Spät kommt er, doch er kommt....

  • .... Erlebnisbericht: Fulham FC vs. FC Everton
    Craven Cottage, Saturday, 04 November 2006, 12:45 PM


    Meine persönliche Fussballgöttin meinte es ungewöhnlich gut mit mir - einem derzeit nicht gerade übermässig mit unvergesslichen Fussballsternstunden verwöhnten Fan des BFC - und ermöglichte ihm neben einem kostenfreien Hotelaufenthalt auch noch den Besuch einer Begegnung der Premier-League in London.
    Ein für Normalverdiener erschwinglicher Flug konnte ebenso wie ein vom Arbeitgeber genehmigter "Blue Monday" recht problemlos dazu gebucht werden.


    Die Anreise von Schönefeld über Luton und King´s Cross nach Kensington war ... nun ja, nennen wir sie an dieser Stelle freundlich unkomfortabel.
    Ich dachte, diese Unbilden des Tages gegen 01:00 morgens mit dem ein oder anderen Pint in einem Pub hinunterspülen und das Wochenende begrüssen zu können - die Engländer hatten ja schliesslich zu Jahresbeginn die unsäglichen Pubschliesszeiten gekippt. Weit gefehlt. Weit und breit war kein geöffnetes Lokal zu entdecken.
    Well, then ... Plan B: ab in den rund um die Uhr geöffneten Tesco-Supermarkt, schnell ein paar Bier und meinem mir zugeteilten Weibchen nen Wein verhaftet und ab ins Hotel. Aber was war das ? Vor dem, mit allen erdenklichen alkoholischen Erfrischungen prall gefüllten, Kühlregal: ein geschlossenes Rollgitter - per Vorhängeschloss gesichert. Die Enttäuschung des Tages wurde per Videokamera und dem Hinweis, dass der Verkauf alkoholischer Getränke zwischen 23:00 und 06:00 gesetzlich nicht legimtimiert sei, gesichert. Kannte ich das nicht irgendwo her ? Richtig: in den USA hatte ich bereits ähnlich gastfreundliche Momente für den angehenden Hobbyalkoholiker erleben dürfen. Na gut. Dann eben ohne Mitternachtssnack ins Bett...


    Ausschlafen, Morgentoilette und gut gelaunt beim Concierge die im Vorfeld gebuchten Tickets abgeholt. Das Frühstück wurde von einem für englische Verhältnisse hervorragenden Kaffee gekrönt. Gut gestärkt konnte es nun also losgehen. Das Wetter war ungewöhnlich gut: 12 Grad, strahlend blauer Himmel, Sonnenschein.
    Die Reise nach Fulham war nur 5 U-Bahn-Stationen kurz und gegen 12:00 mittags verliessen wir die Station Putney Bridge. Emsiges Treiben hier. Evertonians mischten sich entspannt unter das Fulhamer Volk und zogen durch den Park am Themse-Ufer gen Stadion. An einem Pub sammelte sich lauthals der trinkfreudige Everton-Mob - stehts gut bewacht von berittener Polizei.


    Am Stadion wurde erstmal ein Programmheft für "schlappe" 3,00 Pfund (!) erstanden. Schon der Blick auf die erste Innenseite entlockte uns ein schallendes Lachen: präsentierte sich hier doch - in einem sich bedenklich spannenden Trikot des Hauptsponsors Pipex - allen Ernstes David Hasselhoff unter dem Slogan "Young, Virile & Athletic. I should play for Fulham!". Ein Schelm, der Arges dabei denkt.


    Die Turnstiles zum "Hammersmith Stand" wurden nach - selbst für deutsche Oberligaverhältnisse - lächerlichen Kontrollen passiert. Nach wenigen Schritten die offizielle Rache für den Vorabend: ein Getränkestand mit kurzen Schlangen und passablen Preisen. Guinness für den Herren (die Alternative Foster´s aus der Büchse geht mal gar nicht) und wohltemperierter Weisswein für die Dame schienen eine angemessene Verpflegung für die erste Spielhälfte. Doch leider weit gefehlt. Knappe zwei Meter von der Ausgabe entfernt, sprangen uns die Ordner in den schicken grellorangen Laibchen an: "No beverages behind this line!". Ungläubig folgten wir dem Fingerzeig auf den Boden. Tatsächlich: eine weisse Linie. Gemäss der Hausordnung durfte man diese nicht übertreten, solange sich noch ein Tröpfchen Alkohols im Becher befand.
    Na gut, dann eben "Ex & Hopp" und rein in den Block. Vor dem Zugang zum Hammersmith Stand wurden weitere Ortsunkundige belehrt - diesmal gings allerdings darum, dass diese Frevler doch tatsächlich noch brennende Zigaretten mit sich führten, während sie das entsprechende Schild (in etwa: "No alc. drinks, no cigarettes, no food beyond this point") passieren wollten.
    Schöne neue (Fussball-)Welt !


