Artikel Tagesspiegel: Lebensretter mit Pfeife

  • vom 15.11.2010

    http://www.tagesspiegel.de/spo…r-mit-pfeife/2619746.html


    Immer montags werfen wir einen Blick auf den Berliner Fußball. Heute: Ein dramatischer Zwischenfall beim Kreisliga-B-Spiel zwischen Rotation Prenzlauer Berg und Eiche Köpenick macht einen Schiedsrichter zum Lebensretter.


    Plötzlich schossen Schiedsrichter Torsten Rudolph die alten Bilder wieder in den Kopf. Damals, vor acht Jahren, als er schon einmal auf einem Sportplatz kniete und um das Leben eines jungen Mannes kämpfte. Ein Spieler war verunglückt und hatte seine Zunge verschluckt. Rudolph holte sie wieder hervor, doch es gelang ihm nicht, gegen die Verkrampfung anzukämpfen, obwohl er dem Verunglückten sogar gezielt den Kiefer brach. All sein Einsatz war umsonst, der junge Mann starb noch in seinen Armen. Jetzt, am vergangenen Samstag, auf dem Sportplatz an der Dunckerstraße in Prenzlauer Berg, findet sich Rudolph plötzlich in der gleichen Situation wieder.


    Was ist passiert? In der 83. Minute des Kreisliga-B-Spiels zwischen Rotation Prenzlauer Berg und Eiche Köpenick kommt es zum Laufduell zwischen dem Köpenicker Benjamin Viezens und einem Gegenspieler. Die beiden geraten ins Straucheln und stürzen, Viezens knallt mit dem Hinterkopf auf den harten Kunstrasen und bleibt regungslos liegen. Schiedsrichter Rudolph erkennt sofort den Ernst der Lage und läuft zu dem Spieler, der bereits blau angelaufen ist.
    "Zunge verschluckt", schießt es dem Schiedsrichter sofort durch den Kopf, dann setzt er geistesgegenwärtig die Notmaßnahmen an. Mit gekonntem Griff und hohem Kraftaufwand holt er die Zunge wieder hervor und presst seine Daumen drauf, um ein erneutes Abrutschen um jeden Preis zu verhindern. Viezens kommt wieder zu Bewusstsein, die Kiefermuskulatur verkrampft automatisch. Über 15 Minuten lang hockt Rudolph so da, seine Faust im Mund des jungen Mannes, mit seinen Fingern kämpft er gegen die Kieferkraft des 21-Jährigen an. Neben ihm knien die Trainer der beiden Mannschaften und helfen mit, den Kopf des Verletzten zu fixieren. "Wenn er mir die Finger abgebissen hätte, wäre es mir auch egal gewesen", so Rudolph. Er kennt nur noch einen Gedanken: "Wenn die Zunge zurückrutscht, stirbt der Junge".
    Diesmal gelingt es dem Reinickendorfer, den Zustand des Verletzten stabil zu halten, bis der Rettungsdienst eintrifft und ihn ablöst. Viezens kann gerettet werden, er wird mit einer schweren Gehirnerschütterung ins Krankenhaus gebracht. Einige Mitspieler begleiten ihn. Bereits am Sonntagabend verlässt er die Klinik und hat außer Kopfschmerzen keine Folgeschäden. Dennoch soll er in dieser Woche noch einmal gründlich untersucht werden.
    An Fußball ist auf der Dunckerstraße am Samstagnachmittag nicht mehr zu denken, das Spiel wird abgebrochen. "Ich war ganz schön mitgenommen, schließlich hatte ich gerade zwanzig Minuten lang das Leben eines Menschen in der Hand. Außerdem kamen all die Erinnerungen von damals wieder hoch." so Rudolph. Auch die Mitspieler und Verantwortlichen der beiden Mannschaften stimmen dem Spielabbruch zu. "Alle Beteiligten haben sich super verhalten, jeder dachte nur noch an das Menschenleben und nicht mehr an Fußball", zeigt sich Sven Pansegrau, Trainer des TSV Eiche Köpenick, dankbar. Noch am Abend schreibt er im Diskussionsforum auf der Internetseite seines Vereins: "Der unglückliche Zusammenprall von Benni und die Bewusstlosigkeit von ihm haben mir totale Angst gemacht. Ich bin völlig fertig und fassungslos."
    Lebensretter Torsten Rudolph, hauptberuflich für einen Reinickendorfer Obst- und Gemüse-Vertrieb tätig und seit 21 Jahren Schiedsrichter in den Berliner Kreisligen, kann zwar die ganze Nacht zu Sonntag nicht schlafen, steht aber trotzdem am nächsten Tag schon wieder mit der Pfeife auf dem Fußballplatz. "Nach dem tragischen Unfall vor acht Jahren brauchte ich eine Auszeit und ging in psychologische Betreuung. Diesmal wollte ich mich einfach ablenken und zur Normalität zurückkehren". Gestärkt von seinen Erfahrungen von damals und vor allem von seiner Freundin glaubt er, den erneuten Vorfall gut verarbeiten zu können. "Ich habe den nötigen Rückhalt meiner Familie, außerdem liebe ich den Fußball zu sehr, um jetzt einfach aufzuhören", gibt sich der Schiedsrichter tapfer.
    Die Beteiligten der beiden Klubs sind sich jedenfalls einig, dass nur dank des beherzten Eingreifens des Spielleiters Schlimmeres verhindert wurde. "Er hat komplett gewusst, was zu tun war, das haben die Rettungskräfte hinterher auch bestätigt", teilt Sven Pansegrau mit. Einen Erste-Hilfe-Kurs hat Rudolph laut eigener Aussage jedoch nie besucht, das nötige Wissen habe er sich selbständig angeeignet, "schließlich kann so etwas beim Fußball ja immer passieren." Eine vorbildliche Einstellung, die dem jungen Köpenicker Viezens wohl das Leben rettete. Dessen Trainer bringt die Dankbarkeit aller Betroffenen auf den Punkt: "Wir können uns alle sehr glücklich schätzen, dass wir heute als Schiri einfach den richtigen Mann hatten."
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    Ein Vorbild für jedermann, danke Torsten Rudolph :!:

