Slowakische Ostern

  • Slowakische Ostern 1


    „In Tschechien fuhren wegen eines schweren Schneesturms sogar 100 Autos ineinander. Auf der Straße von Prag in das südöstliche Brno seien bei Unfällen insgesamt sechs Menschen schwer und 18 weitere leicht verletzt worden, erklärte der Regionalgouverneur Milos Vystrcil. Aufgrund der Massenkarambolage seien Hunderte Autos im Stau stecken geblieben und 50 Kilometer der Autobahn lahmgelegt worden. Auch in den nächsten Tagen dürfte ob der Wetterlage mit äußerst schwierigen Straßenverhältnissen zu rechnen sein.“


    Es war fünf Minuten vor Feierabend an diesem Gründonnerstag, als ich ein letztes Mal über die Online-Ausgabe eines politischen Hetzblattes schaute und diesen Teil eines Artikels über ein Sturmtief namens „Melli“ entdeckte. „Tolle Wurst“, dachte ich, wollte ich doch zwölf Stunden später eben jene Autobahn nutzen um ins Herz Europas zurückzukehren. Die Slowakei, die Heimat meiner Großeltern, rief zum alljährlichen Besuch. Gemeinsam mit Mudders Sohn (Görti), der die selben Großeltern hat wie ich, und Cousin Martin, der dies zwar nicht von sich behaupten kann, dafür aber das gleiche Glück wie Familie Montsko besitzt, dass die Wurzeln seiner Vorfahren auch in dieses Kleinod zurückreichen, hatte ich mir einen Wagen von der orangefarbenen Autovermietung geborgt, um eben jenen Wurzeln zu huldigen und, nebenbei sozusagen, Fußball zu schauen. Die Slowakei taugt nicht, um es für eine schlichte Fußballtour zu missbrauchen. Zu voll ist es an Kulturschätzen, zu herrlich ist die Natur, zu fest unsere Bindung. Die Farbe der Autovermietung nenne ich an dieser Stelle nicht ohne Grund. Es ist ein Zeichen der Dankbarkeit meinerseits, da sie die einzigen waren, die es wagten ein Auto ins gefährlichste und tiefste Osteuropa zu vergeben. Rassismus nenne ich das. An der völlig falschen Stelle... Sicher, auch sie kassierten ihre dümmliche (Zwangs-)Vollkasko zusätzlich ab, aber besser als nichts. Eine Reise mit Bus und Bahn kam für die folgenden sieben Tage nicht in Frage; zu ausgefüllt war der Plan, zu eng die Termine.
    Aber zurück zu „Melli“. Warum mir diese Ausgeburt der Hölle vor allem Sorgen bereitete war die Tatsache, dass wir, um weiteren finanziellen Verschwendungen im Zusammenhang mit unserem vierrädrigen Gefährt zuvorzukommen, auf die Option von Winterreifen für günstige 14 Euro am Tag vorausschauend verzichtet hatten. Und nun sollte also plötzlich zum Frühlingsfest der Kommunisten der Winter zurückkehren. Ach, was hieß „zurückkehren“; Ende März sollte er auf einmal beginnen... Ich hasse den Winter wie die siebzehn Fußballvereine, zu denen ich meinen beschaulichen Verein von der Ostsee im Laufe eines Jahres begleite. Diese Laune der Natur passte mir in etwa so in den Kram, als ob meine Freundin heute oder morgen oder in fünf Jahren zu mir sagen würde: „Ach Ralf, jetzt werden wir eine richtig kleine Familie...“
    Doch noch bestand Hoffnung. Die Tschechische Republik lag noch gute 540 Kilometer entfernt, zunächst galt es erst einmal den städtischen Bahnhof zu erreichen, wo neben Görti auch der Mietwagen wartete. Dort gab es dann das nächste ungute Gefühl. Während der Herr Autovermieter in seinem Computer nach unserer Reservierung suchte, telefonierte er mit der Garage und dabei fiel folgender Satz: „Du, sag mal, den Micra, haste den schon oben, oder steht der noch hier unten?!“ Micra?! Ich dachte, ich höre nicht richtig. Sicher, einen türkischen Volkswagen von BMW oder einen deutschen Volkswagen, von, nun ja, Volkswagen, hatten wir aufgrund der seltsamen Klauseln in den AGBs sowieso nicht erwartet. Aber ein Micra?! Nein, das musste nun doch wohl wirklich nicht sein. Herr Autovermieter hatte mittlerweile sein Telefonat beendet, unsere Reservierung gefunden und Görti seine Geldkarte in den Schlitz gesteckt, da begann er: „So, meine Herren hier haben Sie die Schlüssel.“ Er sagte dies in so einem widerlichen „So-jetzt-aber-bitte-schön-dankbar-sein-ihr-kleinen-Schieter“-Ton, woraufhin uns nur zu antworten übrig blieb: „Danke.“ Und zwar in so einem befriedigenden „Für-einen-Service-den-wir-dir-teuer-bezahlen-du-gegelter-Lackaffe“-Ton. „Wir haben für Sie einen Fiat Bravo in der dritten Etage stehen. Es war sogar noch ein Diesel frei.“ „Gut“, dachte ich, „kein Micra.“ „Schlecht“, dachte ich, „in der Slowakei ist Diesel teurer als Benzin.“ Aber das war jetzt egal. Wir hatten den Schlüssel in der Hand. Die Fahrt konnte beginnen.
    Das war auch bitter nötig. Die Fahrt zum Bahnhof, das Procedere des Schlüsseltausches, alles hatte irgendwie viel zu lange gedauert. Mittlerweile war es halb sieben und in einer Stunde wollten wir eigentlich schon in Siegen sein, das von Düsseldorf gut und gern 130 Kilometer entfernt liegt. Dort spielten am Abend die heimischen Sportfreunde gegen den Fußballclub aus Ingolstadt um Punkte in der südlicheren der beiden Regionalligen. Aber schnell mussten wir feststellen, dass dieses Spiel für uns ein vager Traum bleiben sollte. Schon an der ersten Kreuzung hatte uns der städtische Feierabend- und vorösterliche Reiseverkehr verschlungen. Ersteren konnten wir nach einigen Minuten auf der Autobahn hinter uns lassen, letzterer hingegen war fortan unser ständiger Begleiter. Neben ergiebigem Regen übrigens, welcher Dank positiver Temperaturen von Schnee und Eis noch drei bis vier Grad entfernt war. Und einen weiteren treuen Reisekameraden hatten wir ebenso dabei: deutsche Autobahnbaustellen. Die ersten Stunden der Fahrt waren ein einziges Leiden. Die Autobahnausfahrt Siegen erreichten wir pünktlich zum Halbzeitpfiff. Obwohl das Leuchten der Flutlichtmasten hinter den nahen Bäumen mit noch 45 Minuten Leimbachstadion lockte, entschlossen wir uns dagegen und folgten dem äußerst zähflüssigen Trott weiter gen Osten.



    Eine Stunde nach Mitternacht, und damit auch eine gute Stunde nach Plan, erreichten wir die Heimat der Himmelblauen, Chemnitz. Die Straßen waren wie leergefegt, der Regen hatte mittlerweile aufgehört, einzig der eisige Wind fegte noch durch die Gassen. In der sächsischen Einöde wartete Cousin Martin auf uns. Die späte Ankunft hatte zur Folge, dass uns, und vor allem mir als Fahrer, wichtige Minuten Schlaf vor dem Abschied aus Deutschland geraubt wurden. Um fünfzehn Uhr wollten wir schon im slowakischen Heimatdorf sein, das 820 Kilometer entfernt lag. Die Aussicht auf die tschechische Autobahnen und vor allem die Schlampe Melli, hatten uns gehörigen Respekt eingejagt, so dass wir den Wecker auf drei Uhr stellten. Gefühlte fünf Minuten vor dem Klingeln dürfte ich eingeschlafen sein. Doch für Wehleidigkeiten war keine Zeit. Das Ziel war zu groß und die Fahrt dorthin zu lang... Eine halbe Stunde später saßen wir also zu dritt in unserem Gefährt. Görti hatte die Rückbank abonniert, Cousin Martin spielte Beifahrer und ich durfte fortan entscheiden, wann wir wo wie lange für was anhalten sollten. Und zwar für die kommenden sieben Tage.
    Die Straßen von Chemnitz, von ganz Sachsen waren zu diesem frühen Zeitpunkt autotechnisch noch immer ziemlich übersichtlich, so dass wir sehr zeitnah die deutsch-tschechische Grenze erreichten. Von etwaigem Schneegestöber oder gar -sturm war weit und breit nichts zu erkennen. Sicher, es tröpfelte ein wenig und die Temperaturen konnten sich nur noch ähnlich knapp über der schwarzen Null halten, wie mein Kontostand am Monatsende, aber von irgendwelchen Verkehrsbeeinträchtigungen und Sommerreifenherausforderungen waren wir weit entfernt. Wenigstens so weit wie Brno, hofften wir. Aber es wäre ja auch nicht das erste Mal, dass sich Spiegel Online irrt. Das tut es bei hintergründigen Fußballartikeln ja ebenfalls des Öfteren. Dank des Schengener Abkommens und endlich fertig gestellter grenzüberschreitender Autobahn war auch der Länderwechsel nur ein kleines Geschichtchen, das keiner weiteren Worte bedarf. Und so durchfuhren wir den letzten Tunnel und bewegten uns fortan auf tschechischem Hoheitsgebiet. Auf tschechischem und verschneitem Hoheitsgebiet. Auf tschechischem, verschneitem und spiegelglattem Hoheitsgebiet... Die folgenden Kilometer waren eine einzige Odyssee. Der Schneesturm machte es unmöglich eine Handbreit nach vorn zu schauen, die Straßenbegrenzungen waren fortan die Bäume auf der linken und rechten Seite. Mit erhöhter Schrittgeschwindigkeit und allen verfügbaren (Warn-)Leuchten, die uns unser Fiat zur Verfügung stellte, bewegten wir uns mühsam voran…
    Nach einiger Zeit erreichten wir die erste Tankstelle, was aus zweierlei Gründen von Nutzen war. Zum einen ging die Füllung des Tanks arg zur Neige und zum zweiten war die Gelegenheit günstig, die mehr oder weniger nötigen Autobahnvignetten für die ehemalige Tschechoslowakei zu erstehen. Insgesamt 18 Euro kosteten die Autobahnbenutzungserlaubnisbescheinigungen für die beiden ehemaligen Bruderstaaten. Nachdem beides erledigt war, machten wir uns wieder auf; der Weg war noch weit. Je weiter wir Richtung Prag vordrangen, umso besser wurden auch die äußeren Umstände. Aus Schnee wurde Regen und ab Prag ließ auch dieser nach. Einzig der Himmel erweckte noch immer den Eindruck, dass minütlich ein neues Unwetter beginnen könnte; doch vorerst beließ er es bei der optischen Drohung. Die tschechische Hauptstadt ließen wir ohne größeren Aufenthalt hinter uns und befuhren nun die Autobahn, von der ich Stunden zuvor noch Schlimmstes gelesen hatte. Von den Verwüstungen, Naturkatastrophen und Unfällen war mittlerweile aber kaum noch etwas zu erkennen. Ab und an lag eine Motorhaube am Straßengraben oder aber die Leitplanke war seltsam verformt, doch zu irgendwelchen, Behinderungen kam es nicht. Und während Görti und Cousin Martin den Schlaf der Nacht nachzuholen versuchten schritt die Reise problemlos und zügig voran.
    Eine Stunde vor dem Mittag erreichten wir schließlich das tschechisch-slowakische Grenzgebiet, wo ich mir sicher war, ein Déjà-vu-Erlebnis zu haben. Je näher wir dem Grenzübergang kamen desto dichter wurde das plötzlich einsetzende Schneetreiben. An ein zügiges Vorankommen war nicht mehr zu denken. Die Sichtverhältnisse waren eine 1-zu-1-Kopie vom Morgen. Also wiederholte sich das Spiel: Mit erhöhter Schrittgeschwindigkeit und allen verfügbaren (Warn-)Leuchten, die uns unser Fiat zur Verfügung stellte, bewegten wir uns mühsam voran… Nach elendig langen Minuten hatten wir aber auch die letzte Anhöhe vor der Slowakei erreicht und rollten nun die Serpentinen hinab ins Waagtal. Die Slowakei begrüßte uns mit zaghaften Versuchen der Sonne, das Einheitsgrau des Himmels zu durchbrechen. Es gelang ihr nicht ganz.
    Und da waren wir also wieder im gelobten Land. Die Stimmung war allerbest; wir lagen trotz aller Widrigkeiten bestens im Zeitplan. Bis Kniesen, unserem Ziel, waren es nun noch knapp 280 Kilometer. Die Fahrt führte uns vorbei an Trencin, bekannt durch ihre unverwechselbare Burg über der Stadt und den Tennisschlägerartigen Flutlichtmasten des städtischen Stadions, und Zilina, mit seiner absolut beschaulichen Innenstadt, und dann weiter entlang an einer der schönsten Straßenabschnitte im Land, der Straße nach Martin, zwischen den Bergen und der Hron. Halb drei und nach ziemlich genau elf Stunden Fahrt erreichten wir schließlich Kniesen. Es ist erstaunlich, aber die letzten Kilometer auf der schlecht ausgebauten Landstraße von Poprad kommend, beschleicht mich noch immer so ein aufgeregtes Gefühl, wie früher, in den letzten Minuten vor der weihnachtlichen Bescherung. Und wenn nach der letzten Kurve der Turm der Dorfkirche erscheint, dann ist es, als ob Vadders gerade mit dem Glöckchen bimmelt und die Tür zum hell erleuchteten Tannenbaum geöffnet wird. Mit schweigender Aufgeregtheit überquerten wir die Dorfgrenze und als ob die einfachen Häuser an der Hauptstraße völlig neu für uns wären, glotzten wir freudestrahlend aus unseren Fenstern.



