Kim Kulig würfelte für den HFC die Unioner aus und bereits im Juni war die Zuversicht an der Saale grenzenlos, was das Weiterkommen betrifft. Immerhin ist es ein nettes Ostderby mit viel Tradition. Das rief aber auch andere auf den Plan, die Gegebenheiten für das Spiel ein wenig zu verändern. Da das Kurt-Wabbel-Stadion zur Zeit in Trümmern liegt, war der Umzug nach Leipzig folgerichtig (auch wenn ich lieber in Dessau gespielt hätte), aber dass man in einer WM-Arena nur 12.500 Zuschauer zulässt und die Tageskassen verbarrikadiert, ist nicht die feine englische Art.
Egal. Sonntagnachmittag traf man sich in Halle und reiste zu viert zum ersten Heimauswärtsspiel in Leipzig. Schon von der A14 aus hatte man Sorge Terroristen hätten die Innenstadt in Schutt und Asche gelegt, zumindest deutete die Hubschrauberarmada so ein Szenario an. In der Stadt war dann genug Polizei und Zubehör vor Ort, um jede Leipziger Kreuzung einzeln per Verkehrspolizist zu regeln oder zu verbarrikadieren. Der Weg zum Sportforum gestaltete sich bis auf ein paar Sperrungen und Einbahnstraßen sehr reibungslos. Auch die Organisation schien auf halbwegs stabilen Füßen zu stehen, allerdings waren auch genug Hundertschaften an Ordnern & Security abgestellt. Die waren an sich ganz locker drauf, schienen sich aber von der Stadt Leipzig beobachtet zu fühlen und hielten sich daher relativ strikt an ihre Vorschriften.
Am Zentralstadion fielen mir jetzt bei meinem x-ten Besuch mittlerweile einige Ungereimtheiten auf. Es gab z.B. eine Ebene 8, allerdings existierten dafür die Ebenen 2 und 4 nicht. Es gab funktionstüchtige Fahrstühle, die von Normalsterblichen nicht benutzt werden durften und es gab keinen richtigen Hausherren. Der HFC wies jede Verantwortung weit von sich, Union war tatsächlich nur zu Gast, die Security lediglich angestellt, vom neuen Heimverein des Zentralstadions war nichts zu sehen. Lediglich Dirk Heyne (FC Sachsen) verfolgte in weiblicher Begleitung die Partie im Oberrang. Marco Hartmann, Marko Stier, Angelo Hauk und David Sieber (verletzte bzw. Ersatzspieler des HFC) irrten auf der Suche nach ihren besseren Hälften durch die Stadienkatakomben.
Die Bandenwerbung war mir bei den letzten zwei DFB-Pokal-Tagen am TV aufgefallen. Sie wird zentral verwaltet, ergo steht bei jedem Spiel die gleiche Werbung. Und da man davon nicht 32 Stück auf Lager hatte, wurden in der Nacht die Banden aus Chemnitz nach Leipzig gekarrt. Der CFC kickte Pauli dank eines Kopfballtreffers nach einem Standard aus Runde 1. Es bahnte sich also etwas großes an...
Das Spiel begann wie verabredet ohne Akustik von den Rängen. Es hatten sich zwar 9000 Fans eingefunden, aber das Spiel wurde aufgrund des etwas paranoiden Sicherheitskonzeptes mit einer Schweigeviertelstunde eingeläutet. Beide Fanblocks trugen schwarz und schwiegen einträchtig, eine sehr gelungene Aktion, die anschließend durch alle Medien ging. Die Berliner Gäste simulierten sogar stumme Gesänge und Jubelszenen - das Kuriositätenkabinett war eröffnet.
Die Partie war recht ausgeglichen, die ersten Minuten gehörten sogar dem Viertligisten. Doch im Laufe der 1.Halbzeit zeigte Union dem Underdog wer der 2.Ligist ist, erarbeitete sich aber wahrlich nicht Torchancen im Minutentakt. Und die größte versemmelte Mosquera jämmerlich. Ganz anders beim HFC: die Chemiker spielten ganz gefällig mit, kamen aber quasi gar nicht zum Abschluss. Dabei harmonierten Teixeira-Rebelo und Lindenhahn auf der rechten Seite prächtig. Die Partie plätscherte vor sich hin - ich prognostizierte, dass wir niemals vor der Pause noch treffen. Zielstellung: Nullnummer in die Pause mitnehmen. Es kam anders. Der Leipziger Benjamin Boltze flankt einen Freistoß auf den "Nischel" des Dresdners Christoph Klippel - Jan Glinker im FCU-Tor streckt sich vergeblich... der Ball schlägt ein... TOOOOOR!