    Der Hammersmith Stand bot einen imposanten Blick ins mit 23.327 Zuschauern gefüllte Craven Cottage und die Plätze ca. 15 Meter hinter dem Tor waren nicht die Schlechtesten. Eine knappe Minute vor Spielbeginn bat uns der Stadionsprecher, unsere Ärsche aus den für die folgenden 90 Minuten (plus evtl. Nachspielzeit) teuer (30,00 Pfund pro Ticket) erstandenen Sitzschalen zu erheben. Wofür allerdings blieb uns aufgrund des tosenden Applauses verborgen. Aber das offensichtlich oft erprobte Ritual erklärte sich rasch, denn der König ... äh, Entschuldigung, der Mäzen des Vereins, Dodi Al-Fayed, liess sich nun - abgeschirmt von seinen Leibwächtern - quer übers Feld zu seiner Loge geleiten, während seine zahlenden Untertanen brav per tosendem Applaus die gebührende Ehrfurcht zollten.


    Endlich: 12:43 - Einlauf der Mannschaften, Shakehands, Seitenwahl. Pünktlich um 12:45 erfolgte der Anstoss.
    Das Ansetzung Tabellensechster Everton beim Neunten Fulham liess eine müde Begegnung á la "Wolfsburg vs. Bielefeld auf neutralem Boden" befürchten.
    Wider Erwarten begann die Partie erfrischend munter. Fulham schnell, kombinationssicher, mit Drang zum Tor. Nach 5 Minuten fand auch Everton besser ins Spiel und kam zu einigen wenn auch harmlosen Kontern. Nach und nach wurde es zu einem offenen Schlagabtausch, bei dem der Gastgeber stets über den rechten Flügel und Everton mit der Brechstange zentral durch die gutstehende Abwehr der Heimmannschaft den Zug zum Tor suchte. Leider verpufften sämtliche Angriffe vor dem jeweiligen Strafraum. Nach etwa 30 Minuten hatten beide Teams genug vom Tempofussball, schalteten einen Gang runter und trollten sich zur torlosen Halbzeit in die Kabinen.


    Die Halbzeit wollte ich zum Testen der sanitären Einrichtungen nebst anschliessender Biervernichtung im Sturzverfahren nutzen. Teil 1 des Plans ging hervorragend auf, auch wenn die blechernen Urinalrinnen an einen früheren Oktoberfestbesuch erinnerten. Aber die zweite Hälfte dieses nahezu genialischen Hlabzeitplans gestaltete sich schwieriger. Am Getränke- und Imbissstand nun endlose Schlangen. Nur noch einen Wartenden vor mir, dem Momente des flüchtigen Glücks spendenden Zapfhahn schon zum greifen nahe, verkündeten der Gong und die Durchsage des Stadionsprechers den soeben erfolgenden Wiederanpfiff der Partie. Na gut, dachte ich bei mir: 5 Minuten der zweiten Halbzeit verpassen - es könnte schlimmer kommen.
    Und es kam schlimmer. Denn nun traten die Mundschenke lauthals auf die Spassbremse und verkündeten eine 45-minütige Prohibition. Während nämlich auf dem Sportplatz der Ball malträtiert wird, darf ringsumher kein Alkohol verzehrt werden! Innerlich zitierte ich den Neuköllner Vorzeige-Berliner Kurt K. "Wat is´n dit fürn Konzept?" und stapfte empört in Richtung Sitzplatz.