    Es gab im Grunde nicht viel, was wir am Karfreitag noch vorhatten. Ein kurzer Gang über den Friedhof auf der Anhöhe über dem Dorf, von wo wir die gleichen Fotos wie jedes Mal machen wollten, die Karfreitagsmesse in der Dorfkirche besuchen, so wie es sich für gute katholische Exil-Slowaken gehört, und schließlich in unser Lieblingslokal „Franka“ einkehren, um günstig, aber vor allem gut zu essen. Zuvor allerdings fuhren wir in die nur vier Kilometer entfernte Kreisstadt Stará L'ubovna (Altlublau), um den Sportplatz des ortsansässigen MFK Goral Stará L'ubovna zu begucken, was strenggenommen unser Heimatverein ist. Im März des Jahres 1923 gründete ein gewisser Doktor Schich den Sportklub Altlublau, den wir am nächsten Morgen zu seinem Auswärtsspiel in die slowakische Hauptstadt begleiten wollten. Der Verein der 15.000-Einwohner-Stadt war in der vergangenen Saison ziemlich ungefährdet in die zweite Liga aufgestiegen und lag dort nach der Winterpause ähnlich ungefährdet auf dem letzten Tabellenplatz. Der Rückstand auf den ersten Nichtabstiegsplatz betrug mittlerweile sechs Punkte.
    Das Stadion war eine kleine Enttäuschung für uns. Nicht nur, dass wir äußerst umständlich über den typisch slowakischen Sichtschutzzaun klettern mussten, um im Stadionrund dann festzustellen, dass neben dem Haupttor ein offener Eingang war, nein, der Sportplatz präsentierte uns auf der Hauptseite zwei überdachte Sitzplatztribünen in den stadteigenen Farben gelb und rot. Es existieren allerdings alte Schwarz-Weiß-Fotos, auf denen die Kampfbahn abgebildet ist und an eben jener Längsgeraden steht dort eine imposante Holztribüne. Aber wie die Bilder ist diese Vergangenheit. Überhaupt ist der MFK Goral Stará L'ubovna im Grunde kein Verein mehr zum Gernhaben. Der Vereinsname verrät es schon; er lautete nicht immer so. Goral ist ein ziemlich edler (und guter) Wodka aus der Hohen Tatra. Die Firma hat sich nicht nur in den Namen geschlichen, sondern auch in das neue Vereinswappen und die Farben. Der MFK spielt schon längst nicht mehr in gelb und rot, sondern im grundsätzlich sympathischen aber hier völlig deplacierten weiß und blau. Salzburger Verhältnisse im slowakischen Hinterland sozusagen; allein der Protest geht gegen Null. Aber woher soll er auch kommen; der unterklassige Fußball spielt im gesellschaftlichen Stadt- bzw. Dorfleben kaum eine Rolle. Einzig die KKK, die Kaos Krew Kniesen, kämpft unvermindert für den Erhalt der alten Traditionen. Ganz im Sinne des Herrn Doktor Schich...



    Nach unserer Rückkehr nach Kniesen, machten wir uns auf den Weg zum Friedhof, von wo man die ganze Besiedlung bestens überblicken kann. Die Sankt-Bartholomäus-Kirche im Zentrum, die Popper am östlichen Rand, die Neubauten in Richtung Stará L'ubovna und die heruntergekommene Gosse der Zigeuner direkt unter dem Friedhof. Über diese Minderheit, die in 50 Jahren schon die Mehrheit der Bevölkerung stellen könnte, will ich nicht viele Worte verlieren. Nur soviel: Im heimischen deutschen Studentenwohnheim über die Diskriminierung der Sinti und Roma zu schimpfen, frei jeglicher Kenntnisse, ist wie Sitzen im Stadion – nämlich für’n Arsch.
    Kurz vor 16 Uhr machten wir uns auf in die Taufkirche des Herrn Papa und wie geplant gönnten wir uns anschließend ein nicht ganz karfreitägliches Abendmahl im „Franka“. Da wir am nächsten Morgen schon um halb elf in Bratislava sein mussten, um pünktlich zum Anpfiff des Gastspiels des MFK zu sein, entschieden wir uns schon einen Teil der Strecke am Abend zurückzulegen und in Trencin ein Nachtquartier zu finden. Direkt vor den Toren der Altstadt gibt es dort eine relative gute und günstige Herberge, die wir anvisierten. Die Fahrt verging relativ ereignislos, durch die eingetretene Dunkelheit verlor auch die Strecke zwischen Martin und Zilina ihren Reiz – schwarze Wände links und rechts sind langweilig. Einzig zwei Polizisten sorgten für kurze Aufregung und Erheiterung, als sie unser Gefährt im Nichts an die Seite winkten, ich den Kofferraum öffnen musste, sie nicht einmal hineinblickten und uns dann weiterfuhren ließen. Seltsame Begebenheit zu später Stunde…
    Zehn Minuten nach zehn erreichten wir die Perle des Waagtals und fanden auch sofort die auserwählte Pension Svorad. Cousin Martin und ich machten uns sogleich auf den Weg zur Rezeption, die bereits dunkel und verschlossen war. Just in dem Moment, als wir die Klingel betätigten, erblickten wir ein Hinweisschild, auf dem stand, dass ein Einchecken nach 22 Uhr nicht mehr möglich sei. Die Hoffnung auf ein akademisches Viertel machte der Nachtwächter zunichte, der mit eiserner Miene auf das Schild verwies und uns lapidar mitteilte, dass das Haus ausgebucht sei. Erster Anlaufpunkt nach dieser Enttäuschung war eine kleine Pension genau gegenüber. Doch die dortigen Preise für drei Betten überstiegen nicht nur unser Budget, sondern auch unsere Toleranzgrenze. So setzten wir uns wieder in unser Auto und suchten nach einer passenden Herberge vor den Toren der Stadt. Ausgewiesen waren Pensionen zur Genüge, allein das Auffinden war schwerer als erhofft. Die Pension Suzanna, deren Beschilderung wir zuerst folgten, stellte sich nach zehn Minuten als Bauruine heraus. Das Hotel Royal, welches wir anschließend ansteuerten und uns in eine enge Hintergasse führte, war bereits ausgebucht, blieb die Pension In, die wir nach einigem Hin und Her, sowie dem Befragen eines slowakischen Erdenbürgers im benachbarten Zamarovce ausfindig machen konnten. Mittlerweile war es schon elf Uhr und die Wirtin war gerade dabei zuzusperren, als wir in den Hof einbogen. Die Nacht kostete uns 1.600 Kronen, was zwar leicht über dem gesetzten Limit lag, aber wir waren mittlerweile einfach zu müde und hatten keine Lust mehr weiterzusuchen. Außerdem war die Herberge äußerst wohnlich, schon fast zu edel für uns drei. Bevor wir allerdings das Zimmer beziehen konnten standen wir plötzlich vor einem Problem: Zwischen Einparken und Auspacken verlegte ich den Autoschlüssel. Drei-, viermaliges Ausleeren all meiner Taschen brachte den Schlüssel nicht zurück. Minutenlang durchsuchten wir das Auto und die nähere Umgebung. Ohne Ergebnis. Cousin Martin wurde schon leicht ungeduldig, Görti war über diesen Zustand schon hinaus. „Hast Du in deinen Taschen geguckt?!“ – „Ja.“ – „Und steckt er vielleicht noch?!“ – „Nein.“ – „Und im Auto?!“ – „Hab ich auch geguckt; is’ er nicht.“ Während Cousin Martin mich interviewte brüllte Görti plötzlich vom Fahrersitz, den Kopf vornüber unter den Sitz gebeugt: „Ich hab ihn. Du Dummkopf.“ Und so war nach langen Minuten auch diese Aufregung vorbei. Die Herbergsmutter, eine äußerst sympathische und schlagfertige Mittvierzigerin, zapfte uns anschließend noch ein Feierabendbierchen und nach ein paar kurzen Runden Knack, schliefen wir in unserem zweigeschossigen Zimmerchen friedlich ein.



    Der nächste Morgen begann früh für uns. Bis in die Hauptstadt war es noch eine gute Stunde Fahrt, das erste Spiel der Reise auf dem Plan. Was mir in Deutschland die Zornesröte ins Gesicht treiben, was mich wütend aufschreien und tägliche Briefe an die Fußballfunktionäre schreiben lassen würde, war mir in der Slowakei gerade recht – die absolute zeitliche Aufteilung des Spieltags; Erst- und Zweitligaspiele schon am Vormittag.
    Der Abschied von Trencin fiel nicht schwer. Schon zwei Tage später, so war geplant, wollten wir unser Nachtlager erneut in diesem beschaulichen Städtchen aufschlagen. Doch nun wartete zunächst das österliche Bratislava auf uns. Die slowakische Hauptstadt ist dank ihrer Größe ziemlich übersichtlich und so erreichten wir ohne Probleme unser Ziel, das Pasienky. Seine gelb-schwarzen Flutlichtmasten machen es im Grunde schier unmöglich die Heimstätte von Internacionál zu übersehen. Das Auto stellten wir am nahen Billa ab, wo wir vor Spielbeginn auch noch fix die Tagesration an Nahrung erwarben.


    FK Inter Bratislava - MFK Goral Stará L'ubovna
    Samstag, 22.03.2008 - Prvá Futbalová Liga - 22. Spieltag - Pasienky - Zuschauer: 545 - Endstand: 1-2


    Das Stadion des dreifachen Landesmeisters fasst 13.000 Zuschauer. Am heutigen Samstagvormittag verliefen sich gerade einmal (offiziell) 545 Zuschauer bei 40 Kronen Eintritt im weiten Rund, was für slowakische Zweitligaverhältnisse eher unterdurchschnittlich ist. Halb geschätzt, halb gezählt würde ich sogar von knapp der Hälfte an Besuchern sprechen. Der Aufstiegszug für die ehemalige Spitzenmannschaft war in dieser Saison wieder einmal vorzeitig und ohne sie abgefahren. 18 Punkte Rückstand auf Presov waren uneinholbar und heute wurde erfolgreich daran gearbeitet, diesen Rückstand möglichst nicht zu verkleinern. Über den Stand der Dinge bei unserem MFK habe ich bereits berichtet. Aus dem weiten Stará L'ubovna waren neben uns dreien, nur zwei weitere Sympathisanten angereist. Vater und Sohn, Mitte dreißig und fast zwei, hatten es sich samt Zaunfahne in der Kurve links neben der überdachten Haupttribüne gemütlich gemacht. Auf der anderen Seite, rechts der Tribüne standen etwa zwanzig Mann mit ihren gelb-schwarzen Schals, die aus der Entfernung betrachtet, einen ganz geruhsamen Eindruck machten und über ganz seltene „Inter do toho“-Rufe nicht hinaus kamen. Verweilt man ein wenig im Internet, kann man schnell erkennen, dass die Anhängerschaft des Hauptstadtklubs online mittlerweile aktiver zu sein scheint, als im Stadion. Der Rest der Zuschauer setzte sich aus einheimischen Fußballinteressierten und einem guten Dutzend deutschsprachiger Touristen zusammen.
    Während in den Kurven die Stehplätze vor geraumer Zeit mittels Holzbänken in Sitzplätze umgewandelt wurden und nur noch die Wellenbrecher an bessere Tage erinnern, ist die Gegengerade versitzschalt und zwischen die gelben Sitze haben sich einige schwarze gemogelt, die – welch Wunder – den Namen des Heimatvereins ergeben. Erwähnenswert sei noch, dass sich unter der alten, aber noch (zumindest teilweise) intakten Anzeigetafel ein Graffiti befindet, wohl ein Gastgeschenk vom letzten Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft, bzw. ihrer nordostdeutschen Anhängerschaft. In gelben Lettern lachte mich dort ein „F.C. HANSA ROSTOCK!!!“ an. Die Geschichte des Spiels ist schnell erzählt. Es war niveauarm, aber zum Ende hin durchaus spannend. Die Gäste gingen schon früh in Führung und konnten diese bis in die Pause retten. Kurz nach Wiederanpfiff glich Inter durch einen Freistoß aus, aber fünf Minuten vor dem Ende konnte Stará L'ubovna unter fünffachem Jubel auf den Rängen den wichtigen Siegtreffer erzielen. Wichtig vor allem deshalb, weil an diesem Spieltag auch alle anderen Kellerkinder mindestens einen Punkt holten. Was der Sieg letztlich Wert sein würde, konnte der MFK erst am folgenden Spieltag beweisen; da sollte es zum Tabellennachbarn ins ostslowakische Trebisov gehen. Inter hingegen konnte sich schon jetzt auf einen neuen Anlauf für den Aufstieg in die Bier-Liga in der nächsten Saison vorbereiten.