  • Danke das ihr hier das auch thematisiert. Ich hatte leider noch keine Zeit dafür.


    Ja es war eine heldenhafte Tat von Herrn Rudolph. Ich bin ihm sehr zu Dank verpflichtet. Alleine hätt ich das nicht geschafft....


    Es läuft gleich ein Bericht bei RBB (Zibb) um 18.30 Uhr darüber.


    Ich hoffe er bekommt eine Auszeichnung als Lebensretter dafür (BFV, DFB oder die Stadt Berlin...).

  • Zuerst dachte ich, dass da medial mal wieder eine Kleinigkeit aufgebauscht wurde (vor allem mit der Vorgeschichte, dass der Schiedsrichter bereits vor acht Jahren eine ähnliche Situation erlebt hat)...


    Aber jetzt bleibt mir einfach nur zu sagen: Respekt an den Herrn Rudolph für sein beherztes Eingreifen. Ich hätte wohl nicht gewusst, was in so einem Fall zu machen ist.


    Natürlich auch gute Besserung an den verunglückten Spieler.

  • man man man bei der geschichte klappt einem erstmal die kinnlade runter....auch wenn es aufm fußballplatz passiert ist: ganz großes Tennis vom schiri!!! respekt dafür!


    an dieser stelle dann natürlich die aufforderung an vertreter dfb bfv und co. diese leistung nicht unbeachtet zu lassen. natürlich hoffe ich auf eine baldige genesung des betroffenen spielers. :bindafür:

  • Nachtrag...


    Benjamin hat nach der Auswertung der CT keine Schädigung des Gehirns er- bzw. behalten und wird nach einer Erholungspause (2-4 Wochen) weiterhin Fussball spielen können und wollen.


    Danke nochmal für eure Genesungswünsche. Das zeigt doch trotz aller Rivalitäten das wir eine große Fussballfamilie sind....

  • Hier nochmal das Interview!!!



    Lebensretter mit Pfiff
    Ein dramatischer Zwischenfall bei einem Spiel der Kreisliga B machte einen Schiedsrichter zum Lebensretter.


    Eigentlich verlief die Fußballpartie Rotation Prenzlauer Berg gegen Eiche Köpenick in der Kreisliga B wie jede andere. Kurz vor Schluss stand es 3:4 für den Gastverein. Dann ein dramatischer Zwischenfall. Bei einem Zweikampf in der 83. Spielminute fällt der Köpenicker Spieler Benjamin V. unglücklich auf den Hinterkopf und bleibt bewusstlos liegen. Er hatte seine Zunge verschluckt. Torsten Rudolph war Schiedsrichter dieser Begegnung. Dank des geistesgegenwärtigen Eingreifens und den eingeleiteten Erste-Hilfe-Maßnahmen des Unparteiischen hat der 21-jährige Köpenicker den Unfall überlebt. BFV-Pressesprecher Kevin Langner traf sich mit dem 43-jährigen Schiedsrichter vom SC Borsigwalde, um über das Erlebte zu sprechen.