Torschütze und Vorbereiter sprinten übers Feld und bieten dem halleschen Publikum ein sächsisches Tortänzchen. Meine Mundwinkel scheinen für die restliche 1.Hälfte weit oben im Gesicht angetackert zu sein.
Halbzeit, durchatmen. Kraft sammeln in den Kabinen und auf den Rängen. Es beginnt das muntere Minutenrunterzählen. Ca 45 an der Zahl, eine langsamer als ihr Vorgänger. Union beginnt auf den Ausgleich zu drängen. Mattuschka drischt die Freistöße in den halleschen Strafraum, doch es will nicht gelingen. Eine Ecke nimmt Jerome Polenz in bester Arjen-Robben-Manier volley, Darko Horvat hat keine Abwehrchance im Tor, aber Pavel David setzt seine ganzen 174cm spektakulär in Szene und klärt. Einwechsler Karim Benyamina kann nicht wirklich durch Torgefahr glänzen, der quirlige Christopher Quiring setzt da schon ganz andere Akzente. Eine Hereingabe von ihm landet bei Björn Brunnemann, der den Ball aus bester Position am Tor vorbeigurkt. Patrick Kohlmann löst im 20.Anlauf Mattuschka als Freistoßschütze ab und knallt den Ball an die Latte. Kurz darauf versucht es wieder Unions Kapitano, der Ball zischt durch den 16er, bis er von Steve Finkes Schädel ins Aus befördert werden kann. Die Sensation ist greifbar, fühlbar... noch wenige Minuten und man kann sie schmecken, oder!?
Meine Mannschaft führt kurz vor Schluss 1:0 gegen einen Zweitligisten und macht das Spiel des Jahres. Ergo zünde ich doch mal ne Rauchbombe beschmeiß Glinker mit Böllern - so oder so ähnlich müssen ein paar Chaoten im Fanblock in der 87./88.Spielminute gedacht haben. Spieler, Präsidium, Trainer - alle stehen sie vor dem Sektor B des Zentralstadions und schreien sich ihre Wut aus der Seele. Glinker zeigt Sportsgeist und markiert nicht den sterbenden Schwan, sondern spielt eisern weiter. Das ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr im Profisport, danke Jan!
Peter Sippel erlöst nach 93 Minuten alle die, die es mit dem Landespokalsieger Sachsen-Anhalts halten. In uns steigt ein überragendes Gefühl auf, wir fühlen uns wie besoffen ohne einen Tropfen Alkohol genossen zu haben. Patrick Mouaya demonstriert mit seinen 10 Fußballfreunden, was er tänzerisch von Asamoah Gyan im TV bei der WM gelernt hat. Nach der Feier nahm man langsam Abschied von Leipzig, seinem WM-Stadion, den ominösen Werbebanden und von der 1.Runde des DFB-Pokals. Nicht ohne einen Blick auf Runde zwei zu werfen. Es bleibt zu hoffen, dass der CFC einen Tag vor uns ran muss und die Siegerbanden wieder durch Sachsen wandern. Mein Pokaltipp: 2.Runde gegen Hertha BSC.
Draußen gab es dann noch den ersehnten Hopfenblütentee. An der ARAL-Tanke in Schkeuditz hieß es für mich umsteigen Richtung Süden. Dort traf man noch auf etwas desillusionierte Unioner, die es mit Galgenhumor nahmen: "Gegen Halle verlieren auch ganz andere." Da musste ich ihnen recht geben: Gegen den HFC zu verlieren ist keine Schande.
Soran und der Saalkreiser haben sicherlich fleißiger geknipst als ich, vielleicht stellen sie noch ein paar Bilder rein. Ansonsten empfehl ich die Union-Schnappschüsse
Hallescher FC - 1.FC Union Berlin 1:0 (1:0)
Tor: 1:0 Klippel (38.)
Zuschauer: 9.020
HFC: Horvat - Teixeira, Klippel, Mouaya, Benes - Boltze, Finke - Lindenhahn, David (68. Hebestreit), Kanitz (74. Aydemir) - Neubert (85. Müller)
FCU: Glinker - Polenz, Madouni, Göhlert, Kohlmann - Younga-Mouhani (82. Peitz), Mattuschka - Brunnemann, Kolk (70. Quiring), Ede (57. Benyamina) - Mosquera