    Und in eben jener Bier-Liga stand am späten Nachmittag der Höhepunkt unserer fußballerischen Reise an. Und das bereits am zweiten Tag. Aber bevor es so weit war, galt es noch eine familiäre Pflicht zu erfüllen. Die Patentante meines Vaters lebt in Bratislava und ihr sollten nun noch Grüße sowie eine kleine Aufmerksamkeit überbracht werden. Der Besuch musste allerdings kurzgehalten werden, da wir vor dem Derby noch eine Viertligapartie des Fußballverbands Bratislava ins Auge gefasst hatten, außerdem wollten wir unsere Herberge für die Nacht sichern und die Karten für das Slovan-Spiel kaufen. Das alles klappte so weit auch ganz gut, obwohl es keine Verschwendung gewesen wäre, noch ein paar Minuten länger bei der Tante Maria zu bleiben; zu viele Geschichten wusste sie aus längst vergangenen Tagen zu erzählen. Für Cousin Martin war sicher am bedrückensten die Erfahrung, dass die Gosse der Zigeuner in Kniesen einst die heimatliche Gasse seiner Großmutter war. Nur die verbitterte Bemerkung der Tante – „Die alten Kniesener würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie das wüssten“ – konnte ihn ein wenig trösten. Nachdem uns die Tante mit einem „Hach, zum Fußball wollt ihr noch!? Na ja, dann werden sie sich da ja wieder schlagen heute.“ verabschiedete, machten wir uns mit einem kleinen Umweg auf zum TJ Trnávka Bratislava.


    TJ Trnávka Bratislava - GFC Grinava
    Samstag, 22.03.2008 - III. Futbalová Liga Bratislava - 14. Spieltag - Nerudova - Zuschauer: 120 - Endstand: 4-1


    Entgegen unserer Hoffnungen ist der Spielort ein schlichter und langweiliger Sportplatz. Von der Straße ist er ziemlich unscheinbar hinter einem dreigeschossigen Neubau versteckt, in dem auch die sanitären Einrichtungen integriert sind. Pünktlich mit dem Anpfiff betraten wir das Areal durch eine kleine Pforte. Bei freiem Eintritt taten dies auch noch gut und gern 120 Gleichgesinnte. Verwundert war ich, dass wir bei diesem Spiel augenscheinlich die einzigen deutschsprachigen Besucher waren. Der miserable Rasen ist von einem weiß-blau-gelben Geländer begrenzt und hinter einem Tor gibt es zwei klitzekleine Sitzplatztribünen, jeweils zur linken und rechten Seite, auf denen vierzig Menschen in zwei Reihen Platz finden. Um den ganzen Sportplatz herum, so schien es, waren in den vergangenen Monaten neue (Wohn-)Häuser entstanden. Ich wäre fast bereit Geld zu wetten, dass dieser Platz nicht immer so ein trost- und freudloses Dasein fristen musste. Die beiden Tribünenfetzen sind sicher Reste einer größeren Zuschauerbehausung, die dem neuen Gebäude auf der Geraden weichen musste. Von Stimmung konnte bei diesem Spiel natürlich keine Rede sein. Am lautesten waren noch die verdorbenen Kinder auf dem benachbarten Basketballplatz, die bei unsäglicher Rapmusik diesem seltsamen amerikanischen Sport frönten. Aus dem 20 Kilometer entfernten Grivna war ein gutes Dutzend Zuschauer mitgekommen. Zwölf Herren, im Alter meines Vaters, die es sich mit Wein in der Nähe der Trainerbank gemütlich machten und nur ein einziges Mal Grund zur Freude hatten. Über das Spiel gibt es natürlich nicht viel zu sagen; das Niveau könnte wohlwollend mit der heimischen Bezirksliga verglichen werden und die Heimmannschaft gewann letztlich sicher auch in der Höhe verdient.



    Mit letzter Gewissheit kann ich das nicht sagen, denn ganze neunzig Minuten verblieben wir nicht im Nordwesten der Stadt. Die Corgon-Liga rief mit ihrem Spitzenspiel. Das Auto parkten wir an der Hauptstraße ganz in der Nähe des Stadions und schlenderten ganz gemütlich und jeder für sich zum Tehelné pole.


    SK Slovan Bratislava - FC Spartak Trnava
    Samstag, 22.03.2008 - Corgon Liga - 22. Spieltag - Tehelné pole - Zuschauer: 10.856 - Endstand: 2-3


    Um das Stadion herrschte eine halbe Stunde vor Anpfiff emsiges Treiben. Über 10.000 Zuschauer hatten sich letztlich für dieses Spiel aufgerafft. Die Straße hinter dem Gästeblock war undurchdringbar von schwer geschützten Polizisten abgeriegelt; aus dem nahen Trnava hatten sich 2.000 Schlachtenbummler angekündigt. Bei einer der unzähligen Kürbiskern-Verkäuferinnen erstand ich meine Ration für das Spiel und betrat recht unbehelligt den Spielort. Die Heimstätte des SK Slovan ist mit seinem Fassungsvermögen von 30.000 Zuschauern die größte Fußballspielwiese des Landes und durchweg mit blauen Sitzschalen ausgestatten. An beiden Geraden gibt es jeweils eine überdachte Tribüne, unterschiedlich in ihrer Größe. Für die kleinere der beiden hatten wir unsere Karten gekauft und so suchte ich mir dort auch ein lauschiges Plätzchen. Görti war noch nicht im Stadion und auch Cousin Martin konnte ich auf den ersten Blick nicht entdecken. Beim zweiten Hinsehen erblickte ich ihn dann aber. Zehn Meter vor mir stand er, Kamera in der Hand, orangefarbenes Leibchen am Körper und durch einen Zaun von mir und dem Rest der Zuschauer getrennt… Der heimische Mob hatte für das heutige Spiel seinen Stammplatz hinter dem Tor verlassen und sich stattdessen auf der Gegengeraden breitgemacht. Geflaggt war auf Heimseite reichlich, unter anderem auch von den „Ultras Martin“ und, wahrscheinlich interessanter, den „Ultras Brno“.
    Mit Spielbeginn bot Slovan eine kleine Zettel-Choreografie, die aber nichts wirklich Besonderes war. Spartak konterte mit einem kurzen Spruchband „CIRCUS SLOVAN“, bunten Luftballons sowie der liebevollen Behandlung einer Slovan-Fahne. Ansonsten beließen es beide Fangruppen zu Beginn bei Gesangsduellen, Schalparaden und Hüpfaktionen; es ging ganz nett hin und her. Nur in der zehnten Spielminute machte die Gästekurve eine kurze Pause – der Abwehrmann Dobrotka erzielte das erste Tor des Spiels. Mitte der Halbzeit verabschiedeten Görti und ich uns dann von der Haupttribüne und verdrückten uns in die eigentliche Heimkurve. Dort war es übersichtlicher und -schaubarer. Anschließend gab es auch den ersten zaghaften Einsatz pyrotechnischer Erzeugnisse vor dem Spartak-Block. Zwei Breslauer Feuer wurden entfacht, wobei allerdings die Beobachtung, dass ein Fan kurzerhand durch das Fluchttor schlüpfte um sie in die richtige Position zu bringen, unterhaltsamer war, als die Feuerchen an sich.
    Mit Beginn der zweiten Hälfte gab es die nächste größere (und gelungenere) Aktion der Hauptstädter zu bestaunen. Auf der Tribüne wurden schon während der Pause weiße und blaue Stoffstreifen verteilt, die nun bei einer Schalparade gezeigt wurden. Aus der Distanz hatte das schon was; sah ganz gut aus. In der Gästekurve wurde unterdessen ein „TRNANSKY STAT“-Transparent am Zaun befestigt; in schwarz gehalten mit durchsichtigen Lettern. Und dann war es soweit. Die Fahne wurde mit Fackeln, Breslauer Feuern und Blinkern beleuchtet und weißer Rauch stieg auf, auf dem Zaun stand der Capo in kämpferischer Pose und dazu brachiale Schlachtrufe – durch und durch eine gelungene Aktion. Der Elan der Kurven übertrug sich nun auch auf das Spielfeld, wo zwischen den Minuten 70 und 80 das Spiel entschieden wurde. Zunächst erzielte der gerade eingewechselte Vaculik mit seinem ersten Ballkontakt den Ausgleich. Der Jubel unter der rot-schwarzen Anhängerschaft war immens, aber nicht von Dauer. In der 76. Minute konnte Slovan durch Slovák – im Übrigen ein Slowake… – erneut in Führung gehen. Zum Jubeln blieb dem Europapokalsieger von 1969 allerdings nur wenig Zeit. Bereits im Gegenzug erzielte Barcik unter gütiger Mithilfe von Slovan-Torhüter Kiss seinen fünften Saisontreffer. Drei Minuten später machte es ihm sein Mannschaftskamerad Kozuch gleich. Nach einer scharfen Hereingabe von links konnte auch er sein persönliches Torkonto auf fünf schrauben. Der Jubel und die Begeisterung bei den Gästen waren nun unbeschreiblich. Der ganze Block flippte völlig aus. Die komplette Mannschaft sprang über die Banden zur Fankurve, Fans liefen ihnen entgegen und jubelten gemeinsam. Den Hauptstädtern war das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Sie hatten ihre Führung nach vier Minuten nicht nur verspielt, nein, sie waren auch in Rückstand geraten. Die letzten zehn Minuten lebten nun nicht allein von ihrer Spannung, auch beide Anhängerschaften versuchten nochmals ihre Mannschaften zum Tor zu schreien; Chancen gab es auf beiden Seiten noch, Tore hingegen nicht.
    Der erlösende Schlusspfiff sicherte Spartak drei Punkte im Kampf um den dritten Tabellenplatz, der zur Qualifikation um die europäischen Wettbewerbe berechtigt. Die Meisterschaft war schon in weite Ferne gerückt, die beiden Mannschaften von Zilina und Artmedia hatten bereits 15 bzw. 16 Punkte Vorsprung. Slovan spielte nach dem dritten Platz in der letzten Spielzeit in dieser Saison jenseits von Gut und Böse. Die verlorenen Punkte schmerzten allein des Gegners wegen.
    Nach den Feierlichkeiten der Tyrnauer auf dem Rasen, ging es geschlossen in die Kurve, wo die Mannschaft frenetisch gefeiert wurde. Das war wirklich alles sehr nett anzusehen; sehr emotional und ausgelassen; sowohl Fans als auch Spieler. Letzter Höhepunkt des Fußballabends war schließlich noch der Gang der Siegermannschaft zurück in die Katakomben. Der Eingang zu den Kabinen lag direkt vor dem heutigen Heimblock. Als erstes trieb es Babacar Niang zurück, den afrikanischen Abwehrspieler, der erst in der Winterpause nach Trnava gewechselt war und in den zurückliegenden neunzig Minuten eine mehr als solide Partie abgeliefert hatte. Während des Spiels hatte dieser schon mit völlig sinnfreien Affengeräuschen zu kämpfen, die nun wieder aus dem blau-weißen Block erschallten. Die Reaktion Niangs war einmalig. Jubelnd und klatschend, eine Spartak-Fahne durch die Luft schwenkend tanzte er vor dem Block in die Kabine. Kusshand hier, Kusshand da – allerbest! Slovans Schwachmaten waren nun natürlich völlig am Abdrehen. Die Polizei musste nun schon etwas resoluter dagegenhalten, damit das weite Stadionrund unbefleckt blieb. Das gelang ihr auch ganz gut; aber seit dem Anpfiff hatte sie schon die Möglichkeit gehabt sich darauf vorzubereiten. Eine Spielfeldbegrenzung von der Tribüne aus war praktisch nicht vorhanden. Wie bereits angedeutet waren auch die Fluchtore im Gästeblock nicht verschlossen. Trotz dieser Vorzeichen blieb es im Stadion bei körperlosen Auseinandersetzungen. Zu Babacar Niang gibt es übrigens eine kleine, aber feine Geschichte: Auf der offiziellen Homepage des Vereins wird als sein Geburtsdatum folgender Tag angegeben: 1. Januar 1990…
    Nachdem auch der Rest der Mannschaft ganz ähnlich wie Mannschaftskamerad Niang die Treppen zu den Kabinen hinabstieg und dabei von allerlei Wurfgegenständen begleitet wurde, machten auch wir uns von dannen. Ein kurzer Gang hinter den Gästeblock brachte keine großartigen Einblicke oder gar Erkenntnisse mehr; alles war hermetisch abgeriegelt. So kehrten wir zügig zum geparkten Auto zurück und zehn Minuten später waren wir wieder im Hostel am Rand der Altstadt.



