Noch bis Ende September ist in Königshütte (Chorzów) eine Ausstellung über Oberschlesier in der polnischen und deutschen Nationalmannschaft zu sehen:
http://www.haus.pl/de/opis/projekt_05_06a.html
Ich vermute mal, dass man die Ausstellung später auch noch in Deutschland zu sehen bekommt, eventuell im Oberschlesischen Landesmuseum Ratingen.
Zum größten oberschlesischen Fußballer Ernst Willimowski hatte ich zu seinem 85. Geburtstag einmal einen Zeitungsbericht geschrieben, den ich hier mal als Apetithappen für die Thematik hineinstelle, wenngleich ich mit der Ausstellung nichts zu tun habe. Übrigens kann man beim Haus der deutsch-polnischen Zusammenarbeit (http://www.haus.pl) für 15 PLN einen polnischsprachigen Ausstellungskatalog bekommen, während in Deutsch nur ein kleines Ausstellungsheftchen vorliegt.
Zum 85. Geburtstag von Ernst Willimowski
Oberschlesien hat vor dem Krieg viele große Fußballer hervorgebracht. Reinhard Schaletzki und Ernst Plener von Vorwärts-Rasensport Gleiwitz oder auch Richard Malik von Beuthen 09. Einer jedoch überragt sie alle - Ernst Willimowski. Bis heute rangiert „Ezi“, wie er überall genannt wurde, auf dem 12. Platz der ewigen Torschützenliste der ersten polnischen Liga.
Am 23. Juni 1916 erblickte Ernst Willimowski in Kattowitz das Licht der Welt. Sein Vater kam aus dem Krieg nicht mehr heim, so dass seine Mutter Pauline Florentine, die später der größte Fan ihres Sohnes wurde, den jungen Ernst alleine aufziehen musste. In der Kattowitzer Emmastraße (Francuska) machte er seine ersten sportlichen Gehversuche. Bereits mit sechs Jahren trat er, kurz nachdem die Stadt an Polen gefallen war, 1922 dem 1.FC Kattowitz bei, der wegen der neuen Herren seinen alten deutschen Namen „Preußen 05“ hatte ablegen müssen. Auch aus Ernst hatten die neuen Umstände Ernest werden lassen. Beim in Muchowietz ansässigen 1.FC diente sich Ezi hoch, und 16jährig erreichte ihn sogar die Berufung in die Stadtauswahl. Seinen Heimatverein, dem auch aufgrund zahlreicher Benachteiligungen mittlerweile der Boden für eine gedeihliche sportliche Entwicklung entzogen war, verließ Ezi 17-jährig. Für eine Ablösensumme von 1.000 Zloty und den Erlös aus den Ablösespielen wechselte Ernst zu Ruch Bismarckhütte/Wielkie Hajduki (heute Ruch Königshütte/Chorzow), der das Erbe des Bismarckhütter BC angetreten hatte. 12.000 Interessierte wohnten seinerzeit im Schnitt den Ligaheimspielen von Ruch bei.
Bereits mit 17 Jahren im Nationaltrikot
Doch nicht nur auf dem grünen Rasen feierte Ezi Erfolge. Bei Pogon Kattowitz stand er im Handballteam; zudem spielte er im Winter für den gleichen Verein in der Ersten Eishockeyliga Polens. Auch auf den Kufen brachte es der Ausnahmeathlet bis in die Ostoberschlesienauswahl.
1934 wurde Ezi mit 17 Jahren erstmalig in die polnische Fußballauswahl berufen, die in Dänemark gastierte. Doch schon bald wurde der Ostoberschlesier auch in Deutschland bekannt, als das polnische Erfolgsteam Ruch eine Reihe von Freundschaftsspielen im Reich austrug. So konnte man Bayern München mit 1:0 an der Isar besiegen. Eine Teilnahme am Olympischen Fußballturnier 1936 in Berlin blieb Ezi aus gesundheitlichen Gründen jedoch verwehrt. Obwohl längst ein Star, regierte damals noch der Amateurgedanke. Rückblickend erinnerte sich Willimowski, der bis heute in polnischen Analen als Ernest Wilimowski geführt wird, Anfang der 90er Jahre: „Wir bekamen damals kein Geld für unser Spiel. Sieg- oder Torprämien kannte man noch nicht. Wir erhielten lediglich einen arbeitsfreien Tag und nach dem Spiel ein Essen. Dafür herrschte eine großartige Kameradschaft, wobei beim gemütlichen Beisammensein auch deutsche Lieder gesungen wurden. Wir Ostoberschlesier unterhielten uns deutsch“.
