Fussball im Fernen Osten Russlands

  • Die coolsten Ultras westlich der Wolga“. So oder so ähnlich hieß es einst auf mateks „schiebock-rulez“-Page. Ob nun die Schiebocker wirklich die coolsten Ultras westlich der Wolga oder einfach nur zwischen der Wesenitz und Horkaer Teich sind, sei hier mal dahingestellt. Mich interessierte seit jeher der Fußball östlich der Wolga, und nach dem Grundsatz „Je östlicher, desto besser“ machte ich mich auf den Weg ins fernöstliche Russland; eine Region, die mit dem Erstligaaufstieg von „Luch-Energiya“ Vladivostok im Jahr 2005 etwas mehr ins Blickfeld der Fußballwelt gerückt ist, aber dennoch für die meisten Terra incognita sein dürfte.



    18. August, 18.30 Uhr, 2.Liga der Meisterschaft der Region Primorje (6. Liga insgesamt), Kunstrasenplatz Stadion „Vodnik“, Nakhodka

    FK „Okean“ Nakhodka B - FK „Arsenal“ Khorol 4:3 (3:1)


    Dieses Spiel sah ich eher aus Zufall, da wir bei einer Sightseeing-Tour am Stadion von Okean vorbeigekommen sind und sich da zwei Mannschaften gerade warm machten. Also schnell das Auto geparkt und ab ins Stadion, Eintritt wurde keiner verlangt. Das Spiel fand auf dem Nebenplatz des Stadions „Vodnik“ statt, einem Platz mit Kunstrasen und schicken Sitzschalen in den Farben des Vereins, die wohl ca. 1000 Zuschauern Platz bieten dürften. Bei diesem Spiel fanden aber nur etwa 30 Leute den Weg ins Stadion, was angesichts des schlechten Wetters und der Liga, in der beide Teams spielen, auch nicht weiter verwunderte.

    Gästefans konnte ich keine ausmachen, aber die wären dann ca. 5 - 6 Stunden mit dem Auto unterwegs, und ihr Team lieferte auch nicht den sportlichen Anreiz für so eine Reise, schließlich rangierte Arsenal ziemlich abgeschlagen am Tabellenende. Aber so bekommt man eine Vorstellung von der Weite dieses Riesenlandes, für ein Spiel in der 6. Liga muss selbst ein Amateurverein solche Strecken meistern können.


    Das Spiel an sich war wirklich sehenswert, vom Niveau her vergleichbar mit der deutschen Bezirksliga. Die Reserve von Okean war in der ersten Halbzeit spielbestimmend und lag schnell mit 3:1 vorne. Dann kurz nach Wiederanpfiff konnte Okean sogar auf 4:1 erhöhen, doch Arsenal kam noch einmal ran und hätte kurz vor Schluss sogar noch den Ausgleich erzielen können.


    Im Stadion blieb es außer den meckernden Rentnern, die es wohl überall auf der Welt bei Fußballspielen gibt, äußerst ruhig. Stadionsprecher, Programmheft usw. gab es auch nicht.



    26. August, 15.00 Uhr, 1.Liga der Meisterschaft der Region Primorje (5. Liga insgesamt), Ussurijsk

    FK „Lokomotiv“ Ussurijsk – FK „Mostovik“ Ussurijsk 0:0


    Ein Stadtderby in Russland, das durfte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Aber um es gleich vorweg zu nehmen, so richtig Derbystimmung kam nicht auf. Das ganze erinnerte mich so ein bisschen an die Derbys zwischen Dresden-Nord und Dresden Laubegast, ein paar jüngere supporteten und wedelten etwas mit Fahnen und Schals, aber der Rest der ca. 300 Zuschauer genoss das Spiel und das schöne Wetter.

    In dieser Liga spielen nur 8 Mannschaften, so dass alle Teams jeweils 4 mal gegeneinander antreten. Beide Mannschaften hatten in dieser Saison schon zwei mal gegeneinander gespielt, wovon Mostovik ein Heimspiel mit 1:0 für sich entscheiden konnte, das andere Spiel ging 1:1 aus.