    Das Hostel war im Grunde ganz nett. Trotz Hauptstadtzuschlag lag es preislich völlig im Rahmen. Bis in die Altstadt waren es zu Fuß bei langsamem Schritt zehn Minuten und wem das nicht gefiel, der konnte es sich am Abend auch in der hauseigenen Kneipe gemütlich machen. In diversen Internetbewertungsforen schnitt die Herberge nicht ganz so gut ab, immer wieder las ich zuvor, dass es schmutzig sei, laut und überhaupt – seltsam. Völliger Humbug das ganze. Einen dicken Pluspunkt konnte es zudem sammeln, da uns der hauseigene Internetanschluss wunderbare Neuigkeiten aus der Heimat übermittelte: die Nachkommen der großen SG Wismar Süd hatten die Stadt ohne Sehenswürdigkeiten im Landespokalhalbfinale grandios besiegt. Hansas Auswärtsniederlage schenkten wir keinerlei Beachtung…
    Die slowakische Hauptstadt war uns nicht mehr völlig neu. Deshalb verzichteten wir am Abend auch auf eine Besichtigungstour, verschoben diese auf den nächsten Vormittag und schlenderten stattdessen durch die „Vergnügungsmeile“ Bratislavas auf der Suche nach einer Wirtschaft, um Piroggen zu essen, Topvar zu trinken und Knack zu spielen. Cousin Martin kannte eine äußerst gemütliche Pub-ähnliche Schenke, in der wir all dies zur vollsten Zufriedenheit tun konnten. Nach ein paar Stunden rief dann aber unser Bett und so machten wir uns auf zurück ins Hostel. Aus dem Schlendern war mittlerweile ein Schwanken geworden, was dazu führte, dass wir nach unserer Ankunft trotz aller Vorsätze doch auch noch einmal in die heimische Kneipe einkehrten und es uns an einem der hinteren Tische gemütlich machten. Es wurde eine äußerst spaßige Fortsetzung des Abends für uns drei. Es gab einfach zu viele Menschen dort, über die vor allem Cousin Martin und ich herzhaft lachen konnten. Oberflächlich und dumm wie das Teufelszeug uns gemacht hatte…


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  • Slowakische Ostern 2


    Der nächste Morgen begann trotz der Vor(abend)geschichte früh für mich. Um halb elf wollten wir das Heimspiel vom FC Artmedia besuchen, aus diesem Grund hatte ich den Wecker auf halb neun gestellt. Duschen, Frühstücken, Auschecken, Altstadtrundgang und Donauüberquerung zwecks Spielanreise sollten in diesen zwei Stunden geschafft werden. Ich erwachte um sieben Uhr. Ich kann nicht einmal genau sagen woran es lag. Unsere fünf Mitbewohner schliefen still und leise in ihren Betten, auch Görti und Cousin Martin schlummerten noch fest. Ich aber war wach. Und konnte das auch nicht mehr ändern. Da ich im Urlaub war und erst am Vortag geduscht hatte, beschränkte ich mich aus purer Faulheit und Lust an männlichster Männlichkeit aufs Zähneputzen, machte mich ausgehfertig und verließ das Hostel. Das Wetter vor der Tür schien auch noch zu schlafen. Es war alles ziemlich grau und ab und an tröpfelte es auf mich herab. Am Samstag war das Hauptstadtwetter noch wunderbar gewesen. Kalt war es zwar, aber der blaue Himmel mit leichter Bewölkung, dazu das leuchtende Himmelsgestirn – fast perfektes Osterwetter. Nichtsdestotrotz machte ich mich zielstrebig auf in die Altstadt. Bratislava, am Ostermorgen um halb acht, hatte mehr als ich erwartet hatte. Für einen Menschenfreund wie mich, der sich an größeren (und auch kleineren) Ansammlungen eigentlich nur in Fußballstadien erfreuen kann, waren die leeren Straßen eine Wohltat. Einzig ein asiatisches Touristenpärchen war ebenfalls schon auf den Beinen sowie eine polnische Kindergruppe, die ich aber schnell hinter mir lassen konnte.
    Die Altstadt Bratislavas ist im Grunde schnell zu erlaufen. Durch das Michaelertor den Boulevard entlang, dann nach links auf den Marktplatz mit Altem Rathaus und Jesuitenkirche, weiter zum Nationaltheater und ein paar Schritte später landet der Besucher am Dom Sankt Martin. Es gibt sicher nicht soviel zu entdecken, wie in Tallinn oder Prag, aber dafür ist es auch nicht so überladen wie beispielsweise die große Schwester Wien auf der anderen Seite der Dunaj. Und gerade diese Beschaulichkeit macht das ehemalige Pressburg für mich zu einer der schönsten Hauptstädte in Europa.



    Nach einer guten Stunde kehrte ich zufrieden ins Hostel zurück, wo das komplette Zimmer noch immer selig schlief. Da die Stunde trauter Einsamkeit für den Tag völlig ausreichend für mich war, begann ich nun aus reinem Eigennutz, meine Reisebegleiter zur wecken. Die eintretende Betriebsamkeit hatte zur Folge, dass auch der Rest des Zimmers langsam wach wurde, was wiederum zu einer Verzögerung der Morgentoilette führte. Zwei Duschen samt Waschbecken waren zu wenig für neun hygienebedürftige Erdenbewohner.
    Bevor wir uns nun in den Stadtteil Petrzalka zum dortigen Stadion aufmachten, entschieden wir uns, noch einen kurzen Abstecher hinauf zur Burg zu machen. So sehr mir die Altstadt Bratislavas auch gefällt, die Burg auf dem Hügel über Stadt ließ mich auch heute wieder völlig kalt. Von den unzähligen Burgen und Schlössern, die es in der Slowakei zu entdecken gibt, ist die Pressburg wahrlich eine der langweiligsten. Das Wahrzeichen der Stadt erscheint mir lediglich aus der Ferne sehenswert. Bis vor sechzig Jahren erhoben sich übrigens nur die Ruinen der Burg über die Stadt. Ein Feuer hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Burg bis auf die Grundmauern zerstört und erst in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die Bratislavaer Burg originalgetreu wieder aufgebaut.
    Oft wird über das unangenehme Verhalten deutscher Touristen im Ausland geschrieben. Nicht selten zu unrecht. Doch während unseres Besuchs auf der Burg, zeichneten sich die Gäste aus unserem östlichen Nachbarland durch allerlei Peinlichkeiten aus. Vielleicht lag meine Missbilligung an ihrem Verhalten auch daran, dass ich grundsätzlich wenig mit den Westslawen und ihrem an sich schönen Land anfangen kann. Warum auch immer… Auf der Suche nach einer ansehnlichen Postkarte für die Liebe(n) daheim, kehrten wir kurz in den burgeigenen Souvenirshop ein. Und was sich dort abspielte, spottete jeglicher Beschreibung. Schlimm genug, dass ich dort keine Postkarte fand, da es in diesem Laden nur Kram, Trödel, Plunder, Ramsch, Kitsch; Firlefanz, Klimbim – Schrott gab, nein, die Polen drehten dort vor Begeisterung ob dieser Dinge völlig durch. Ein Foto mit einer Strohpuppe hier, ein Lächeln in die Videokamera samt Keramiktasse dort und ständiges Freudengeschrei über irgendwelche Plastiksinnlosigkeiten überall. Um meine Vorurteile und Abneigungen zu bestärken redete ich mir ein, dass so etwas nur von ihnen, nein, DENEN kommen kann. Von Russen vielleicht noch, die kenn ich zwar nicht, aber egal; bestimmt… Italiener würden sicher auch so ein Spektakel veranstalten. Chinesen ganz gewiss auch. Ganz schlimm. Sollen die sich ein Beispiel an den Ungarn nehmen. Da wäre so ein Verhalten undenkbar. Oder bei Kroaten. Iren. Norwegern. Kanadiern…
    Bis Spielbeginn blieb uns nun noch immer etwas Zeit, die wir mit einem Abstecher in die Altstadt füllten. Der zweite Rundgang binnen neunzig Minuten schmälerte meine Begeisterung für Bratislava nicht. Über Rathaus, Franziskanerkirche und Marktplatz marschierten wir am Michaelertor vorbei und durch eine der kleinen Gässchen zurück zum Auto.


    FC Artmedia Petrzalka - FK ZTS Dubnica
    Sonntag, 23.03.2008 - Corgon Liga - 22. Spieltag - Stadión Petrzalka - Zuschauer: 2.400 - Endstand: 1-0


    Obwohl Artmedia einer der ältesten Vereine der Stadt ist, die Ursprünge gehen bis ins Jahr 1898 zurück, zählt er keinesfalls zu den beliebtesten, geschweige denn erfolgreichsten Fußballklubs der Stadt. Den größten Erfolg feierte die Mannschaft vor drei Jahren, als sie die slowakische Meisterschaft erringen und sich in der Champions-League bis in die Hauptrunde vorkämpfen konnte. Aufgrund der UEFA-Bestimmungen musste Artmedia seine Heimspiele in der angeblichen Königsklasse des Fußballs übrigens im Tehelné pole austragen. Der heutige Gast aus Dubnica nad Vahóm, einem 25.000 Einwohner zählendem Städtchen bei Trencin, ist in der Bier-Liga das, was man eine klassische graue Maus nennt. Bereits 1926 gegründet zählt ein vierter Platz in der Saison 2004/05 zu den größten Erfolgen des Vereins, der sich in den vergangen zehn Jahren dadurch ausgezeichnet hat, exakt zehn Trainer beschäftigt zu haben.
    Das Stadion in Petrzalka ist ein reines Fußballstadion mit drei ausgebauten Tribünen aus Stahl und Beton, die allesamt überdacht und mit grünen Sitzschalen versehen sind. Einzig die Gegengerade, mit dem alten Vereinsheim bricht aus der Eintönigkeit des Baus aus. Auf dem Gebäude gibt es einen überdachten Balkon, der augenscheinlich als „VIP-Loge“ genutzt wird, und davor einen stählernen Hochsitz für die Presse. Die einzige Möglichkeit zum Stehen gibt es links und rechts von diesem Hochsitz, wo einfache, nichtüberdachte sechsstufige Tribünen stehen, die so gar nicht zu ihren jüngeren Brüdern passen, aber im Gegensatz zu ihnen einen unglaublichen Charme ausstrahlen, weshalb wir es uns dort auch trotz Nieselregens in Hälfte zwei bequem machten.
    In der Kurve hatten sich heute etwa 40 Freunde der Schwarz-Weißen niedergelassen, die sich trotz Trommel mit Anfeuerungsrufen arg zurückhielten. Ein paar Fahnen schmückten den B2-Block, unter anderem ein Engerau1898-Banner. Als SC Engerau spielte der Verein im Dritten Reich in der Gauklasse Niederdonau Süd. Im Übrigen ist Engerau, oder um mal wieder in die Jetzt-Zeit zurückzukehren, Petrzalka, erst seit Ende des Zweiten Weltkriegs ein Stadtteil von Bratislava. Ein äußerst beliebter zudem, trotz unzähliger Plattenbauten und der höchsten Bevölkerungsdichte der Slowakei.
    In der anderen Ecke des Stadions hatte sich eine kleine Gesandtschaft aus dem Waagtal niedergelassen. Hinter ihren zwei drei Fahnen („Dubnický Fan Club“, „Blue Street Elite Dubnica“, „FK ZTS Dubnica“) klatschten und sangen die 14- bis 16-Jährigen fast durchgängig, wenn auch bescheiden. Viel Grund zur Freude hatten sie aber auch nicht; der Meisterschaftsanwärter Nummer zwei gewann knapp, aber nicht unverdient, geschweige denn mit viel Mühe. Das Spiel war ziemlich schwach; gerade von den Hauptstädtern hätte ich wegen ihrer Platzierung und ihren Ambitionen etwas mehr erwartet. Das einzige Tor des Tages verpasste ich auch noch, da ich just im Moment des Jubels am alten Vereinsheim stand und unter größter sprachlicher Kraftanstrengung mein mittägliches Frühstück erwarb; Klobása mit Kümmelbrot. Nach Piroggen DAS kulinarische Highlight in der Slowakei.



    Der Schlusspfiff des Spiels bedeutete für uns auch Abschiednehmen von Bratislava. Unser nächstes Ziel war die mittlere Slowakei. Am Abend spielte in Ruzomberok der heimische MFK gegen den Fußballclub aus Senec. Für die 260 Kilometer auf slowakischen Autobahnen hatten wir fast fünf Stunden Zeit. Diese Voraussetzung ermöglichte es uns, dass wir auf unserer Fahrt noch die kleine Kreisstadt Bytca ansteuerten um den dortigen Viertligisten im Spiel gegen die Reservemannschaft des FC Rimavská Sobota zu unterstützen. Zeitweise zumindest… Dieses Unterfangen erwies sich allerdings anfangs schwerer als erwartet. Obwohl wir nahezu jede Straße des 11.000-Einwohner-Örtchens, in dem 1887 übrigens Jozef Tiso, der Präsident der ersten autonomen slowakischen Republik, geboren wurde, durchfahren hatten, wollte das Mestsky Stadión nicht auftauchen. Auch das Fahren auf eine Anhöhe blieb ohne Erfolg. Als wir kurz davor standen, die Partie Partie sein zu lassen und doch schon weiter nach Ruzomberok zu fahren, erblickte Cousin Martin plötzlich das Reklameschild einer Sparkasse, die in der gleichen Straße ansässig war, wie das Stadion. So folgten wir der Beschilderung und landeten schließlich im Zentrum der Stadt, das übrigens durchaus zu gefallen wusste. Aber für eine Stadtbesichtigung hatten wir nur wenig, nein, eigentlich gar keine Zeit. Hier entdeckten wir nun auch ein handgemaltes Spielankündigungsplakat und mithilfe eines kurzen Hinweises durch einen Bewohner fanden wir schließlich doch noch die Spielstätte. Das Auto stellten wir direkt vor dem Stadion ab und für 20 Kronen durften wir dieses auch betreten. Den kostenlosen Sitzkissenservice lehnten wir dankend ab.


