Jeder im Stadion wusste am Samstag das dieser Tag kommen musste. Die Meinungen über den Stadionbau in Halle gehen weit auseinander, aber jeder musste sich irgendwie eine kleine Träne verdrücken - denn es war der letzte Besuch des alten Kurt-Wabbel-Stadions. So ein historischer Stadionbesuch muss natürlich im Vorfeld geplant werden, ergo zogen NOFBler chemie-rot-weiß aus, um Werbung für einen längst vergessenen Fußballverein zu machen. TuS Emstekerfeld, an der Peripherie Cloppenburgs gelegen, verpflichtete im Winter das Jahrhunderttalent Henning Große-Macke vom SV Wilhelmshaven. Grund genug sich endlich ein Trikot dieses Vereins und im speziellen von Henning zu sichern, ein Autogramm von ihm durfte natürlich nicht fehlen. 4061 Zuschauer waren der würdige Rahmen, um das Shirt aus dem Schrank zu kramen. Und etwas Anreiz durfte nicht fehlen, also wurde vorher eine Wette um den letzten Torschützen im KWS vereinbart. Ich setzte auf Jaroslaw Lindner (Hannover), Thomas Neubert, Ronny Hebestreit, Hendrik Hahne (Hannover) sowie Selim Aydemir. Wesentlich loyaler tippte c-r-w, der Nico Kanitz, Markus Müller, Toni Lindenhahn und Angelo Hauk aus den rot-weißen Reihen nominierte und Benjamin Gaudian als Gästejoker in Reserve hatte.
Samstag früh halb 8 klingelte der Wecker und ich schleppte meinen verkarterten Körper gen Zug, um überpünktlich beim finalen Aufgalopp zu erscheinen. Kurze Mittagspause in der Saalestadt und es konnte losgehen. Am Stadion fiel schnell auf, das die Trikotwahl evtl. etwas unglücklich war, denn mit gelben und blauen Farben wollte man im KWS wirklich nicht punkten. Ein allerletztes mal drehte ich die übliche Runde, wohl bewusst der Tatsache, dass wir in der Form nie wieder im Wabbel zusammen kommen werden. Der normale Aufgang in die Badkurve war sogar schon gesperrt, so dass meine Füße die glorreichen Treppenstufen nicht mehr berühren konnten.
Die Choreo in der Fankurve zeigte in schöner Abfolge die "Highlights", die das KWS erlebt hatte, von dem aber die wenigstens Stadionbesucher (inklusive mir) live vor Ort waren. Die angekündigten Fans von der Leine ließen etwas auf sich warten und trudelten mit einiger Verspätung im Gästesektor ein. Die erste Halbzeit plätscherte ein wenig vor sich hin. Die Sonne strahlte als wollte sie sich persönlich mit bestem Wetter vom halleschen Stadion verabschieden. Der HFC - immerhin frischgebackener Landespokalsieger - spielte etwas konzentrierter und zielstrebiger als zuletzt in der Regionalliga. Vor allem der nach Rotsperre zurückgekehrte Ronny Hebestreit tauchte immer wieder gefährlich auf - was mich positiv stimmte. Schließlich wartete fremdfinanziertes Bier auf mich, wenn "Hebe" als letztes im KWS zuschlug. Allerdings lungerte auch Gaudian auf Hannoveraner Seite erschreckend oft am Fünfmeterraum rum.
Kurze Diskussion zur Halbzeitpause - was ist bei einem 0:0? Thomas Neubert hatte zuletzt gegen Wilhelmshaven getroffen - ein genialer Schachzug meinerseits den Stolperstorch in die Favoritenliste aufzunehmen, doch die Frage erübrigte sich später. 10 Meter neben uns entdeckte ich den mal wieder angereisten Soran, der es sich nehmen ließ das KWS persönlich zu verabschieden. Das Friesenstadion in Sangerhausen schien, seiner Aussage nach, auch nicht nachhaltig unter dem Pokalfinale gelitten zu haben.
