Saisonauftakt in Liga 3 und das mit dem Derby in Deutschlands grüner Mitte. Vergessen sind die Wochen des Frauenfußballs und der Testspiele. Ein Bekannter besorgte die Karten, allerdings für den Gästebereich. Mir war es egal – schließlich wahre ich in Thüringen Neutralität zwischen den Rivalen. Nachdem ich fast drei Jahre im Land der Bratwurst verweile, ist es der erste Derbytermin, der in meinen Kalender passte.
12.09 Uhr traf man sich zu zweit am Bahnhof und trotz Nachwirkungen der letzten Nacht sah man mit dem ersten Pils frohen Mutes dem Spiel entgegen. Kurz nach 1 erreichten wir die Landeshauptstadt und waren via Straßenbahn zügig am Stadion. Dort ging die Suche nach dem Gästebereich los, die aber bald Erfolg hatte. Es folgte eine dreimalige Kontrolle: die ersten Hamburger Gitter wurden zur Taschen- und Rucksackabgabe und den ersten Karten-Check genutzt. Danach ging es durch 'ne intensive Leibesvisitation bevor am Block die Karte auf Gültigkeit geprüft wurde. Im Block gab es für mich noch die für Thüringer Maßstäbe eher durchschnittliche Bratwurst.
Dann war es auch schon soweit – die Erfurter Mannschaftsaufstellung wurde noch geradeso bemerkt, wer für Jena auflief, ging uns durch die Lappen. Aber vier der sieben (!) Neuzugänge in Jenas Startelf waren schnell zugeordnet. Tino Berbig, Alex Maul und Jan Simak spielten schließlich schon für den FCC und auf Christoph Siefkes freute ich mich persönlich am meisten. Der junge Stürmer lernte das Fußball-ABC beim HFC und sorgte ein Jahr lang im roten Dress in der A-Jugend-Bundesliga für Angst und Schrecken in den gegnerischen Strafräumen.
Auch Erfurts Neuzugänge waren mir nicht völlig fremd: Joan Oumari (Babelsberg), Marcus Rickert (Wilhelmshaven) und Phil Ofosu-Ayeh (Wilhelmshaven, damals noch Phil Schlüter) spielten alle schon gegen den HFC. Zu erst standen aber die Neuen in Jenas Reihen im Vordergrund, die gefälliger kombinierten aber zu wenig aus ihrer spielerischen Überlegenheit machten. Doch es kam natürlich ganz anders, Landeka verhindert eine gute Konterchance per Foulspiel. Caillas schnappt sich das Leder und schlägt eine weite Flanke in den Strafraum und für Neuzugang Oumari fühlt sich keiner verantwortlich: 1:0 RWE (30.). Jena geschockt, die Teams „neutralisieren“ sich danach.
Kurz vor der Pause nimmt die Partie noch mal richtig Fahrt auf, Carl Zeiss am Drücker, mehrere aussichtsreiche Situation führen nicht zum Erfolg. Eine vielversprechende „2 auf 1“-Situation vertändelt RW Erfurt im Konter jämmerlich: Caillas kreuzt und steht damit weit im Abseits, Neuzugang Manno bringt den Pass auf Reichwein nicht präzise – fahrlässig.
Nach dem Wechsel will Jena den Ausgleich, findet zunächst keine Mittel. Dann die Szene des Spiels. Jena klärt eine Ecke über rechts und leitet den Gegenangriff ein, Marcel Reichwein – Stürmer im Dienst von Rot-Weiß fällt im Strafraum. Niemand hat etwas gesehen, keiner im Gästeblock, keiner im Erfurter Fanblock – nur einer hat ganz genau hingeschaut Schiri Manuel Gräfe aus Berlin. Sebastian Hähnge und Reichwein beharken sich beim Rausrücken. Hähnge fährt im Lauf den Fuß ein Stück raus, Reichwein stolpert und fällt. Ich hab mir die Szene drei mal beim MDR angesehen bis ich Gräfes Urteil bestätigen konnte: Rot für Hähnge, Elfer für Erfurt. Ich hatte eigentlich mit indirektem Freistoß gerechnet, traue Gräfe aber mehr Regelkunde als mir zu. Für mich das Adlerauge des Jahrhunderts, da der Ball an sich einige Meter weit weg war und Hähnge wohl niemals glaubte, dass sein Vergehen geahndet werden kann. Der Sünder reklamiert nicht und verlässt reumütig das Feld. Chapeau Manu!! Elfmeter Nils Pfingsten-Reddig, Berbig chancenlos: 2:0 (50.).
Etwas kurios dann die Wechsel von CZ-Coach Heiko Weber, der mit Simak und Schmidt erfahrene Leute vom Feld nimmt, für mich unverständlich. Jena erarbeitet sich noch ein paar Chancen, wehrt sich noch ca. 10-12 Minuten in Unterzahl gegen die Derbypleite zum Saisonauftakt. Als Reichwein in der 76.Minute mit dem 3:0 den Sack zuschnürt, ist das Spiel quasi beendet.
In der 83.Minute noch einmal der letzte interessante Fakt: 13.841 Zuschauer sind dabei – 2.498 Jenaer + wir zwei Fußballtouristen sind im ausverkauften Gästeblock vor Ort. Die Stimmung im Gästeblock in der ersten Hälfte ganz ok, nach der undurchsichtigen roten Karte natürlich helle Aufregung und in der Schlussphase nur noch Enttäuschung. Erfurts Tribüne war ab und zu ganz gut zu hören, der Ultra-Stehblock kam im Gästebereich akustisch gar nicht an. Zwischenzeitlich fühlte man sich noch mal in die Zeit der Frauenfußball-WM zurückversetzt als nach 17 Anläufen die Laola-Welle durch das Steigerwaldstadion rollt. Ansonsten alles friedlich im und um das Stadion nach meiner Beobachtung. Die Erfurter Ultras mit ein paar Spruchbändern, zwischenzeitlich wohl auch mit ein wenig Pyro – aber nichts erwähnenswertes.