    FO Kinex Bytca - FC Rimavská Sobota B
    Sonntag, 23.03.2008 - III. Futbalová Liga Stred - 6. Spieltag - Mestsky Stadión - Zuschauer: 160 - Endstand: 2-1


    Schnell stellte sich heraus, dass wir das Wohlfühlangebot für unser Gesäß hätten annehmen sollen. Anfangs standen wir noch auf der Längsseite des Stadions, das ohne seine überdachte Sitzplatztribüne, die sich oberhalb des Vereinsheims befindet, ein schlichter Sportplatz wäre, ähnlich denen, auf denen Görti in der 1. Kreisklasse Woche für Woche selbst spielt. Aber der eisige Wind und nervende Regen trieb uns bereits nach ein paar Minuten auf selbige, von wo wir zumindest in den ersten Minuten eine ziemlich überlegene Heimelf sahen, die schnell und verdient in Führung ging. Zeitweise sah es so aus, als ob die B-Mannschaft aus Rimavská Sobota nach neunzig Minuten zweistellig abgeschossen werden könnte. Aber ohne erkennbaren Grund kam nach zwanzig Minuten ein Bruch ins Spiel der FO Kinex, so dass das Spiel fortan ziemlich öde und langweilig wurde. Deshalb fiel uns unser schändlicher Abschied nach der Hälfte der Spielzeit auch nicht schwer.
    Für mich als Freund von Anzeigetafeln hatte das Mestsky Stadion einen ganz besonderen Leckerbissen parat. An der hinteren rechten Ecke des Spielfelds steht eine wunderbar alte elektronische Ergebnisanzeige; wunderbar anzuschauen, vor allem auch wegen des alten Mannes, der es sich in der Sitzecke darunter gemütlich gemacht hatte und ab und an seine Rolle als Ordner vergaß und stattdessen Fan war. Fans gab es am heutigen Ostersonntagnachmittag ansonsten keine. Die 160 Zuschauer machten ihrem Namen alle Ehre und schauten einfach nur zu. Aber warum sollte es in der vierten slowakischen Liga enthusiastischer zugehen als in der deutschen Oberliga, bedenkt man zusätzlich, dass sich die III. Fubalová Liga auf bestenfalls Bezirksliganiveau befindet. Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch das kleine Handballstadion direkt neben dem Fußballplatz. Dort befindet sich ein kleines Sanitärgebäude mit überdachter Sitzplatztribüne auf dem Dach. Intakt ist das Gebilde allerdings augenscheinlich nicht mehr; an einigen Fenstern fehlen die Scheiben und gelegentlich ist auch schon ein Stein aus der Mauer verschwunden. Um das betonierte Spielfeld sind mehrere zugewachsene Stehstufen zu bestaunen. Dem Handballsport wurde hier anscheinend schon längerer Zeit nicht mehr gefrönt. Schade eigentlich. In meiner bunten Welt, die sich in meinem Kopf befindet, sah ich mich im vollbesetzten Rund, den heimischen Verein zur slowakischen Handballmeisterschaft (unter freiem Himmel) schreien… Dumdidumdidum…
    Begonnen hatte das Spiel übrigens mit einer Schweigeminute. Wegen meiner miserablen Sprachkenntnisse, die lediglich für Begrüßungen, Verabschiedungen und das Bestellen von Klobása, Bier und Tee ausreichen, konnte ich leider nicht herausfinden, weshalb hier heute wem gedacht wurde. Geschwiegen hätten besser auch die Musikboxen vor dem Spiel. Aus ihnen dröhnte zum Warmmachen der Spieler ein Blümchen-Hit nach dem anderen…
    Unsere anschließende Abfahrt vom Stadion verzögerte sich leider um ein paar Minuten; die Ausfahrt vom Parkplatz war durch eine amerikanische Proletenkarre zugestellt, die uns schon während des Spiels aufgefallen war, wie sie die Straße um das Stadiongelände als Rennpiste missbrauchte. Hundertprozentig saß da ein Pole am Steuer…



    Die letzten 80 Kilometer bis Ruzomberok legten wir ohne Probleme zurück, waren wir doch erst zwei Tage zuvor exakt diese Strecke abgefahren, als wir auf dem Weg nach Kniesen waren. So konnten wir uns auch wieder an dem wunderbaren Abschnitt zwischen Zilina und Martin erfreuen; heute sogar ohne Regen-, Schnee- und Graupelschauer. In Ruzomberok hatte es bereits begonnen zu dämmern, als wir unser Auto auf dem nahen Tesco-Parkplatz abstellten, der direkt neben dem Stadion liegt.


    MFK Ruzomberok - FC Senec
    Sonntag, 23.03.2008 - Corgon Liga - 22. Spieltag - Futbalový Stadión MFK Ruzomberok - Zuschauer: 3.217 - Endstand: 1-1


    Wenige Minuten vor Anpfiff des Spiels betraten wir das Stadion. Die Karte für das Gastspiel des Tabellenvorletzten hatte 80 Kronen gekostet. Der MFK Ruzomberok spielte in diesem Jahr eine bisher enttäuschende Runde. Zwei Jahre zuvor errang der Verein, pünktlich zur 100-Jahr-Feier, seinen ersten nationalen Meistertitel, die Vorsaison beendete er auf Platz vier. In der aktuellen Spielzeit lagen die Weiß-Gelb-Roten auf einem arg durchschnittlichen und somit enttäuschenden Mittelfeldplatz. Der Fußballklub aus Senec, einem kleinen Ort nordwestlich von Bratislava, hat eine relativ bewegte Historie hinter sich. In den letzten Jahren gab es eine Menge Umbenennungen, Neugründungen, Fusionen und Übernahmen. Alles in allem ziemlich undurchsichtig und nicht unbedingt sympathisch. Der jetzige Verein wurde 2004 als Aktiengesellschaft gegründet, die Vereinsfarben geändert, das Wappen erneuert…
    Das Stadion besteht aus zwei baugleichen Sitzplatztribünen auf den Längsseiten, die insgesamt fast 5.000 Zuschauern Platz bieten und erst in den letzten Jahren entstanden sind. Die letzte Partie des 22. Spieltags wollten neben uns noch knapp über 3.000 weitere Zuschauer sehen. Bei unserer Ankunft waren diese leider auch schon fast vollständig im Stadion. Und die große Mehrzahl von ihnen auf unserer Tribüne. So blieben uns nur noch ein paar freie Plätze in den ersten beiden Reihen direkt vor der Bank der Gästemannschaft übrig. Im Laufe des Spiels stellte sich dies jedoch als Geschenk heraus; die kommenden neunzig Spielminuten waren durchgängig höchst unterhaltsam; nicht nur der 22 Akteure auf dem satten Grün wegen. Die Seiten hinter den Toren sind unbebaut, einzig der typische Sichtschutzzaun begrenzt das Areal von der Außenwelt.
    Wie es die Zahlen auf dem Papier schon vermuten ließen, waren die Gastgeber die eindeutig bessere Mannschaft. Sie erspielten sich eine Vielzahl guter Möglichkeiten, konnten diese aber allesamt nicht nutzen. Anders die Gäste aus dem Westen des Landes. Mit ihrem ersten gelungenen Konter erzielten sie die absolut überraschende und ebenso unverdiente Führung. Es war erst das vierte Tor auf fremden Boden, dass der Brasilianer Gaucho fünf Minuten vor dem Halbzeitpfiff erzielen konnte. Das Publikum war am Toben, die Gästebank ebenso – freilich, beide Seiten aus völlig verschiedenen Beweggründen. Und wie die erste Hälfte endete, so begann dann auch die zweite: das Publikum tobte, die Gästebank ebenso – und wieder aus völlig verschiedenen Motiven. Nachdem Gästespieler Jelinek nach wiederholtem Foulspiel vom Platz gestellt wurde, witterten die Zuschauer die Chance das Spiel doch noch zu drehen und Ersatzspieler, Trainer und Manager der Wartberger konnten und wollten die Hinausstellung nicht akzeptieren. Wildes Reklamieren und Protestieren brachte natürlich nichts ein, außer, dass sie sich den Schmährufen und Beschimpfungen von der Tribüne gewiss sein konnten. Als ein Offizieller des FC dem Publikum für all die Wertschätzungen auch noch dankend applaudierte, war ganz großes Kino garantiert. Nun zeigten auch die beiden Bodybuildergestalten neben uns ihr wahres Gesicht. Entgegen der Annahme, dass sie der hiesigen Atzenszene angehörten, stellte sich heraus, dass sie die hauseigenen Gästebank-Bewacher waren. Dass mit ihnen dennoch nicht zu spaßen war, musste ein in allen Belangen „einfaches“ Pärchen feststellen, das zu Beginn der zweiten Hälfte vor uns Platz genommen hatte. Der männliche Part der beiden stellte sich nämlich als Lautsprecher heraus, der jede Spielszene in Richtung Auswechselbank kommentierte. Auch seine Klobása, die er dabei aß, bzw. wieder ausspuckte, hinderte ihn nicht daran. In den ersten Minuten war es eine ganz angenehme Unterhaltung, nicht nur für uns, auch für den Großteil der Tribüne. Einzig Martin hatte von Beginn an etwas gegen den Mittdreißiger. Verdarb er ihm doch seinen großen Appetit auf eine ebensolche Wurst. Grundsätzlich hätte er sich auch keine mehr kaufen müssen. Genügend Fleischfetzen lagen vor und auf dem Herrn verstreut… Aber auch die jungen Ordner hatten genug gesehen und zischten ihn unmissverständlich an. So endete das Schauspiel jäh und das Pärchen wurde fortan nicht mehr gesehen.
    Ein paar Worte auch noch zur Fanszene des MFK Ruzomberok. Die Gäste hatten keinen Anhang dabei, aber das war bei der (Vor-)Geschichte des Vereins auch nicht anders zu erwarten. Auf Seiten des MFK verhielt es sich da ein wenig anders. Im oberen linken Teil der Tribüne hatte sich ein kleiner Haufen zusammengefunden, der seine Mannschaft durch unregelmäßige Anfeuerungsrufe und Klatscheinlagen redlich unterstützte. Auf den ersten Blick war es nichts besonderes, ziemlich junge Menschen, alles im Rahmen des Erwarteten. Erst bei einem Gang auf das örtliche Örtchen gegen Ende des Spiels entdeckte ich unter ihnen einige Anhänger der dummspackigen Weltanschauung. Sie lungerten vor meinem Ziel herum und erschwerten mir den Zugang ein wenig, da sie seltsamen Balzritualen nachgingen. Die begehrten Mädchen, die dabeistanden – ich dachte kurzfristig, ich bin in der brandenburgischen Einöde gelandet… Im Grunde wäre dies alles keine Erwähnung Wert gewesen, doch waren sie kurz vor Abpfiff Grund eines Polizeieinsatzes auf der Tribüne. Ich weiß nicht woran sich die Situation entzündet hatte, aber plötzlich stürmten behelmte Polizisten an das Ende der Tribüne, überrannten Kinder, Frauen und Männer, die unglücklicherweise im Weg standen und prügelten mit ihren Schlagstöcken auf das glatzköpfige Dummvolk. Da ich nur schwerlich Begeisterung und erst recht kein Mitleid aufbringen konnte, fesselte mich dieses Schauspiel nur kurzzeitig und ich widmete mich wieder dem Spielgeschehen; die angezeigten fünf Minuten Nachspielzeit neigten sich dem Ende entgegen. Nach dem Platzverweis hatte der Gast seine Offensivbemühungen vollständig eingestellt, Konter endeten in der Regel schon an der Mittellinie. Mit Mann und Maus verteidigten sie die knappe Führung, was auch Dank der heimischen Unzulänglichkeiten bestens gelang. Was der MFK teilweise an Chancen vergab spottete jeder Beschreibung. Zusätzlichen Unmut zog sich der Heimtrainer zu, als er zehn Minuten vor dem Ende den jungen Offensivmann und Publikumsliebling Bozok vom Platz nahm. Das Publikum tobte, schimpfte und verhöhnte das eigene Team. Das es letztlich aber dennoch nicht zum ersten Auswärtssieg des FC Senec reichte, verdankten sie einem anderen Wechsel des Heimtrainers. Eine halbe Stunde vor Spielschluss hatte dieser den Serben Sivcevic eingewechselt, der in allerletzter Sekunde den glücklichen Ausgleich erzielte. Das Spiel wurde danach nicht wieder angepfiffen. Die Gäste waren fassungslos, die Stimmung auf Heimseite, sowohl bei Spielern als auch Fans, schwankte zwischen Freude, Erleichterung aber auch Enttäuschung. Vorangebracht hatte der Punkt beide Mannschaften nicht wirklich. Eher noch den Tabellenvorletzte, der seinen Vorsprung auf den letzten Platz um einen Punkt auf fünf vergrößern konnte. Die Mittelslowaken mussten ihre Hoffnungen auf internationalen Fußball in der nächsten Spielzeit wohl aber schon im Frühjahr endgültig begraben.