Legendäres WM-Achtelfinalspiel gegen Brasilien
Nach heutigen Maßstäben wäre aus Willimowski ein Sportmillionär geworden, denn Stürmer wie Willimowski werden insbesondere am Torerfolg gemessen. Und in dieser Hinsicht stellte Ezi denkwürdige Rekorde auf. Beim Ligaspielerfolg von 13:0 über Podgorze Krakau traf er allein sieben Mal, und in 25 Länderspieleinsätzen für Polen erzielte er die gleiche Anzahl an Treffern. Zur Legende hat ihn spätestens die Fußballweltmeisterschaft 1938 in Frankreich gemacht. Nachdem Brasilien im Achtelfinale bereits 4:0 gegen Polen in Führung lag, kippte Willimowski das Spiel im Alleingang. Noch vor dem Pausentee konnte Ezi durch einen Doppelschlag in der 40. und 43. Minute den Rot-Weißen neue Hoffnung verschaffen, um im zweiten Durchgang erneut nachzulegen. Willimowskis Anschlusstreffer folgte sein vierter Torerfolg in der letzten Spielminute. Nach hartem Kampf gewann Brasilien letztlich jedoch mit 6:5 nach Verlängerung.
1938 war Mittelstürmer Willimowski, der gerne auch mal auf halblinks auswich, bei der 1:4 Niederlage Polens gegen Deutschland zur Stadioneinweihung in Chemnitz vor 60.000 Zuschauern dabei - für den stets listig und konzentriert und nie als „Brecher“ agierenden Willimowski eine denkwürdige Erfahrung, bedenkt man seine eigene Herkunft und den Umstand, dass die Gäste aus Polen kurz vor dem Krieg als „Freunde“ von der politischen und sportlichen Prominenz des Reiches empfangen wurden. Als im Jahr darauf der Krieg ausbrach kehrte Ostoberschlesien zwar ans Reich zurück, statt den Bismarckhüttern, die 1938 noch polnischer Meister wurden und die nun als BSV 99 antraten, wurden zunächst jedoch nur Lokalrivale Germania Königshütte (früher AKS, davor VfR), TuS Schwientochlowitz (zuvor Naprzod) und aus politischen Gründen der einst benachteiligte 1.FC Kattowitz in die Gauliga Schlesien aufgenommen. Die Bismarckhütter fanden erst 1941 Zugang zu dieser Spielklasse.
Deutscher Pokalssieger 1942
Auf Vermittlung des Sachsen Erwin Helmchen heuerte Willimowski 1940 beim Chemnitzer Polizei SV (heute Chemnitzer FC) an, wo er in den ersten sieben Spielen 35 Tore erzielte; 1942 wechselte er jedoch zum TSV München 1860. Mit den „Löwen“ sollte der Ausnahmeathlet seinen einzigen deutschen Titel erringen. Im Berliner Endspiel um den „Tschammer-Pokal“, dem nach dem „Reichsportführer“ benannten Vorläufer des DFB-Pokals, ebnete Ezi durch sein 1:0-Torerfolg vor 80.000 Kibitzen den Weg zum 2:0-Titelgewinn über Schalke 04. Im Achtelfinale hatten die 60er übrigens mit 15:1 die SS-Sportgemeinschaft Straßburg im Elsass vom Felde gefegt - sieben oder zehn Tore, je nach Quellenlage, gehen auch hierbei auf Willimowskis Konto, der abergläubisch immer ein Medaillon trug. In die Chemnitzer und Münchener Jahre fallen auch Willimowskis acht Berufungen in die deutsche Auswahl, bei der die Gegner mit Ausnahme der Schweiz befreundete Länder oder Satellitenstaaten waren. Beim 6:0-Gewinn über Finnland in Helsinki erzielte Ezi die Hälfte der Tore, beim 5:3 über die Schweiz in Bern sogar deren vier, darunter einen Hattrick. Ausgerechnet beim 7:0-Kantersieg über Rumänien in Beuthen konnte sich Ernst nur einmal in die Torjägerliste eintragen.
