Eine tägliche Sport-Zeitung für ganz Deutschland soll er sein. 90% aller Bundesbürger sollen am Ende April erreicht werden können. Was vor zwei Wochen mit einer Auflage von 150.000 Stück im Großraum Berlin-Brandenburg gestartet ist, soll sich in den kommenden Wochen über ganz Deutschland erstrecken. Die Rede ist vom "Sport-Tag".
Kennt Ihr nicht? Vielleicht habt Ihr ihn schon einmal verschämt am Kiosk Eurer Wahl gesehen. Der Sport-Tag erscheint täglich und kostet bei einem Umfang von 24 Seiten schlappe 50 Cent. Am Sonntag sind 48 Seiten für 1 Euro im Angebot - klar die Fußballspiele am Wochenende fordern ihren Platz. Laut Eigenwerbung soll der Sport-Tag sich inhaltlich und stilistisch am Kicker orientieren und als Vorbild für die Zukunft sieht man die täglichen Sport-Gazetten aus Frankreich (L'Equipe) und Italien (La Gazzetta dello Sport). 12 festangestellte und 20 freie Redakteure sollen für tägliches Lese-Futter sorgen. Soweit so gut.
Wer einmal die Vorbilder aus den Nachbarländern zu Gesicht bekommen hatte, wird den Sport-Tag derzeit wohl weiträumig meiden. Das knuddelige A4-Heftchen hat leider qualitativ wenig zu bieten. Die Texte sind großteils umgeschriebene Agenturmeldungen, oft noch deutlich unter dem sprachlichen und inhaltlichen Niveau einfachster Schülerzeitungen. Bei den meisten scheint nicht einmal die Rechtschreibprüfung genutzt worden zu sein, einen Lektor scheint es auch nicht zu geben - anders sind insbesondere die in den ersten Tagen ziemlich derben Fehler kaum zu erklären. Die Langeweile setzt sich in phantasielosen Überschriften fort. Teilweise passen die Überschriften gar nicht zum Inhalt des Textes. Auch die Fotos sind alles andere als Erste Sahne. Hier werden ohne Instinkt einfach Fotos aneinandergepappt, die oft gar nicht zum Thema passen oder die jede Zeitungsredaktion der Welt aussortiert, weil das Objekt des Fotos von Hinten fotografiert wurde.
Einige Beispiele gefällig? Okay, Ausgabe vom 17. März:
Kurzmeldungen. Es geht um den Manipulationsverdacht bei Spielen des SV Wacker Burghausen. Im Text steht, dass "Fakt" über diesen Verdacht berichtet hat und dass der Verein in Person des Geschäftsführers diese Vorwürfe dementiert, weil ja keinerlei Meldungen vom DFB oder Staatsanwaltschaft vorliegen würden. Darüber prangt ein Foto von Wackerspielern, die im Schneegestöber auf den Trainingsplatz gehen mit der Bildunterschrift: "Spieler sind schockiert über Vorwürfe". Wo steht das im text? Wurden Spieler gefragt? Nein, es ist eine umgeschriebene Agenturmeldung des sid, in dem der Verein mitteilt, dass man das nicht weiter ernst nehme, weil ja DFB und Staatsanwaltschaft das auch nicht sonderlich schlimm finden. Aber der Sport-Tag sagt: "Spieler sind schockiert über Vorwürfe"...
Gleiche Ausgabe, wieder Kurzmeldungen. Wenige Tage nach den Grenzüberschreitungen einiger Stadiongänger in Berlin wollte man wohl mal die Kurznachrichtenspalte ein wenig auflockern und brachte in die Spalte Meldungen einen Wikipedia-Artikel zum Thema Stadionverbot. Ohne Ankündigung, dass es keine Meldung, sondern eher ein Lexikonartiklel ist. Einfach so, ohne Zusammenhang. Dazu ein Foto von Fans mit Transpis "Ein Herz für Stadionverbotler" mit dem Bildtitel " Ein Thema, dass kontrovers diskutiert wird" - äh??? Ja, man kann einen solchen Infokasten machen. Aber dann bitte auf dieselbe Seite, auf der über die Vorkommnisse in Berlin berichtet wird oder über die Strafen durch DFB/DFL oder die Vereine. Aber so aus dem Zusammenhang gerissen?
Gleiche Ausgabe. Kurzmeldungen und großer Artikel zum Spiel Eintracht Frankfurt gegen Bayern München. Im Artikel wird noch gemeldet, dass sich bei Frankfurt das Lazarett endlich wieder lichtet, und dass Spycher und Russ wohl wieder einsatzfähig sein könnten. Sechs Seiten weiter in den Kurmeldung steht eine Meldung, die mit "Frankfurt mit Personalsorgen gegen die Bayern" überschrieben ist. Die Kurzmeldung klärt auf, dass wohl Spycher und Russ ausfallen werden. Guuuut, aber sollte man beides nicht einfach zu einem stimmigen Artikel vereinen?
Soll ich weitermachen? Nein, das wäre nicht gerecht. Sicherlich muss sich eine neue Zeitung auch erst einmal finden. Wenn man aber mit einer mutmaßlich siebenstelligen Summe von den Kapitalgebern ausgestattet worden ist und im Vorfeld große Töne spuckt, dass man sich fachlich von Publikationen aus dem Springer-Verlag distanzieren und eher vom Niveau an den Kicker anlehnen möchte, dann aber inhaltlich kaum besser ist als Google-News, das ja auch nur die Agenturmeldungen der Online-Zeitungen verwurstet, dafür aber wenigstens nicht zerhackstückt und so grob aneinanderreiht, dass es weht tut, dann sollte man das etwas besser vorbereiten. Ich sehe ehrlich auch nicht, wo hier 12 hauptamtliche und 20 freie Redakteure ihre Arbeit gelassen haben. Und von Star-Redakteur Rainer Kalb, den Sportinteressierte vom Kicker oder auch vom sid kennen könnten, hat sich nicht ur die Redaktion sondern auch ich mehr erwartet. Das ist alles einfach viel zu dünn.