    Nach dem Spiel fuhren wir sofort und ohne Umwege ins gut 150 Kilometer entfernte Trencin. Nach unserer Erfahrung vom Freitag galt es heute pünktlich vor 22 Uhr an der Pension Svorad anzukommen um dort unser Nachtquartier aufzuschlagen. Wir lagen wunderbar im Zeitplan, als wir im Tesco vor den Toren der Stadt in aller Ruhe unser Abendbuffet zusammenstellten und kurze Zeit später den Mietwagen an der ehemaligen Internatsschule abstellten. Cousin Martin und ich betraten die Herberge und begrüßten den alten Mann an der Rezeption. Mit Englisch kamen wir hier nicht weiter, mit Deutsch auch nicht: Russisch war der Schlüssel zum Erfolg. Martin hatte in den vergangenen Semestern seines Studiums ein Zertifikat erlangt, das ihm bescheinigte diese Weltsprache zu beherrschen. Und er tat es auch. Während mir nichts anderes übrig blieb als debil zu grinsen und dabei hin und wieder zu nicken, gerade so, als ob ich wenigstens Bruchstücke verstehen würde, entwickelte sich zwischen den beiden ein munteres Gespräch, dessen Inhalt mir aber gänzlich unbekannt blieb. Nichtsdestotrotz machte die ganze Situation einen ganz sympathischen Eindruck und spätestens als er Martin einen Schlüssel in die Hand drückte, war auch mir klar, dass wir für die folgenden beiden Nächte ein günstiges und gutes Bett gesichert hatten. Das Vierbettzimmer kostete uns 400 Kronen pro Nacht und die war es auch wert. Wir hatten eine eigene Dusche und Toilette und aus dem Fenster direkten Blick auf die Burg oberhalb der Stadt. Bei ein paar vergnüglichen Runden Knack ließen wir den Tag schließlich ausklingen und schliefen in den ersten Stunden des neuen Tages ein.



    Am nächsten Morgen blieb uns nicht viel Zeit zum Ausschlafen. Cousin Martin musste zum Bus nach Brno gebracht werden, da am heutigen Ostermontag sein Urlaub schon wieder zu Ende sein sollte. Die Planungen der nächsten Tage hatten ihn nicht begeistern können. Wenigstens einen Tag wollten wir noch in Ungarn verbringen und das ist für Cousin Martin das Pendant zu meinem Polen. Außerdem riefen der Studentenjob, die holde Weiblichkeit und das leere Portemonnaie – von allem ein bisschen… Die Fahrt nach Brno war aber nur ein kleiner Umweg für Görti und mich. Am Abend hatten wir sowieso geplant nach Zlín zu fahren, um die letzte Begegnung des 22. Spieltags in der tschechischen Bier-Liga zu besuchen. Und da Brünn auch als touristisches Ziel durchaus zu gefallen weiß, verließen wir früh unsere Herberge und machten uns auf die 140 Kilometer lange Fahrt. Gegen Mittag sollte Martins Bus nach Dresden fahren, den er schon vorab in Deutschland gebucht und bezahlt hatte.
    Zwei Stunden vor dem Termin erreichten wir die zweitgrößte Stadt Tschechiens und steuerten zunächst einen Parkplatz am Busbahnhof an. Tschechische Kronen hatten wir noch nicht im Geldbeutel, slowakische Kronen wollten die beiden Parkplatzwächter nicht annehmen und so blieb uns nichts anderes übrig als unseren vierstündigen Aufenthalt in Euro zu bezahlen, mit grenzwertigem Umtauschkurs allerdings. Doch da sich der finanzielle Schaden im unteren einstelligen Bereich hielt, war dies durchaus zu verschmerzen. Bevor wir uns von Martin verabschieden mussten, hatten wir geplant noch etwas in der Innenstadt zu essen und so schritten wir am Busbahnhof vorbei, unserem Ziel entgegen. Und da wir nun schon an der Station waren, schaute Martin im Vorbeigehen gleich einmal auf den Abfahrtsplan um herauszufinden, von welchem Bussteig die Fahrt später beginnen sollte. Doch was er dabei entdeckte war schier unglaublich, unfassbar, unerklärlich. Martin konnte den gebuchten Bus nicht finden. Er verglich seinen ausgedruckten Fahrschein mit dem ausgehängten Plan, aber keine einzige Busgesellschaft steuerte am heutigen Montag das größte Freilichtmuseum Sachsens an. Sonntags gab es einen Bus, der um 11.45 Uhr nach Dresden fuhr. Und freitags. Aber nicht heute, am Montag, dem 24. März. Martin schaute sich seinen Fahrschein nun noch einmal genauer an. Und was er nun entdeckte war noch schier unglaublicher, unfassbarer und unerklärlicher als der fehlende Bus am Plan: Im Glauben eine Fahrkarte für den heutigen Tag bestellt zu haben, hatte Martin ein Ticket für den Bus am 29. März gekauft. Freitag. Das war auch ihm noch nicht passiert. Selten zuvor hatte er 20 Euro so sinnlos in den Sand gesetzt. Er konnte sich diesen Fauxpas überhaupt nicht erklären. Selbst jetzt war er noch felsenfest davon überzeugt, dass jeder, aber nicht er einen Fehler gemacht haben musste; er hätte einen Fahrschein für den heutigen Montag. Mein tränenreiches Gelächter war sicherlich nicht hilfreich in dieser Situation. Aber was sollte er machen; er musste irgendeinen anderen Weg Richtung Heimat finden. Die Variante Bus fiel nun flach, also musste der Zug herhalten. Züge, die über Prag nach Deutschland fuhren gab es zu Genüge. Schmerzlich war freilich das zusätzlich zu entrichtende Entgelt. 30 Euro kostete die Fahrt im Eurocity Budapest-Hamburg. Vorteilhaft einzig, dass er nun 15 Minuten früher daheim war. Ein Vorzug auf den er gern verzichtet hätte und ein Missgeschick, das ihm unter anderem Namen wohl nie passiert wäre…
    Bis zur Abfahrt des Zuges blieb uns nun noch ein wenig Zeit, die unvorhergesehene Umbuchungsaktion hatte einige Minuten in Anspruch genommen. Und so kehrten wir in ein ortsansässiges asiatisches Restaurant direkt am Bahnhof ein. Grundsätzlich versuche ich immer landestypisch zu essen. Und un-streng genommen war dies auch nun der Fall. Vor allem im und um den Bahnhof herum stellten Asiaten den dominierenden Bevölkerungsanteil. Das Essen selbst war dann aber die gerechte Strafe für den kulinarischen Ausflug auf den größten Erdteil. Bis nach Brno musste ich fahren, um die schlechtesten Chinanudeln meines Lebens zu essen. Es war eine seltsame Pampe frei jeglichem Geschmacks, die ich für 40 Kronen erworben hatte. Glücklicherweise hatte Görti das gleiche Essen bestellt; geteiltes Leid war halbes Leid. Mit fünfminütiger Verspätung fuhr schließlich der Zug auf Gleis 3 in den Bahnhof ein. Ein kurzer, schmerzfreier und absolut männlicher Abschiedsgruß und schon waren wir nur noch zu zweit.



    Die Bahnhofsuhr zeigte kurz vor Mittag an, als wir uns auf den Weg in die Altstadt und hinauf zur Festung Spilberk machten. Die Straßen der mährischen Metropole waren ziemlich leergefegt. Einzig der eisige Wind pfiff durch die Gassen. Nach dem trüben Vormittag kämpfte sich mittlerweile mehr und mehr die Sonne in den Vordergrund, doch gegen die gefühlten polaren Temperaturen konnte auch sie nichts ausrichten. Wie es uns angekündigt wurde, ist Brno in der Tat einen touristischen Ausflug wert. An der Kathedrale Sankt Peter und Paul erreichten wir zügig die Festung über der Stadt, deren Museum am heutigen Montag zwar geschlossen war, doch der klare Blick über die Stadt und in die Ferne entschädigte.
    Bevor wir uns auf die gut 100 Kilometer lange Fahrt in Richtung Osten machen wollten, schlenderten wir auf der Suche nach einem kleinen Café noch durch das bahnhofsnahe Einkaufszentrum. Wir waren im Urlaub, ein Stück Kuchen oder ein Eisbecher sollte den Ausflug nach Brno abrunden. Dass es nicht dazu kam und wir stattdessen ein Langos am Busbahnhof kauften, in der Mikrowelle aufgewärmt, lieblos mit Käse bestreut und geschmacklich auf einem Level mit der Nudelpfanne einige Stunden zuvor, lag vor allem an der Ungemütlichkeit in der Geschäftspassage. Die Menschen, die in der Stadt fehlten hatten sich offensichtlich hier verabredet; es war zu laut, zu bunt, zu kühl, zu schickimicki, zu teuer.
    Bei strahlendem Sonnenschein verließen wir schließlich die Stadt und erreichten eine knappe Stunde später Zlín. Das Wetter war mittlerweile völlig umgeschlagen. Die Sonne war hinter dunklen Wolken verschwunden, nach anfänglichen leichten Regenschauern, fielen nun große Schneeflocken vom Himmel, die auf dem kalten Boden mehr und mehr liegen blieben. Da war er wieder; der verhasste Winter. Cousin Martin hatte uns eine große Anfahrtsbeschreibung mit auf den Weg gegeben. Wie es aber so oft ist, war nicht viel hängen geblieben. Allein der Hinweis: „Über die Hauptbrücke am Fluß und dann gleich links, da steht das Stadion.“ war uns noch gegenwärtig. So kam es wie es kommen musste, erst als wir das Ortsausgangsschild passiert hatten, war uns klar, dass der erste Anlauf gründlich in die Hose gegangen war. Also machten wir kehrt und starteten Versuch zwei. Dieser Fluss beziehungsweise so eine Brücke konnte nun nicht so schwer zu finden sein. Also fuhren wir nach links, dann nach rechts, ein Stück geradeaus, wieder rechts, noch einmal links, rechts, links… Es gab in Zlín keinen Fluss. In diesem Moment hätte ich selbst Haus und Hof darauf verwettet, dass es auch kein Stadion gab. Erst eine kleine Gruppe Slavia-Fans am Straßenrand brachte uns wieder auf den Weg. Und weil wir nun am Beginn einer kleinen Glückssträhne standen, erblickten wir neben ihnen auch einen Stadtplan. Beim Anblick des Wegweisers musste ich dann kleinlaut feststellen, dass es in Zlín durchaus ein Stadion gab, das tatsächlich auf der linken Seite einer Flussquerung lag. Und das alles ganz in der Nähe. Zu meiner Ehrrettung will ich aber darauf hinweisen, dass sich der Fluss letztendlich als Flüsschen, nein als Bach, quatsch, als Bächlein herausstellte. Die heimische Köppernitz ist ein reißender Strom dagegen.
    Um das Stadion herum war anderthalb Stunden vor Anpfiff noch nicht viel los. Da die Parkplatzsituation recht überschaubar war, fuhren wir noch ein kleines Stückchen bis zum nahen Tesco und stellten unser Auto dort ab. Das Wetter hatte sich leider noch nicht gebessert; es schneite dicke Flocken vom Himmel. Nach ein paar letzten kuscheligen Minuten im warmen Gefährt machten wir uns schließlich auf den Weg zum Stadion, wo wir für 80 tschechische Kronen Plätze auf der Haupttribüne erstanden.