    Lokomotiv war jahrelang die Nr. 1 in der Stadt, spielte vor zwei Jahren sogar noch eine Liga höher um den Aufstieg in die 3. Profiliga, dann ein Jahr später komischerweise nur noch in der 5. Liga, obwohl man Zweiter wurde. Die Ligenzusammensetzung im russischen Fussball in den unteren Ligen ändert sich sich sowieso von Jahr zu Jahr, 2006 spielten in der Premjer Liga der Region Primorje noch 19 Teams, 2007 nur noch acht. Alles ziemlich chaotisch und für den normalen Westeuropäer kaum zu durchschauen.


    Auch hier war ich angenehm von der Spielkultur überrascht, obwohl keine Tore fielen, war es ein sehr spannendes Spiel mit einigen Torchancen auf beiden Seiten. Leider konnte ich keine Fotos machen, da ich erst im Stadion merkte, dass ich keine Speicherkarte in die Kamera getan hatte. Irgendwas ist immer.......



    1. September, 19.00 Uhr, Premjer Liga Russland, Stadion „Dinamo“, Vladivostok

    FK „Luch-Energiya“ Vladivostok – FK „Krylya Sovetov“ Samara 0:0


    Auf dieses Match war ich besonders gespannt, denn alle Vorzeichen deuteten auf ein brisantes Spiel. Vladivostok hatte die letzten 4 Spiele (alle auswärts) verloren und war deshalb auf einen Abstiegsplatz gerutscht. Genau einen Platz und zwei Punkte darüber stand Samara, es zählte also nur ein Sieg für Vladivostok.


    Schon einige Stunden vor Spielbeginn besorgte ich die Karten, da das Stadion Dinamo nur etwa 10.000 Zuschauer fasst und deshalb mit ausverkauftem Haus gerechnet werden musste. Ich bekam Karten für die unterste Reihe, anfangs war ich darüber hoch erfreut, da ich nah am Spielfeld sitzen konnte und so das eine oder andere schicke Foto vom Spiel machen wollte. Naja, das stellte sich dann als Trugschluß heraus, aber dazu später mehr.


    Nach einem ausgedehnten Stadtrundgang durch Vladivostok (wirklich eine sehenswerte Stadt) ging es gegen 18.30 Uhr zum Stadion, welches direkt an der sehr hübschen Uferpromenade liegt. In direkter Nähe zum Stadion befindet sich ein großer Rummel, ein Delfinarium, Ozeanium, ein riesiger Kinderspielplatz sowie mehrere Bierzelte, in denen man die Zeit vor dem Spiel verbringen kann.


    Das Stadion ist mit seiner interessanten Architektur aber auch eine Sehenswürdigkeit für sich, über dem sich auf der einen Seite die Hügel der Stadt erstrecken, auf der anderen Seite der Pazifische Ozean liegt. Wirklich sehr malerisch.
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    Luch-Energiya“ wurde 1951 als „Dinamo“ Vladivostok gegründet und spielte die meiste Zeit in der zweiten sowjetischen Liga. 1992 gelang dann der Aufstieg in die russische Premjer Liga, aus der man aber gleich wieder abstieg, Gerüchten zufolge wurden die Schiedsrichter auf Verlangen der großen Moskauer Vereine angewiesen, das Team sowie „Okean“ Nakhodka aus der Liga zu pfeifen. Danach folgten lange Jahre in der zweiten bzw. dritten Liga, bis man 2005 souveräner Meister der zweiten Liga wurde und zusammen mit Spartak Nalchik aufstieg. Die erste Saison in der 1.Liga konnte sehr erfolgreich gestaltet werden, bei den Heimspielen wurden kaum Punkte abgegeben, aber die Saison 2007 läuft nicht ganz so rund. „Luch-Energiya“ bedeutet übrigens soviel wie „Energiestrahl“, ein sehr gelungener Namenswechsel wie ich finde, sollte sich mal der eine oder andere Verein aus dem Dresdner Norden ein Beispiel dran nehmen. Scotty, beam me up!


