche Zeit, die sie durchlebt hat, miteinander zu reden. Und auch eine dritte Handlung fügt Regisseur Wortmann geschickt in den Film ein. Sie handelt von einem Reporter, der von seiner Redaktion zur Berichterstattung der Weltmeisterschaft zu den Eidgenossen geschickt wird. Seine Frau, wenig begeistert, da sie in diesem Zeitraum ihre Hochzeitsreise planten, entschließt sich kurzerhand, ihn zu begleiten. Natürlich ist sie dem Spiel mit dem runden Leder anfangs sehr abgeneigt, doch wächst ihre Begeisterung zunehmend bis zum Endspiel und sie begegnet uns mit der liebenswert- naiven Art, die Frauen oft an den Tag legen, wenn sie versuchen wollen, Fußball zu „verstehen“. So kämpfen wir uns durch die verschiedenen Schicksale in den einzelnen Handlungen, die sich immer wieder begegnen. Wir erfahren von Helmut Rahns Sorge und Frust darüber, nicht aufgestellt zu werden, von der Kameradschaft zu seinem Zimmergenossen Fritz Walter (Knut Hartwig), des weiteren erleben wir einen raubeinigen und doch herzlichen und väterlichen Sepp Herberger (Peter Franke), und die (fiktive?) Entstehungsgeschichte des weltberühmten Zitats („Der Ball ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten“). Und auch Matthias macht sich mit seinem Vater, der seine tief vergrabenen Gefühle wieder zulässt, auf den Weg in die Schweiz, denn sein Idol Helmut Rahn kann die entscheidenden Spiele ohne ihn nicht gewinnen. Ihren Showdown finden die einzelnen Charaktere natürlich am 4. Juli 1954 im Berner Wankdorf- Stadion. Prachtvoll zeigt es sich uns in nostalgischem Charme. Spätestens hier möchte man selbst auf den Rängen stehen, auch wenn wir wissen, dass die Zuschauer später mit dem Computer um das Spielfeld, welches allerdings tatsächlich existierte, hineinanimiert wurden. Die Geräuschkulisse dazu wurde übrigens im Dortmunder Westfalenstadion auf der Südtribüne aufgenommen. Bei den Spielzügen wurde mit viel Liebe zum Detail gearbeitet, so dass wir jetzt die originalen Ballberührungen bewundern dürfen. Auch Reporter Herbert Zimmermann (brilliant von Andreas Obering gespielt) darf hier nicht fehlen, genauso wenig wie sein legendärer Ausruf: „Kopfball, abgewehrt, aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen... Rahn schießt! Tor! Tor! Tor! Tor!”, und: „AUS! AUS! AUS! DAS SPIEL IST AUS! Deutschland ist Weltmeister!!! Schlägt Ungarn drei zu zwei!“. Nun liegt man sich auch in Essen in den Armen, das Leben ist nicht mehr so schwer und wir schauen wieder nach vorn anstatt zurück. Ein Fußballspiel hat einer Nation sein Selbstbewusstsein zurückgegeben und ein kleiner Junge darf wieder einen Vater haben. Gefühle pur. Nun erinnere ich mich plötzlich, wie ich heulte, als Deutschland 1990 Weltmeister wurde und ich einen einsamen Franz Beckenbauer über den Platz gehen sah...
Fazit: Ein interessanter und emotionsgeladener Film mit beeinduckenden Bildern aus der Armut des Ruhrgebietes der Fünfziger, die im krassen Gegensatz zur eher kitschig anmutenden Idylle der Schweiz stehen, und zudem ein wertvolles Stück Nachkriegsgeschichte. Für mich der beste deutsche Film, der Fußball thematisiert, nachdem ich gute Filme aus diesem Genre nur von englischen Machern kannte. Und natürlich ein Film für Fußballliebhaber und Nostalgiker, und nicht nur für die...