    BFV: Herr Rudolph, Sie sind seit 18 Jahren Schiedsrichter und haben sicherlich schon viel auf Berlins Fußballplätzen erlebt. Das ein Spieler so verunglückt, ist zum Glück die Ausnahme, oder?


    Torsten Rudolph: „Ich weiß nicht, ob es Schicksal ist. Aber genau eine solche Situation habe ich bereits vor acht Jahren erlebt. Bei einem Kopfballduell prallen zwei Spieler mit den Köpfen zusammen. Der eine erlitt eine Platzwunde und der andere blieb bewusstlos liegen. Wie sich später herausstellte, hatte der Spieler seine Zunge verschluckt. Zwar konnte man den Spieler damals helfen, doch auf dem Weg ins Krankenhaus verstarb der Spieler. Im Nachgang erfuhr ich, dass der Spieler einen schweren Herzfehler hatte und durch den Unfall einen Kreislaufzusammenbruch erlitt. Das war dann zu viel für das Herz.“


    BFV: Wie verarbeitet man ein solches Erlebnis?


    Rudolph: „Es war damals sehr schwer. Ich habe ein Vierteljahr mit dem Pfeifen pausiert und mich in psychologische Behandlung begeben. An eine Rückkehr auf dem Fußballplatz war nicht zu denken.“


    BFV: Nach der Pause sind Sie dann auf den Fußballplatz zurückgekehrt.


    Rudolph: „Irgendwann musste und wollte ich wieder zurück in die Normalität. Aber seit diesem Erlebnis habe ich meine Spiele anders geleitet. Auch nach acht Jahren schaue ich noch genau bei verletzten Spielern hin, ob diese sich bewegen. Es klingt komisch. Aber wenn ein Spieler vor Schmerzen aufschreit oder sich die Verletzung hält, dann weiß ich zumindest, dass er bei Bewusstsein ist.“


    BFV: Dann wurden Sie bei Rotation Prenzlauer Berg in der Kreisliga B angesetzt. Auf dem Papier war es ein Spiel wie jedes andere, oder?


    Rudolph: „Ich habe mich im Vorfeld sehr auf das Spiel gefreut. In beiden Mannschaften kenne ich vereinzelt Spieler, so dass die Vorfreude auf das Wiedersehen mit alten Bekannten sehr groß war.“


    BFV: Wie verlief das Spiel bis zur 83. Spielminute?


    Rudolph: „Es war ein spannendes Spiel. Köpenick führte 0:3 und Rotation als Heimverein versuchte alles daran zu setzen, den Rückstand aufzuholen. Irgendwann stand es dann 3:3, bis zur 83. Spielminute führte Eiche Köpenick 3:4.“


    BFV: Was passierte dann?


    Rudolph: „Rotation Prenzlauer Berg war im Angriff. Dann kam es Mittelfeld zu einem Zweikampf zwischen dem Köpenicker Spieler Benjamin V. und einem Gegenspieler. Der Köpenicker fällt dabei unglücklich mit dem Hinterkopf auf den Kunstrasen und blieb regungslos liegen. Ich bin sofort hingelaufen und als ich sah, dass der Spieler blau anlief, schossen mir wieder die alten Bilder in den Kopf. Mir war sofort klar, dass der Spieler die Zunge verschluckt hatte.“


    BFV: Wir haben Sie reagiert, als Ihnen bewusst wurde, dass der Spieler keine Luft mehr bekommt?


    Rudolph: „Ich habe gar nicht groß nachgedacht. Alle alten Erinnerungen waren sofort wieder präsent. So war ich mir im Klaren, dass der Spieler erstickt, wenn wir nicht reagieren. Also bat ich die herbeigeeilten Betreuer um Hilfe. Der Kiefer von Benjamin war verkrampft, so dass wir nicht an die Zunge kamen. Als wir dann den Mund einen Spalt öffnen konnten, holte ich mit dem Zeigefinger die verschluckte Zunge hervor. Da aber auch die Zunge verkrampfte, musste ich die ganze Zeit den Finger auf ihr lassen, damit sie nicht noch einmal verschluckt wird.


    BFV: Wann traf der Notarzt ein?


    Rudolph: „Das dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Nach ca. 25 Minuten trafen dann die Rettungskräfte ein und betreuten Benjamin. Da sind mir mehrere Brocken vom Herzen gefallen!


    BFV: Und in der Zwischenzeit? Was ging Ihnen da durch den Kopf?


    Rudolph: „Nicht viel. Mir war es nur wichtig, dass die Zunge nicht wieder zurückrutscht. Nachdem Benjamin wieder zu sich kam, habe ich ihm immer wieder beruhigend zugerufen, dass er nicht schlucken darf, weil mir sonst die Zunge wegrutscht. Der Kiefer war immer noch verkrampft. Außerdem orderte ich Decken und Jacken. Schließlich regnete es und der Spieler lag auf dem kalten Boden.“


    BFV: Wie verhielt sich das Umfeld?