    Dann eben nich! Wieder artig hingesetzt und den weiteren Spielverlauf (ein Abbild der ersten Halbzeit, doch diesmal mit den besseren Spielanteilen für Everton) brav konsumiert. Während die Reihen vor uns bei jeder interessanten Szene alles aus den Sitzen aufsprangen und uns so nötigten, es ihnen gleich zu tun, ermahnten uns die Alt-Hools in der Reihe hinter uns (3 grauhaarige Senioren) stets lautstark "Sit down! For Christ´s sake! We wanna see that game!". Hätten wir gern gemacht - wenn wir dann auch was gesehen hätten. Also drauf geschissen, denn diese renitenten Lebensabendgeniesser hatten uns schliesslich das komplette Spiel über genervt. Bei jedem halbwegs passablen Angriff / Pass / Rettungsaktion schallte uns in Düsenjetlautstärke jeweils ein "Well done, Steve / Carlos / Ian etc." um die Ohren.
    Wann immer Fulham ins Hintertreffen geriet, wurde dies äusserst versiert und dennoch unübertroffen originell in ein "Poor play, you bastards!" abgewandelt.


    Das Spiel plätscherte - wenn auch durchaus spannend und unterhaltsam - vor sich dahin, als sich einer der beiden Dänen in Fulhams Kader, Claus Jensen in der 66. Minute anschickte, den Ball aus etwa 20 Metern und halblinker Position unhaltbar im gegnerischen Tor zu versenken. Der Torschütze war neben Fulhams Ian Pearce und Evertons Andrew Johnson eines der Highlights einer durchschnittlichen Partie.
    Im Anschluss rannte Everton ungestüm, aber im Abschluss nicht zwingend genug und letztlich erfolglos auf das Fulham-Tor an.
    Kurz bevor die 5-minütige Nachspielzeit verkündet wurde, durfte dann übrigens noch der deutsche Moritz Volz in der 85. Spielminute unter grossen Applaus für den Gastgeber auflaufen.
    Mit dem Schlusspfiff eilten die Spieler in die Kabinen und zu den Klängen von The Clashs "London calling" leerten sich die Ränge. Zum Glück hatte der Hauptsponsor an dieser Stelle nicht auf der Einspielung musikalischer Grausamkeiten aus dem Hause Hasselhoff bestanden.
    Alles in allem kein fussballerischer Leckerbissen, aber das schicke, leicht baufällige Craven Cottage und die gesamte Atmosphäre machen dieses Spiel dennoch unvergesslich.


    Die anderen Begegnungen des Spieltages wurden später entspannt in einem Pub am Fernseher verfolgt und über den Rest dieses Wochenendes hüllt der Verfasser an dieser Stelle galant den Mantel des schweigenden Geniessers.

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    "... I was thinking maybe we could go outside - let the nightsky cool your foolish pride ... "


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    Pogue Mahone !

    Einmal editiert, zuletzt von Dynamo P-Berg ()

  • neid, neid, neid


    muß endlich wieder mal meinen Fuß in dieses schöne Stadion setzen.


    Kleiner Tipp : Auf der Putney-Seite gibt es 2-3 Orte, wo man ein gutes Pint zu sich nehmen kann.

    ich war TeBe - ich bin TeBe - ich werde TeBe sein


    Der Internationalismus hört am Strafraum auf

  • Einen davon haben wir auch gefunden - wollte nur nicht zu weit abschweifen. =)

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  • Interessanter Bericht! Ist schon echt "imponierend", wie die Zuschauer in England reglementiert werden. In Newcastle haben sich mal 3 Ordner auf einen Typen gestürzt und abgeführt, der es gewagt hatte, ein Bier mit auf die Plätze zu nehmen. Steht uns auch alles noch bevor...

  • Da haste wohl leider Recht - ich fand diesen "Vorgucker" in puncto Domestikation des gemeinen Fussballpöbels echt beängstigend.

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  • Ich hätte nicht gedacht, das dem exclusiv gehörtem Reisebericht, der gelesene noch Interessanter ist! Schön bildlich beschrieben Felix. Respekt!

    Bei jeder Streitfrage gibt es zwei Standpunkte: meinen und den falschen.


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  • Zitat

    Original von ALFATIER
    Schöner Bericht! :ja:



    Ich vermute mal, das du sie nicht über die Existenz diese Forum's unterrichtet hast... :D


    Vielen Dank für die Blumen.
    Das Forum kennt se - hat ja auch schonmal was fürs Heft geschrieben ... und den Bericht fand sie auch nicht zensurbedürftig. =)

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  • Auch von mir Kompliment für diesen gelungenen Bericht!


    Diese ganzen Anti-Bier- und sonstigen Regelungen aber sind ja voll albern! Gut, daß ich während des Spiels gut darauf verzichten kann


    Ach, ich muß auch mal wieder nach England... :seufz:.

    JE SUIS CHARLIE


    Die Stunde des Siegers kommt für jeden irgendwann (Böhse Onkelz)