    Um das Stadion herum und auch darin befanden sich Massen an Militär und Polizei, die Angst vor terroristischen Anschlägen ist auch im Fernen Osten Russlands sehr groß. Und so wurde dann auch direkt vor den Zuschauern alle zwei Meter ein Polizeiazubi postiert, um die Masse im Auge zu behalten. Mir passte das gar nicht, verstellten die Jungs mir doch völlig die Sicht auf das Spielfeld, genau wie eine Fernsehkamera, eine Lautsprecherbox sowie diverse Pressefotografen. War also doch nicht so toll, die Karten für die unterste Reihe zu kaufen.
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    Zu meiner Überraschung lief die Mannschaft von Samara mit einer echten Multikulti-Truppe auf, der Torhüter kam aus Chile, die Abwehrreihe bildete ein Kameruner, ein Südafrikaner, ein Pole sowie ein Franzose, dazu gesellten sich in Mittelfeld und Angriff noch zwei Kolumbier und ein Brasilianer. Bekanntester Spieler im Kader von Samara dürfte der Ex-Cottbusser Marko Topic sein, den ich aber weder auf dem Spielfeld noch auf der Auswechselbank ausmachen konnte.


    Vladivostok hat zwar auch einige Ausländer im Kader, aber die stammen ausnahmslos alle aus Osteuropa. Bekannteste Spieler hier sind der tschechische Torhüter Marek Czech, der diese Saison neu zum Team stieß, aber schon sehr beliebt beim Publikum zu sein scheint, sowie der Serbe Nenad Stojanovic, der vorher in Brüssel sein Geld verdiente.


    Das Stadion füllte sich und auch im Gästeblock tummelten sich einige Leute, die meisten davon Soldaten, aber auch einige Zivilisten. Ob da wirklich Fans aus dem 6000 km entfernten Samara mitgereist waren, kann ich nicht beurteilen. Es hing zwar eine Fahne da, aber die kann auch von der Jugendmannschaft von Samara gewesen sein, die zwei Tage gegen die A-Jugend von Luch-Energyia gespielt hat.
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    Auf dem Rasen entwickelte sich ein flottes Spiel, Vladivostok war schnell überlegen, konnte aber keine zwingenden Chancen heraus spielen, Samara lauerte auf Konter. Im Heimblock formierten sich etwa 80 Leute, um ihre Mannschaft akkustisch zu unterstützen, allerdings konnte man durch das nicht vorhandene Dach nicht viel davon vernehmen. Nach gelungenen Aktionen oder vor Freistößen beteiligte sich auch das ganze Stadion mit lang gezogenen „Vlaaadiiiivooostok“-Rufen am Support. Auch in Russlands Stadien ist Rassismus ein Problem, es wurden zwar keine Affenrufe imitiert wenn ein schwarzer Spieler von Samara am Ball war, aber es gab doch einige Sprüche zu hören, von denen „Schickt die Nigger zurück in die Sklaverei...“ noch der harmloseste war.


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    Der Polizeiazubi rechts vor mir war wahrscheinlich auch ein bisschen fußballbegeistert, jedenfalls blickte er des öfteren mal aufs Spielfeld, anstatt die Zuschauer im Auge zu behalten. Blöderweise bekam dass sein Ausbilder mit, der den armen Jungen ordentlich rund machte. Richtig Ärger bekam er dann aber in der zweiten Halbzeit, als er sich mal kurz aufs Klo verdrückte, wahrscheinlich ohne den Herrn Ausbilder um Erlaubnis zu fragen. So bekam er dann nochmals vor dem Publikum, welches sich darüber köstlich amüsierte, ordentlich die Leviten verlesen.


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    Besonders in der zweiten Halbzeit machte Vladivostok ordentlich Druck, versiebte aber die Chancen recht dilettantisch. Samara kam zu einigen klaren Konterchancen, die aber auch nicht genutzt wurden. So trennte man sich 0:0, was beiden nicht wirklich weiterhalf. Besonders Vladivostok und der gesamten Region, welche innerhalb Russlands etwas auf verlorenem Posten steht, ist es aber zu wünschen, dass sie zumindest im Fußball erstklassig vertreten ist.