In der 2.Halbzeit fielen nun endlich Tore. Nach dem es zu einem Worstcase-Wechsel aus meiner Sicht kam (Müller für Neubi), traf auch noch Lindenhahn in den Winkel - schickes Tor gleichbedeutend mit einem breiten Grinsen bei chemie-rot-weiß. Die Freude währte nicht lange: Darko Horvat legte sich den Ball mit der Hand vor ohne zu wissen, dass er damit seinen größten Klops im HFC-Trikot besiegelt hatte. Hinter ihm stand Jaroslaw Lindner, der blitzschnell schaltete und einlochte. Die mitgereisten Hannoveraner feierten und ich bekam urplötzlich Durst. Als Hauk und Aydemir das Feld betraten, wurde es noch mal interessant, aber die großen Chancen blieben aus. Stattdessen feierten die Fans das KWS, machten die allerletzte UFTA im alten Stadion und nach Abpfiff eine kleine Pyroshow, die ohne Störungen von statten ging. In der letzten Spielminute - ich hatte fest mit Andrea Bocellis "Time to say goodbye" gerechnet - ertönten die Onkelz ("Erinnerungen") durch die Lautsprecher. Etwas kurios verabschiedeten sich die Gästefans: erst gingen die 96-Bubis zum Abklatschen in den Nachbarsektor vom Gästeblock um dann dort mit den Fans abzuklatschen und anschließend wollten die mitgereisten Hannoveraner Fans gar nicht mehr raus aus dem Block. Scheinbar genossen sie das hallesche Wetter und die Möglichkeit als letzte Gästefans im Wabbel aufzutreten.
Wir sahen uns kopfschüttelnd kurz das Spektakel auf der Straße der Republik an, dort meinten einige Jugendliche das sich ihr Lebenstraum erfüllt, wenn man Polizisten mit Flaschen und Feuerwerkskörpern bewirft, um dabei oberkörperfrei und mit vermummten Gesichtern auf Polizei-Videos zu posieren. Wir verabschiedeten uns von Soran und peilten den nächsten Bierstand an, denn Jaroslaw Lindner hatte mir mein Freibier "erarbeitet". Dabei kamen einem natürlich wieder einige bekannte Gesichter entgegen, die man über Jahre im Stadion traf und die nun einen neuen Zufluchtsort suchen. Derweil versuchten wir einigen HFC-Fans zu erklären, dass wir keine Missionare der "Lok-und-Halle"-Bewegung sind und das wir nicht extra aus Cloppenburg-Emstekerfeld für dieses Spiel angereist sind.
16.30 Uhr verließ ich die Szenerie, ein paar Abschiedsfotos von einem Stück Heimat gemacht und aufs dringende reperaturbedürftige Fahrrad geschwungen. In Delitzsch hieß es für mich erneut Abschied nehmen. Der 1.SV Concordia bekam für die neue Handball-Saison zunächst keine 2.Liga-Lizenz und beendete die Saison sportlich gegen Coburg (38:30). Gegen den Lizenzentzug legt Concordia - vor kurzem 100 Jahre alt geworden - Beschwerde ein. Die Zukunft ist ungewiss...
...für den HFC scheint der Weg vorgegeben zu sein. Kommende Saison geht es in das reichlich frisierte Neustädter Stadion, wahlweise ins Zentralstadion wenn der Gegner es gebietet. In zwei Jahren ist vom alten KWS nicht mehr viel übrig, aber es soll wieder in der Kantstraße Fußball gespielt werden. Viele sehen das ganze noch skeptisch, die Finanzierung fußt auf mehr als wackligen Beinen. In der Zwischenzeit kann man ja in Erinnerungen an die alte Spielstätte schwelgen. Im Prinzip hätte man das Spiel gegen Hannover nie abpfeiffen müssen - oder um mit einem Song von Dritte Wahl zu sprechen:
ZitatAlles anzeigenEs wird getrunken und gelacht
und erzählt die ganze Nacht
und ich lehn mich kurz zurück
und genieße still mein Glück.
Das sind die Momente
wo ich wenn ich es könnte
mir wünschen würde
das sie nie vergehn.
Liebe gute alte Zeit
bleib ein bisschen stehn
ruh dich aus für eine Weile,
denn es ist grad so schön.
lasst uns hier und heute bleiben
halt die Uhren alle an
diesen Augenblick wollen wir genießen 100 Jahre lang.
Hallescher FC - Hannover 96 II 1:1 (0:0)
Tore: 1:0 Lindenhahn (64.), 1:1 Lindner (71.)
Zuschauer: 4.061
HFC: Horvat – Benes, Butzmann, Lachheb, Knaack - Schubert (78. Hauk), Finke, Lindenhahn, Kanitz (78. Aydemir), Hebestreit - Neubert (62. Müller)
H96: Maluck – Celikyurt (79. Aycicek), Ibelherr (62. Ionnaou), Hofmann, Balogun - Ernst, Chahed, Lindner, Gaudian, Gashemi (67. Bopp) - Hahne