    FC tescoma Zlín - SK Slavia Prag
    Montag, 24.03.2008 - Gambrinus Liga - 22. Spieltag - Stadion Letná - Zuschauer: 3.520 - Endstand: 0-1


    Das verschneite Letná-Stadion, das im Übrigen nur drei Flutlichtmasten besitzt, war knapp zur Hälfte gefüllt, während der Gästeblock ganz gut ausgelastet war. Aus der Hauptstadt waren gut und gerne 250 Fans angereist. Und auch auf der Haupttribüne saßen hin und wieder ein paar Zuschauer, die dem ewigen Zweiten der tschechischen Liga die Daumen hielten. Diese versprengten rot-weißen Grüppchen hatten gegenüber ihren Glaubensbrüdern im Gästeblock den Vorteil, dass sie unter dem Dach vor den kleinen Eiskristallen, die in immer größeren Mengen den Weg auf tschechischen Boden fanden, geschützt waren. Der Gästebereich, gezwängt in eine Ecke hinter dem Tor, ist im Gegensatz zu den übrigen drei Tribünen nicht überdacht. Zugleich ist er auch der einzige Stehblock im weiten Rechteck. Dass dies nicht immer der Fall war, verriet ein Blick vor Spielbeginn: Spärlich und höchst unregelmäßig gibt es noch ein paar wenige Sitze, die in den letzten Jahren nicht den Weg in den Innenraum oder sonst wohin gefunden haben. Auf der Gegenseite steht bis zur Mittellinie eine fast zwanzigreihige Tribüne mit blauen Sitzen, auf der sich die Zuschauer schutzsuchend ausschließlich in die oberen Reihen geflüchtet hatten. Hinter dem Tor gibt es eine halb so hohe Tribüne, in deren äußeren Ecke der heimische Mob stand. Nur hin und wieder konnten sie sich in den neunzig Spielminuten akustisch in Szene setzen. Es soll in der Vergangenheit durchaus vorgekommen sein, dass die Mannschaft optisch wie akustisch aktiver unterstützt wurde; es blieb heute leider nur bei kleinen Ansätzen. Aber auch der Gästeblock wusste nicht wirklich zu überzeugen. Es wurde zwar beinahe durchgängig gesungen, aber – wohl auch des Wetters wegen – erreichten ihre Anfeuerungsrufe keine bemerkenswerte Lautstärke. Unsere auf das Sanitärgebäude gesetzte und mit Vereinsgaststätte versehene Haupttribüne war durchaus gut besetzt. Auf dem Rasen gab es Dank des ortsansässigen Hauptsponsors und Namensgebers zu Beginn kurze Verwirrung bei mir. Der einst blau-gelbe FK Zlín spielte heute im firmeneigenen Rot und Weiß, die rot-weißen Prager hingegen im Blau der Tribünen. Verkehrte, kaputte Fußballwelt. Und auch ein: „Ey, dich kenn’ ich doch!“ irritierte mich kurz vor dem Anpfiff. Erst im Laufe des Spiels kehrten Erinnerungen an eine einst vergebene Mitfahrgelegenheit zwischen der wohlklingenden Stadt Mannheim und dem französischen Strasbourg zurück, als eben jener westpolnische Unioner aus Fulda Görti und mich begleitet hatte… Die äußeren Umstände sprachen von Beginn an gegen ein ansehnliches Fußballspiel. Diese Befürchtung bewahrheitete sich dann auch schnell. Der Platz war eine große braun-grün-weiße Matschwiese, die Bälle blieben liegen wann und wo sie wollten, die Spieler rutschten mehr, als dass sie liefen. So war es auch nicht weiter tragisch, dass ich eine Viertelstunde der ersten Hälfte verpasste, als ich mich – schlussendlich auch erfolgreich – auf die Suche nach einem wärmenden Tee machte. Trotz alledem war die Partie spannend und entschädigte so für die fehlende Begeisterung auf den Rängen. Vor allem in der zweiten Halbzeit, als die Gastgeber der Prager Führung aus der 40. Minute hinterherliefen, gab es auch Dank der Platzbedingungen unterhaltsame Chancen auf beiden Seiten. Letztlich behielten die Hauptstädter aber die Oberhand und konnten ihre Tabellenführung vor Sparta behaupten. Eine Woche sollte das große Derby stattfinden; die Vorzeichen auf ein großes Spiel waren gegeben; die beiden Vereine trennten lediglich zwei Punkt. Zlín hingegen sicherte sich mit der Niederlage seinen Platz im Niemandsland der Tabelle.



    Da die Zeit uns nicht trieb beschauten wir uns noch ein wenig die Feierlichkeiten der Sieger und schlenderten anschließend gemütlich zum Parkplatz. Bevor wir uns zurück auf den Weg in die Slowakei, nach Trencin machten, tauschten wir im Tesco unsere letzten tschechischen Kronen in ein Abendbrot und verließen gegen acht Uhr die Universitätsstadt. Bis zu unserer Herberge waren es etwa achtzig Kilometer und schon ohne Berücksichtigung der Witterungsverhältnisse prophezeite uns der Routenplaner eine fast eineinhalbstündige Fahrt. Der Weg in die Berge und über die Grenze war einmal mehr ein Teufelsritt; im Schneckentempo quälten wir uns durch die zugeschneiten Straßen. Erst nach dem Grenzübertritt, wenige Kilometer vor Trencin legte sich der wilde Schneefall, es tröpfelte nur noch ein wenig und bei unserer Ankunft hatte auch der Regen nachgelassen. Als ob nichts gewesen wäre funkelten die Sterne vom Himmel; die Trenciner Straßen waren trocken und pfützenlos.
    Bevor wir uns nun dem wohlverdienten Schlaf hingeben konnten, stand noch die Planung des kommenden Tages an. In Deutschland war die Tour im Grunde nur bis zum heutigen Montag und dem Spiel in Zlín (von Martin) geplant (worden). Wir hatten zwar grob angedacht den Dienstag und Mittwoch in Ungarn zu verbringen, die Viertelfinalrückspiele im Pokal – in Debrecen spielte der heimische VSC gegen den FC Fehervar, in Budapest hatten gar zwei Vereine, Vasas und Honvéd, Heimrecht – sowie das Länderspiel gegen Slowenien waren im Angebot, aber über die genauen Ansetzungen hatten wir uns nicht wirklich informiert beziehungsweise gab es bis zur Abreise keine genauen Angaben. Gegen das Länderspiel am Mittwoch hatten wir uns bereits entschieden. Tausende Magyaren, die ihre Fahnen während der Hymne in den Himmel streckten, hatten wir bereits vor zwei Jahren gegen Schweden bewundert und in der Slowakei hatten wir die seltene Gelegenheit ein Länderspiel außerhalb der Hauptstadt, in Zlaté Moravce, zu besuchen. So blieb uns nun nur der Dienstag um das Land anzusteuern, welches maßgeblich dazu beigetragen hatte, dass unsere Reisegruppe nur noch aus zwei Menschen bestand. Und wäre an diesem Tag lediglich das weitentfernte Debrecen im Angebot gewesen – wahrscheinlich hätten wir darauf dankend verzichtet und versucht Karten für das sechste Eishockeyhalbfinalspiel zwischen Dukla Trencin und Slovan Bratislava zu bekommen und den Tag über ein wenig Vollzeiturlauber und Burgbesichtiger gespielt. Eishockey steht auf meiner Favoritenliste zwar ähnlich schlecht wie der Winter, Polen oder Überstunden, aber Debrecen, nein, das konnte warten. Doch soweit kam es nicht. Während unserer kurzen Unterhaltung in Zlín deutete der Westpole bereits an, dass Debrecen wohl erst am Donnerstag spielen sollte, Vasas und Honvéd Budapest dafür am Dienstag. Nachdem Cousin Martin das per SMS bestätigen konnte, stand unser Plan fest: Am frühen Morgen wollten wir uns auf den Weg nach Ungarn machen, vor Budapest einen kurzen touristischen Abstecher nach Esztergom unternehmen, in Budapest zwei, möglicherweise anderthalb Pokalspiele angucken und noch am Abend ins Herz Europas zurückkehren, wo wir kurz hinter der Grenze ein Nachtlager finden wollten. Erster Schritt zur Umsetzung war Schlafengehen.


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  • Slowakische Ostern 3


    Wie geplant klingelte der Wecker schon früh an diesem Dienstag. Nach dem Duschen und Frühstücken, machten wir noch einem kurzen Spaziergang durch die Stadt und starteten bei strahlendem Sonnenschein Richtung Ungarn. Bis Esztergom waren es etwa 230 Kilometer, von dort bis in die Hauptstadt noch einmal 50. Das hieß, dass die Zeit heute ein guter Freund von uns sein würde und wir in aller Ruhe über die Dorfstraßen des Landes schleichen konnten. Gegen Mittag erreichten wir den Grenzort Komárno, eine dreiviertel Stunde später waren wir in einer der ältesten Städte Ungarns. Vor siebzehn Jahren waren wir schon einmal in diesem nordungarischen Donaustädtchen mit seiner weithin sichtbaren Basilika, die zu den größten Kirchenbauten Europas zählt. Allein die Erinnerungen waren im Laufe der Zeit mehr und mehr verblasst. Völlig unverständlich; ein wirklich imposanter Kirchenbau. Nach einer Stunde hatten wir den Burgberg bezwungen, die Kirche besichtigt und die Sicht auf die Donau genossen, so dass wir weiter gen Budapest fuhren.



    Die ungarische Hauptstadt erreichten wir pünktlich mit dem einsetzenden Feierabendverkehr. Um 17 Uhr sollte das erste um 19 Uhr das zweite Viertelfinalspiel angepfiffen werden. Theoretisch wäre es also sogar möglich gewesen beide Spiele über die volle Spielzeit zu sehen; die beiden Stadien lagen nur 14 Kilometer auseinander. Doch Theorie und Praxis sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe, was uns bei einer Probefahrt bewusst wurde. Für die Vorübung benötigten wir knapp 30 Minuten. Der Verkehr auf der Ringstraße um die Stadt war zu zähflüssig, zu stockend, zu zögerlich. Also entschieden wir uns, getreu dem Motto: „Ein Spiel dauert 90 Minuten, eine Halbzeit 45.“, schon nach dem Halbzeitpfiff des ersten Viertelfinalspiels zwischen Vasas Budapest und Integrál DAC Györ die Spielstätte zu wechseln. Die völlig richtige Entscheidung, wie wir später feststellen sollten.


    Vasas SC - Integrál DAC Györ
    Dienstag, 25.03.2008 - Magyar Kupa - Viertelfinale, Rückspiel - Stadion Rudolf Illovszky - Zuschauer: 500 - Endstand: 1-2


    Schon eine gute Dreiviertelstunde vor Anpfiff betraten wir das Stadiongelände vom Vasas SC im nördlichen Arbeiterviertel Angyalföld. Die Tribünenkarten kosteten uns jeweils 800 Forint und wurden von einer älteren Dame aus einem kleinen Loch im Kassenhäuschen verkauft. Mit den (wahrscheinlich) gut gemeinten Hinweisen, die uns die beiden Ordner am Einlass mit auf den Weg gaben, konnten wir allerdings nichts anfangen. Unsere Unterhaltung mit der Kartenverkäuferin mittels slowakischer, deutscher und englischer Wortfetzen unter Zuhilfenahme der Finger war bereits zu nervenaufreibend gewesen, so dass wir es bei einem bejahenden, aber nichts verstehendem Nicken beließen.
    Der Verein der Budapester Eisen- und Stahlarbeiter hat seine beste (fußballerische) Zeit schon lange hinter sich. Vor dreißig Jahren war er letztmalig ungarischer Meister, vor zwanzig Jahren Pokalsieger. In der Saison 2005/06 konnte er nur Dank des Lizenzentzugs des Rivalen Ferencváros die Klasse halten. Wie die meisten Vereine, die wir in den vergangenen Tagen gesehen und besucht hatten, spielten auch sie in der Liga im grauen Mittelfeld, jenseits von Gut und Böse, ohne Ambitionen nach oben, ohne fürchtenden Blick nach unten. Amtierender ungarischer Meister ist der Verein hingegen im Wasserball, mit vierzig olympischen Medaillen Weltspitze in der Leichtathletik. Der heutige Gegner Integrál spielt in der zweiten ungarischen Liga und ist hinter dem Győri ETO FC und dem Kunstgebilde Gyirmót SE nur die Nummer drei in der nordwestungarischen Stadt.
    Die Vorzeichen für die Gasgeber auf den Einzug ins Halbfinale konnten besser nicht sein; das Hinspiel eine Woche zuvor gewann der Favorit mit eins zu null. In das 18.000 Zuschauer fassende Illovszky-Rudolf-Stadion hatten sich zu Spielbeginn wohlwollend gerade einmal 500 Zuschauer eingefunden. Auf der Gegengerade standen etwa 20 Jugendliche, die ihren Fanblock mit vier Zaunfahnen absteckten, in den folgenden 45 Minuten aber nur selten auf sich aufmerksam machten. Einzig ein einzelner, unermüdlicher Fahnenschwenker mühte sich mehr oder weniger erfolgreich um Stimmung. Gäste waren wie erwartet nicht zum Hauptstadtbesuch angereist. Die Spielstätte hat wie der Verein seine beste Zeit lange hinter sich, was aber nicht unbedingt von Nachteil für sie war. Für meinen Geschmack ist das Stadion ein kleines, gemütliches, schönes und altes Ding. Es gibt nur eine überdachte Haupttribüne mit einer Handvoll Holzbänken, die es unüberdacht auch noch einmal vor der Tribüne gibt. Ansonsten ist das Stadionrund mit Stehplätzen samt blau-roten Wellenbrechern versehen. Das Marathontor ist zugleich die Anzeigetafel, die bis auf die Uhr auch noch alle nötigen Informationen anzeigt; Ergebnis und Eckenverhältnis.
    Und in eben jenem Eckenverhältnis lagen die Gäste aus Györ zur Halbzeit schon schier uneinholbar mit sieben zu eins zurück. Der Spielstand hingegen versprach durchaus spannende zweite 45 Minuten. Durch einen schmeichelhaften Elfmeter ging Integrál nach etwa 20 Minuten in Führung. Vasas bemühte sich in der Folge zwar, konnte gegen den gut stehenden Zweitligisten in der Offensive aber nichts ausrichten. In Hälfte zwei, als wir schon auf dem Weg gen Kispest waren, glückte dem Favoriten der Ausgleich, doch eine Viertelstunde vor Abpfiff schoss Györ seinen zweiten Treffer, so dass die Überraschung und der größte Erfolg der Vereinsgeschichte, der Einzug ins nationale Pokalhalbfinale, perfekt gemacht werden konnte.