Die Ausgabe vom 17. März war meine Erste vom Sport-Tag und sie war ehrlich gesagt schlecht. Das hat mich nicht abgehalten, dennoch weiterhin den Sport-Tag zu kaufen, weil auch ich mich freuen würde, wenn sich neben Bild/SportBILD und Kicker ein weiteres Magazin mit unabhängiger Redaktion etablieren würde. Es ist in den vergangenen Tagen auch tatsächlich etwas besser geworden. Und dennoch, hier wartet verdammt viel Arbeit auf das Team. Denn hier stimmt vom Konzept, über das Layout (teilweise richtig schlecht und ALLE aber wirklich ALLE Todsünden des Zeitungswesens auf einer Seite) und den Inhalt sehr wenig. Auch im Marketing muss mehr gemacht werden. Bis auf die ganzseitige Anzeige des Pearl-Verlages (dank täglicher Anzeigenschaltung dürfte der Preis bei zirka 10.000 Glocken täglich liegen), einer Anzeige für Apollo-Optik mit Gutschein (hier werden dann wohl die Gutscheineinlösungen abgerechnet) und Anzeigen für Reisveranstalter (hier werden die Reisebuchungen berechnet) sowie einem Gewinnspiel von Warsteiner konnte ich keine regelmäßigen Werbepartner erkennen. Dazu kommt eine ganze Seite Eigenwerbung und ab und an einige kleinere Kästen. Doch anstatt eine ganze Seite mit Eigenwerbung zuzumüllen und dann irgendwo klein auf ein mögliches Abo (hier bekommt man den Sport-Tag ein Jahr lang für nur 99 Euro, kein schlechtes Angebot) hinzuweisen, wo dann das Abo-Formular nur online verfügbar ist,
Der Titel: Eine Zeitung, die sich vor allem zu Beginn nur über den Kiosk verkauft, muss auf den ersten Blick reinknallen. Da muss die Optik so auffällig sein, dass man zugreift, auch wenn man die Zeitung nicht kennt. Das müssen die Redakteure bei allem Verständnis für ihren Willen, anders als Bild & Co. sein zu wollen, verstehen. Sonst lagert die Zeitung wie Blei in den Regalen. Wobei Regale auch übertrieben ist. Der Vertrieb (also die Auslieferung an die Zeitungshändler und die Platzierung in deren Regalen und Auslagen) ist mangelhaft. Viele Händler bekommen den Sport-Tag erst am Vormittag. Aber früh wird die Zeitung gebracht. Auf dem Weg mit den Öffentlichen zur Arbeit. Vormittag oder Nachmittag ist es zu spät, da haben die meisten schon alle Meldungen im Netz oder in der im Raucherraum meist herumliegenden Betriebs-BILD gelesen.
Was ganz klar fehlt, ist ein USP (unique selling proposition). Die Inhalte sind beliebig, austauschbar und nahezu zu 100% aus Agenturmeldungen. Und ja, manchmal stimmt, was BILD behauptet ("Kein Exclusiv ohne Interview!"): Es müssen selbst geführte Interviews rein. Jeden Tag. Und bei 12 Redakteuren ist es ein leichtes, täglich zwei per Telefon oder Mail geführte Interviews zu bekommen. Die Pressestellen der Bundesligisten sind so professionell besetzt, da bekommt man schnell Antworten. Diese müssen dann so aufbereitet werden, dass man etwas Exklusives zu vermelden hat und dass muss man am Vorabend dann gegen 21-22 Uhr über die Agenturen als Exklusiv raushauen, dann steht es mit Zitat und Quellenangabe auch in den Tageszeitungen und keiner dort hat mehr die Zeit, selbst zu recherchieren oder festzustellen, dass dieses Interview und die Antworten vielleicht nur banal waren.
Einen Vorschlag zum Marketing und zur Erhöhung des Bekanntheitsgrades habe ich noch: Sie sollten einfach mal ein einem Wochenende einige hunderttausend zusätzliche Heftchen drucken, die dann in einen zusätzlichen Mantel mit Eigenwerbung zum Sport-Tag und zur Erscheinungsweise pappen und die Dinger dann vor den Bundesligastadien kostenlos (!) verteilen, um Leser zu gewinnen. Das Heft muss dann aber tipptopp sein.
Ein kleiner Hinweis noch, der Sport-Tag wird von dem Verlag erstellt, der auch schon "nurTV" und "TV Sudoku" auf den Markt wirft. Der Kompetenz dieser Redaktionen bedient man sich auf der Übersichtsseite zum täglichen Sport-Fernsehprogramm. Ideal für alle Pay-TV-Abonnenten. Davon soll es ja auch in Deutschland einige wenige hunderttausend geben...
sollte man das Abo-Formular doch einfach auf die ganzseitige Eigenwerbung setzen.
Ich wünsche dem Projekt alles erdenklich Gute, kann mir aber kaum vorstellen, dass die Konkurrenz sich das lange anschaut. Beispiel aus der Vergangenheit haben oft genug bewiesen, dass die Platzhirsche hier gern auch mit juristischen Mitteln und zur Not mit Gratisblättern die potentiellen Bedrohungen für ihre Fischgründe ausgetrocknet haben. Da erscheint mir ein Polster von wenigen Milliönchen zu wenig, zumal ich mir bei dem derzeitigen Niveau kaum vorstellen kann, dass man große Leserschichten gewinnen kann.
Eine Leserprobe findet Ihr hier: http://www.der-sport-tag.de/html/leseprobe.html