    Rudolph: „Natürlich bildete sich eine Traube von Schaulustigen. Als diese aber sahen, dass die Rettungsmaßnahmen eingeleitet waren, kam keine Panik auf. Es war ruhig, fast schon eine unheimliche Stille.“


    BFV: Was ging in Ihnen vor, als die Rettungskräfte Ihnen versicherten, dass Sie alles richtig gemacht haben?


    Rudolph: „Ich war fix und alle. Mir schossen die Tränen in die Augen. Ich war froh, dass der Spieler den Unfall überlebt hat.“


    BFV: Haben Sie eigentlich in irgendeiner Sekunde über Ihr Handeln nachgedacht?


    Rudolph: „Nein, keinen Moment. Das war alles instinktiv.“


    BFV: Woher wussten Sie dann, welche Maßnahmen in einem solchen Fall eingeleitet werden müssen?


    Rudolph: „Ich hatte vor Jahren einen offenen Schienbeinbruch. Damals wurde mein Interesse an Sportverletzungen geweckt. Ich wollte wissen, was meine Verletzung bedeutet und wie die Regeneration unterstützt werden kann. Da habe ich viel im Internet gesurft. Irgendwann bin ich dann auf das Thema "Zunge verschlucken" gestoßen. Dass ich dieses Wissen noch einmal eines Tages abrufen muss, war natürlich nicht geplant.“


    BFV: An eine Fortsetzung des Spiels war nicht mehr zu denken, oder?


    Rudolph: „Ich teilte den beiden Trainern mit, dass ich mich nicht mehr in der Lage sah, das Spiel ordnungsgemäß zu beenden. Ich war froh, dass beide Mannschaften das genauso sahen. Nach diesem Vorfall dachte keiner mehr an Fußball. Bei so einem Erlebnis wird alles andere zur Nebensache.“


    BFV: Wie haben Sie das Erlebnis verarbeitet?


    Rudolph: „Meine Freundin Simone war ein großer Rückhalt für mich. Sie hörte mir zu und half mir, den Vorfall zu verarbeiten.“


    BFV: Viele sprechen davon, dass Ihr Verhalten eine Heldentat war. Sind Sie ein Held?


    Rudolph: „Das haben mich die Tage schon einige gefragt. Ich fühle mich nicht als Held. Ich freue mich, dass ich durch mein Handeln einen jungen Menschen das Leben gerettet habe. Deswegen würde ich mich aber nicht als Held bezeichnen.“


    BFV: Haben Sie nach den Vorfällen Kontakt zu Benjamin V. gehabt?


    Rudolph: „Nein, leider bisher noch nicht. Ich habe aber vom Köpenicker Trainer erfahren, dass eine Gehirnerschütterung diagnostiziert wurde und Benjamin auf dem Weg der Besserung ist. Ich wünsche ihm schnelle Genesung.“


    BFV: Ihr beherztes Eingreifen wirft die Frage auf, ob nicht alle Schiedsrichter einen Erste-Hilfe-Kurs besuchen müssten. Wäre dieses eine sinnvolle Maßnahme?


    Rudolph: „Ich weiß nicht, ob alle Schiedsrichter so wie ich reagieren würden. Regeltechnisch sind wir Schiedsrichter angehalten, die Betreuer auf das Feld zu rufen. Wenn diese aber keine Erste-Hilfe-Ausbildung haben, dann ist dem verletzten Spieler kaum geholfen. Gerade den unteren Klassen ist die medizinische Versorgung qualitativ schlechter, als in den oberen Spielklassen. Hier könnte man vielleicht ansetzen und über die Schiedsrichter, aber auch die Trainer und Betreuer eine Möglichkeit schaffen, damit solche Taten keine Einzelfälle bleiben. Ich will aber zu bedenken geben, dass ein Eingreifen aber auch immer ein Typenfrage ist. Andere Menschen würden in der Situation anders reagieren und man kann es ihnen nicht verübeln.“


    BFV: Am Sonntag nach den Vorfällen standen Sie wieder als Schiedsrichter auf dem Platz. War es ein komisches Gefühl?


    Rudolph: „Nein, ich sah hierin die beste Therapie, um wieder Normalität einkehren zu lassen. Außerdem traf ich durch Zufall den Spielansetzer auf dem Sportplatz. Er informiere mich, dass das vorzeitig beendete Spiel Anfang Dezember wiederholt wird. Ich habe mich sofort bereit erklärt, das Spiel als Schiedsrichter zu leiten.“