In der 88.Minute scheitert Nils Miatke noch einmal freistehend an Rickert, der für mich etwa Regionalliga-Mittelmaß verkörpert. Für die Jena-Fans ist klar: der Ball will heute einfach nicht ins Tor. Damit beendet Erfurt den ersten Spieltag auf dem ersten und Jena auf dem letzten Tabellenplatz. Besser geht’s für Rot-Weiß kaum.
Nun beginnt für uns die skurile Odyssee zurück zum Hauptbahnhof. Dem NOFBler Schülersen kurz guten Tach gesagt, bei einem „Pepelow 2009“-Besucher nach Schnicks gefragt und dann konnte es zurück in die Heimat gehen. Nach kurzer Erläuterung der Sachlage und kurzer Wartezeit wurden wir aus dem Polizeikessel rausgelassen (Merci!). Uns aber einfach unter die Erfurter zu mischen, um den Kessel zu überholen und rechtzeitig am Gleis zu sein, ließ die Polizei 100 Meter weiter nicht zu. Also dem Kessel hinterher, geschickt durchs Wohngebiet abgekürzt und schon waren wir nach kurzem Fußmarsch am Bahnhof, um an der nächsten Polizeisperre unterhalb des Stadtparks zu stehen: „Hier kommt keiner durch! Gehen Sie zurück!“
Meine letzten Erfurter Ortskenntnisse rausgekramt, die nächste Brücke über die Gera und unter den Gleisen angesteuert, kurz das Tempo angezogen, um den Zug sicher zu erreichen. Schon war man auf der anderen Bahnhofsseite. Fazit: 'ne Viertelstunde übrig. Wir befanden uns bereits hinter der Polizeisperre in der Bahnhofshalle. Ich steuerte aber noch fix eine Bankfiliale an, Auslandsüberweisungen sind – wieso auch immer – online nicht möglich. Zurück am HBF, 7 Minuten übrig – Kumpel schon am Gleis bzw. im Zug und nun ging das Elend los.
„Wieso sind Sie in Erfurt? Waren Sie beim Fußball?“ - „Hab 'ne Überweisung gemacht.“ - „Dafür fahren Sie extra nach Erfurt? Sie waren doch beim Fußball.“ - „Von mir aus, ich will trotzdem mit meinem Zug jetzt nach Hause fahren.“ - „Dann sind Sie Fan. Sie müssen warten. Es sind noch Jenaer im Hauptbahnhof.“
Die nächsten sieben Minuten verbrachte ich damit den Polizisten klar zu machen, dass mir scheiß egal ist, wer heute gespielt hat, wie sehr die zwei sich hassen; dass ich nicht mal aus Thüringen stamme, mein Zug von 'nem völlig anderen Bahnsteig als der Jena-Zug fährt und ich schon mal in der Bahnhofshalle drin war. „Da wissen Sie doch was Ihr Fehler war. Sie sind wieder rausgegangen.“ Das ich keinerlei Fanutensilien an hatte, eine Konfrontation von mir alleine mit den Jenaern für mich eher ungünstig laufen würde, ich quasi nen Zugticket vorweisen konnte und freiwillig den Perso inklusiver nicht-Thüringer Herkunft zückte, brachte nichts. Ich rechnete mir zwar gute Chancen aus, bei nem möglichen Sprint quer durch den Bahnhof vor der Polizei in meinem Zug zu sein, beließ es aber beim Gedankenspiel. Immer frustrierender war die Tatsache, dass andere sich mit Zugfahrkarten, Personalausweis und meist schlechteren Ausreden durch die Polizeikette mogelten. Ein Beamter sprach irgendwann das aus, was der eigentliche Grund für die Misere ist: „Mir wäre auch lieber, wenn wir keine Fantrennung machen würden.“
Von daher an dieser Stelle meinen herzlichen Dank an alle hirnverbrannten Drecksfans, die nach dem Spiel es nicht gebacken kriegen ihre paar verbliebenen Hirnzellen sinnvoll zu verwenden und für die es nichts „geileres“ gibt als gegnerische Fans zu jagen. Wegen Idioten wie euch dürfen sich Woche für Woche tausende Fußballfans nen Kopf machen, wie sie entspannt zum Fußball kommen. Da fragt man sich, ob man sich den Ultra-Kindergarten nochmal antut oder lieber zu Spielen mit weniger Chaoten-Potenzial fährt.
Ich schaute mir das muntere Treiben vor dem Hauptbahnhof noch ein paar Minuten an, da die Polizei die Lage auch nicht gerade beruhigte, boten sich mittlerweile Erfurter untereinander Dresche an, während die Freunde und Helfer weniger Meter daneben standen. Als die Schleusen zum HBF geöffnet wurden bummelte ich vor zum Anger, versuchte meinen Frust zu vergessen und philosophierte im Zug mit ein paar Derbysiegern über das was war, was ist und was sein wird. Nach dem dritten Bier am Samstagabend konnte aber auch ich wieder lachen.
Fazit: Scheiß Thüringenderby! Wird Zeit das die Regionalliga wieder losgeht.