    3. September, 18.30 Uhr, Ostzone der 3. Liga, Stadion „Vodnik“, Nakhodka

    FK „Okean“ Nakhodka – FK „Schachtjor“ Prokopevsk 3:0 (1:0)


    Die 3. Liga in Russland teilt sich auf in 5 Zonen, von denen die Ostzone, in der die beiden Teams spielen, die mit Abstand größte ist. Sie erstreckt sich über 4500 km von der mittelsibirischen Stadt Omsk bis auf die Insel Sakhalin, ist vier Zeitzonen breit und deckt fast 2/3 des russischen Staatsgebietes ab. Dementsprechend schwierig ist es auch für die Vereine aus diesem Gebiet, überhaupt in dieser Liga anzutreten, da die Reisekosten wohl schon einen großen Teil des Budgets aufbrauchen. Als Beispiel kann man hier den Verein „Portovik“ Kholmsk anbringen, der schon oft Meister der 4. Liga war, aber sein Aufstiegsrecht nie wahrgenommen hat. So bleibt den Vereinen in der 3. Liga nichts anderes übrig, als konsequent auf die eigene Jugendarbeit zu setzen.


    Okean spielt nun schon seit 1997 in der 3.Liga, eine Leistung, vor der man durchaus Respekt haben muss, da der Verein auch immer wieder mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Angeblich wollte Abramowitsch, bzw. eine seiner vielen Firmen, mal eine große Geldsumme in den Verein stecken, aber dies ist meines Wissens nach nie passiert. Gegründet wurde „Okean“ Nakhodka 1979, die offizielle Geschichtsschreibung setzt aber komischerweise erst 1986 ein. 1991 wurde Okean Meister der zweiten Liga und stieg in die erste Liga auf, doch bereits zwei Jahre später ging es zusammen mit der Nachbarstadt Vladivostok wieder eine Liga tiefer. Heute profitiert der Verein vor allem von seiner guten Jugendarbeit, fast alle Spieler aus der Mannschaft kommen aus dem eigenen Nachwuchs.


    In dieser Liga, in der 12 Teams spielen, treffen die Mannschaften jeweils 3 mal aufeinander. Gegen eine Mannschaft hat man also beispielsweise ein Auswärtsspiel und zwei Heimspiele. Über die sportliche Fairness dieses Systems lässt sich diskutieren, aber nur 22 Spieltage wären wahrscheinlich etwas langweilig geworden.


    Die Rollen für das Spiel gegen Prokopevsk waren klar verteilt. Prokopevsk war Tabellenletzter und hätte eigentlich schon in der Saison 2005 als Letzter absteigen müssen, da aber einige andere Teams zurückzogen, konnte Prokopevsk auch 2006 in der 3. Liga antreten. Auch der Letzte der Saison 2006 durfte 2007 wieder in der 3. Liga mitspielen. Okean dagegen spielte eine solide Saison und stand im oberen Mittelfeld. Und dementsprechend verlief auch das Spiel, bereits in der 4. Minute schlug es im Tor des „Schachtjor“-Keepers ein, was die knapp 1500 Zuschauer in Hochstimmung versetzte. Nakhodka hat eine kleine Ultragruppierung, die auch eine schicke Zaunsfahne haben und die das gesamte Spiel über gute Stimmung machten, Gästefans waren natürlich keine da. Okean stürmte auch munter weiter auf das Tor der Gäste, konnte aber erst in der zweiten Halbzeit noch zweimal einnetzen, Schachtjor war eigentlich die gesamte Spielzeit chancenlos.


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    In den Stadien, in denen ich war, gab es übrigens kein Bier zu kaufen, die Leute dort stehen eher darauf, Sonnenblumenkerne zu futtern, was ich zu spüren bekam, als Okean ein Tor machte und der Typ hinter mir vor Freude seine Sonnenblumenkerne über mir verteilte. Naja, auf jeden Fall besser als eine Bierdusche.


    Am nächsten Tag ging es dann mit der Transsibirischen Eisenbahn richtig Moskau, wo ich allerdings nur noch ein Eishockeyspiel zu sehen bekam.

  • Sehr schöner Bericht,


    nur dieser eine Abschnitt machte mich stutzig, ich dachte das Spiel dauert 90.Minuten

    Zitat

    Es hing zwar eine Fahne da, aber die kann auch von der Jugendmannschaft von Samara gewesen sein, die zwei Tage gegen die A-Jugend von Luch-Energyia gespielt hat.

    man kann die schönsten Siege nur feiern, wenn man auch die schmerzlichsten Niederlagen verkraften kann!