„Vor dem Spiel keine Liebe, kein Alkohol“
Der ganz große Ruhm im schwarz-weißen Dress blieb dem Oberschlesier nicht nur dadurch verwehrt, dass die deutsche Auswahl von 1943 bis 1950 durch die politischen Umstände bedingt nicht antrat. Trainer Sepp Herberger hatte gerade auf der halblinken Position mit Franz „Bimbo“ Binder (Rapid Wien) und dem späteren Bundestrainer Helmut Schön (Dresdner SC) hochkarätige Alternativen. Zudem musste Herberger den smarten Ezi nicht selten ermahnen: „Vor dem Spiel keine Liebe, kein Alkohol“, wie Karl-Hein Haarke und Georg Kachel in ihrer Willimowski-Biographie zu berichten wissen. Immerhin konnte Willimowski zum legendären Ruf der Soldatenmannschaft „Rote Jäger“ beitragen, die als nahezu „unbezwingbare Augenweide“ gegen die damaligen Elitemannschaften antrat. Nach dem Krieg knüpfe Ezi erneut Kontakt mit Chemnitz. Da dort die alten Vereine nicht wiedergegründet werden durften, trat er nun für die SG Chemnitz-West an. In einer Zeit der sogenannten „Kartoffelspiele“, in denen ein Sack Kartoffeln Anreiz zum Tingeln über die Dörfer war, fand Ernst zunächst keine sportliche Heimat. Über Rapid Kassel, die SpVgg Saxonia 07 Hameln, den TSV Detmold und den BC Augsburg führte ihn sein Weg zum Süd-Oberligisten Offenburger FV, wo Gönner dem gelernten Verwaltungsangestellten eine Halbtagstätigkeit in der Stadtverwaltung und eine Toto-Lotto-Annahmestelle verschaffen konnten. In Offenburg fand Ezi auch den ruhenden Pol in seinem Leben, seine Ehefrau, die Gastwirtstocher Klara Mehne. Aus der 1951 geschlossenen Ehe entstammen drei Töchter und ein Sohn; bis zuletzt konnte sich Willimowski an fünf Enkeln erfreuen.
Teufelsangst vorm Erbsenberg
Nach einer kurzen Station beim FC Singen 04 in Südbaden ließ Ezi seine Erstligakarriere beim heute in der Versenkung verschwundenen VfR Kaiserslautern in der Oberliga Südwest ausklingen. Beim auf dem „Erbsenberg“ ansässigen VfR, einem Nachbarhügel des „Betzenberges“ des 1. FC’, erzielte er 1953 31 der 55 Saisontore, wodurch Ezi den Klassenerhalt im Alleingang sicherte. Bis 1955 war Willimowski damit quasi Hauptgrund für die „Teufelsangst vorm Erbsenberg“. Der Umstand, dass Willimowski im Westen bei Mannschaften im Einsatz war, die heute längst vergessen sind, mag wohl mit ein Grund dafür sein, dass seine Person in der Fußballlegendenbildung Nachkriegsdeutschlands nur eine untergeordnete Rolle einnimmt. Während Fritz Walter vom „Nachbarn“ 1.FC Kaiserslautern Deutschland zum ersten WM-Titel führte und andere Größen des deutschen Fußballs ihre Glanzzeit nicht im Ausland verbracht haben, bleibt Willimowski ein außerhalb Schlesiens an den Rand des Vergessen geratenes Sportass. Fußballfans auf dem Weg nach Kaiserslautern sollten sich jedenfalls die Zeit nehmen, an der windschiefen Holztribüne des VfR auf dem Erbsenberg vorbeizuschauen. Wehmütig und trotzig kündet sie ihm Schatten des übermächtigen Nachbarn vom vergänglichen Ruhm im heute so schnelllebigen Sportgeschäft. Als Spielertrainer beim Kehler FV hing Willimowski seine Schlappen endgültig an den Nagel. Als Trainer betreute er später noch die unterklassigen Vereine SV Gengenbach und TuS Rammersweiler. Hin und wieder zog es Ezi, der bei den Pfaff-Werken in Karlsruhe Arbeit fand, ins Wildparkstadion zu Spielen des KSC. Am 30. August 1997 verstarb Ezi 81jährig.
Nur Pele und „Bimbo“ Binder schossen mehr Tore
Die Geschichte hat es gewollt, dass der begnadete Ausnahmeathlet in den polnischen Fußballannalen mit mehreren Meistertiteln und Torjägerspitzenpositionen sowie 25 Einsätzen im Nationaldress größere Spuren hinterlassen hat als im deutschen Fußball, wo nur ein Pokalsieg und acht Auswahleinsätze zu Buche schlagen. Willimowski ist Kennern dennoch eine Legende geblieben - hierfür reichten das WM-Achtelfinale 1938 und unglaubliche 1.175 Tore seiner durch schwere Jahre unfreiwillig unterbrochenen Karriere. Zum Vergleich: Auf Uwe Seelers Konto gehen 750 Tore, Alfredo di Stefano erzielte 900 und Ferenc Puskas 1.100 Tore. Lediglich der Brasilianer Pele mit 1350 Toren und „Bimbo“ Binder mit 1.300 Toren konnten den Ball häufiger im Gehäuse versenken! Ob Ezi so viele Tore schoss, weil er an seinem stärkeren linken Fuß eine Zehe mehr als andere Menschen hatte? Tatsache ist, dass ein Individualist wie Willimowski in seiner Zeit noch andere Freiräume auf dem grünen Rasen hatte als dies im schnellen Spielaufbau der heutigen Zeit möglich wäre - Ezi verstand es stets meisterlich, diese Freiräume zu nutzen!