    Ungefähr zu dem Zeitpunkt, als die Helden ihre Arme in den Budapester Abendhimmel gestreckt haben dürften, standen Görti und ich im Stau auf der Ringstraße, noch immer ein gutes Ende vom Bozsik-József-Stadion in der Puskás-Ferenc-Straße) entfernt. Zehn Minuten vor Anpfiff und nach einem bedrohlich klingenden Aufsetzer mit dem Auto auf dem Kantstein des Parkplatzes, erreichten wir unser Ziel. Für die vermeintlich kurze Strecke hatten wir fast eine Stunde benötigt, also noch einmal fast doppelt so lange wie bei unserem Probelauf. Der Verzicht auf Hälfte zwei war die richtige Entscheidung.



    Budapest Honvéd - Kazincbarcika BSC
    Dienstag, 25.03.2008 - Magyar Kupa - Viertelfinale, Rückspiel - Bozsik József Stadion - Zuschauer: 800 - Endstand: 4-2


    Wie der Ortsnachbar Vasas erwartete auch der 13-fache ungarische Meister im Rückspiel des Viertelfinales einen Zweitligisten. Und auch die übrigen Voraussetzungen waren ähnlich: das Hinspiel endete nicht optimal, aber mit einem zwei zu zwei doch noch im Rahmen, das weite Rund war nur spärlich besucht und die gefühlten Temperaturen waren weit unter null Grad angesiedelt. Bis zur 75. Minute kam sogar noch hinzu, dass auch im, nach dem großen Helden des Vereins benannten, Bozsik-Jósef-Stadion eine Überraschung in der Luft lag. Sehr zur Wonne der etwa 25 mitgereisten Fans führte der Tabellensechste der Liga 2 Ost. Und dann begannen fünfzehn äußerst bunte Spielminuten, die mich für die, vor allem eisigen, Qualen der vorherigen Spielzeit entschädigten. Zunächst gelang den Hauptstädtern der durchaus verdiente Ausgleich, nur zwei Minuten später erzielte der Senegalese Dieng Cheikh Abass, einem von fünf Afrikanern im Team, die Führung. Dieng Cheikh Abass hat übrigens am gleichen Tag Geburtstag wie Babacar Niang von Slovan Bratislava; am 1. Januar. Geboren 1995 allerdings… Der Gast versuchte nun noch einmal alles, hatte aber zuerst kein Glück bei der Chancenauswertung und dann Pech mit dem Schiedsrichter, der binnen fünf Minuten zwei Spieler vom Platz stellte. In der letzten Spielminute erhöhte Honvéd per Elfmeter schließlich noch auf vier zu zwei und qualifizierte sich so klarer als es wirklich war für das Halbfinale.
    Durch den Sieg in den Schlussminuten gelang es der Mannschaft, dessen Ersatztorhüter übrigens ein gewisser Pascal Borel ist, seine vorher ziemlich unzufriedenen Fans zu beschwichtigen, die an diesem Dienstagabend ziemlich überschaubar waren. Insgesamt hatten sich nur rund 800 Menschen durchringen können, 1.000 Forint Eintritt zu zahlen um den Titelverteidiger zu unterstützen. Der durchschnittliche Besuch in der Liga liegt bei knapp 2.200 Zuschauern; der Pokal kein Zugpferd im ungarischen Fußball. Entgegen dem recht durchgängigen, aber auch dünnen Gesang, der unsere Ohren aus dem fernen Gästebereich erreichte, beschränkte sich der heimische Anhang auf relativ regelmäßiges Schimpfen und nur einzelne „Honvéd“-Rufe. Hätten sie sich ein Beispiel an ihrem Stadionsprecher genommen, wären wir an diesem Abend Zeugen des emotionalsten Fußballspiels aller Zeiten geworden. Immer wieder forderte er die übersichtliche Zuschauerschar zum Mitmachen auf; schrie die Anfeuerungen selber drei, vier Mal selbst in sein Mikrofon. Allerdings erntete er für seine Bemühungen lediglich kurzes Gelächter.
    Das Stadion der Rot-Schwarzen machte nicht nur der Temperaturen wegen einen relativ kühlen Eindruck auf mich. Die gesamte Gerade mit ihrer ziemlich mächtigen Tribüne besitzt rote Sitzschalen samt schwarzem „CSAKA KISPEST BP. HONVED“-Schriftzug. Auch auf der Gegenseite gibt es ein paar rote und schwarze, allerdings unüberdachte, Plastikschalen mit dem Schriftzug „HONVED FC“. Einzig in den Kurven können die Menschen sich noch an rote Wellenbrecher lehnen. Alles wirkt ziemlich neu, frisch angestrichen und – seelenlos. Sicher wird es auch Freunde dieser heimeligen Fußballstätte geben; ich bin es nicht.



    Um 20.48 Uhr pfiff Ádám Németh das Spiel ab, Zeit für uns, in die zweite Heimat zurückzukehren. Direkt hinter der Grenze wollten wir die erstbeste Pension ansteuern, von der wir dann am letzten Urlaubstag in aller Ruhe nach Zlaté Moravce fahren wollten, dem Länderspielort. Bis wir die ungarische Hauptstadt hinter uns lassen konnten, war bereits eine Stunde vergangen. Die Straßen waren noch immer ziemlich verstopft. Und auch bis zur Grenze in Komárno waren wir eine ganze Weile unterwegs. Die Autobahn M1 konnten und wollten wir der Vignettenpflicht wegen nicht nutzen, so dass wir wieder über die Dörfer entlang der Donau fuhren. Nach knapp neunzig Kilometern und über zwei Stunden erreichten wir den Grenzort und begannen nun Ausschau nach einer Herberge zu halten. In Komárno bot sich auf den ersten Blick nichts an und auch in den ersten Dörfern danach waren Hinweisschilder auf Zimmer oder Pensionen eine Rarität. Nach 30 Kilometern erreichten wir das Ortseingangsschild von Nové Zámky und direkt dahinter die erste Herberge, die genauso ausgebucht war wie das folgende Hotel Royal. Die Rezeptionsdame dort wies uns aber in die Innenstadt; dort sollte es eine große Auswahl an Unterkünften geben, die nur auf uns warten würden. Die vierzehntgrößte Stadt der Slowakei erweckte zu dieser späten Stunde nicht wirklich den Eindruck, den man bei Tage von ihr gewinnen könnte. Von den vielen Kirchen im Ort, der Synagoge, dem Kalvarienberg oder gar den Resten der einstigen Festungsanlage sahen wir nichts. Dafür die Reklametafel des Sporthotels – Treffer!
    Zunächst allerdings nur in der Theorie. Schnitzeljagdartig näherten wir uns unserem Ziel, hangelten uns von Hinweisschild zu Hinweisschild und landeten schließlich in einem Park. Gut, dachten wir, also noch einmal von vorn. Wir irrten zurück auf die Hauptstraße und begannen nun also wieder von vorn; jedem Richtungshinweis hinterher um am Ende wieder in jenem Park zu landen. Gut, dachten wir nun, dann soll es wohl so sein, dass das Hotel nicht nur ein Sport- sondern zugleich auch ein Parkhotel ist. Sicher waren wir uns dabei allerdings nicht, die Schotterpiste wirkte im Dunkel der Nacht nicht sonderlich vielbefahren, geschweige denn vertrauenerweckend. Nach einiger Zeit und dem mehrmaligen Nutzen des Rückwärtsganges erreichten wir dann aber doch noch den Parkplatz unserer erwählten Herberge. Der erste Eindruck stimmte, zwei Busse und eine Handvoll Autos parkten vor dem Haus, im Inneren leuchteten noch die Lichter und ein paar Gestalten tummelten sich auch noch im Vorraum. Mit einer klassischen Hand-und-Fuß-Unterhaltung gaben mir die beiden Herren an der Rezeption dann auch zu verstehen, dass das Doppelzimmer 800 Kronen kosten würde, was wir ohne Beratschlagung sofort akzeptierten. Dazu noch ein Kozel zum Einschlafen und schon lagen wir auf unseren einfachen aber zweckmäßigen Pritschen.



    Entgegen unserem Vorhaben, uns am folgenden Morgen einmal so richtig auszuschlafen, weckten uns die Sonne, der Lärm auf dem Flur und das zugige Fenster relativ früh. Ein erster, verschlafener Blick durch eben jenes Fenster ließ uns anschließend aber richtig wach werden – wir konnten unseren Wagen nicht mehr erblicken. Die Busse standen noch da, ein paar, nein, genau ein Paar Autos auch noch, aber unser blauer Fiat war irgendwie weg. Des Rätsels Lösung war aber einfach, es war das dritte und vierte Wort im vorletzten Satz: „verschlafener Blick“. Das Auto hatte sich in einem ziemlich ungünstigen Winkel zwischen seinen Brüdern im Wesen versteckt, so dass er bei unserem ersten flüchtigen Blick unentdeckt blieb. Das mulmige Gefühl in der Magengegend verschwand, ersetzt wurde es durch Scham, dass wir dem stolzen slowakischen Volk einen Autodiebstahl zugetraut hatten. Vorteil der ganzen morgendlichen Aufregung war, dass wir nun putzmunter waren und ohne großen Aufschub unser letztes Ziel ansteuern konnten: Zlaté Moravce.
    Rast machten wir auf den 70 Kilometern nur in Nitra, einer der ältesten slowakischen Städte, um an der Heimstätte des heimischen FC ein ausgiebiges Frühstück zu halten. Auf eine Besichtigung der Neutraer Burganlagen verzichteten wir, an diesem Vormittag schneite es wieder einmal und gänzlich unbekannt war uns die Sehenswürdigkeit auch nicht. Nach dem voreiligen Verlassen Nové Zámkys, ohne einen Blick in die Stadt zu werfen, war dies bereits der zweite Fehler, den wir an diesem noch jungen Tag machten. Bemerken sollten wir das aber erst nach unserer Ankunft in Zlaté Moravce, wo wir pünktlich zur Mittagszeit ankamen und nun acht Stunden Zeit hatten, die es zu vertrödeln galt. Die 13.000-Einwohner-Stadt selbst war allein ihrer Größe wegen binnen kürzester Zeit erkundet. Auf eine weitere Fahrt nach Nitra, Trnava, Banska Bystrica oder gar Bratislava um dort ein wenig Urlaub zu machen, hatten wir aber auch nicht wirklich Lust, so dass wir es uns zunächst vor der örtlichen Touristinformation gemütlich machten, da es dort laut Aushang die Karten für das abendliche Länderspiel geben sollte, die aber ihre mittägliche Ruhepause hatte.
    Eine halbe Stunde später wollte oder konnte der gute Herr älteren Baujahrs, anfangs nicht viel mit meinem Wunsch nach Eintrittskarten anfangen. Auch mein deutsch-slowakisch-englisches Kauderwelsch – „Dwa Tickets für futbalovy heute Abend Slovakia Iceland“ – trug nicht wirklich dazu bei, dass wir uns schnell handelseinig werden konnten. Erst das stete Wiederholen meines multilingualen Satzgebildes und der Einsatz weiterer Sprachbrocken („ViOn“, „Stadion“ und „Match“), die ich ihm vor die Füße warf, taute das kommunikative Eis zwischen uns und wenig später tauschte ich 240 slowakische Kronen gegen zwei Eintrittskarten. Als Zugabe bekam ich noch einige touristische Broschüren über die nähere Umgebung; vielleicht konnten sie für die weitere Tagesplanung noch ganz nützlich sein.
    Blieben nun also noch sieben Stunden, die möglichst entspannend, kostengünstig und energiesparend verbracht werden mussten. Der Parkplatz vor der Touristeninformation schien uns nicht der richtige Platz dafür zu sein, war er doch zugleich auch für den nahen Billa und Busbahnhof vorgesehen. Außerdem stritten ein halbes Dutzend Zigeunerfrauen lautstark neben unserem Vehikel und die Szenerie erweckte nicht den Anschein, dass dieser Disput zeitnah gelöst werden könnte. Also entschieden wir uns zunächst einmal die Wettkampfstätte anzufahren. Vorbei am alten städtischen Stadion, erspähten wir schnell die Flutlichter der neuen Spielwiese am Rand der Stadt. Stunden vor dem Länderspiel war hier noch gar nichts los, keine Ordner, keine Absperrungen, kein wuseliges Treiben. Einzig vom Himmel rieselte einmal mehr der Schnee. Deshalb verzichteten wir auch auf ein kurzes Erkunden der Umgebung und zogen gemütliches Dösen und Lesen im Auto vor. Nach gefühlten fünf Stunden wurde die Gemütlichkeit aber von einsetzender Langeweile vertrieben. Ein Blick auf die Uhr – nicht einmal 45 Minuten waren vergangen. Aber wir hatten ja noch unsere Broschüren. Leider stellten sich diese dann doch nicht als wirklich hilfreich heraus; wären wir begeisterte Reiter gewesen – ohne weiteres hätten wir in der Umgebung von Goldmorawitz unserem Hobby frönen können, aber mit ein paar alten Steinen oder Aussichtspunkten konnten uns die Papiere auch liefern. Im Nachbarort Topoľčianky sollte es ein Schlossähnliches Gebäude geben, doch als wir dort ankamen stellte sich dieses als besseres (und im Grunde uninteressantes) Gutshaus heraus. So beließen wir es auf dem dortigen Parkplatz ein ganzes Weilchen beim bereits erprobten gemütlichen Dösen und Lesen. Und wie bereits zuvor, löste die Langeweile nach einiger Zeit die Gemütlichkeit ab. Völlig unbegreiflich, dass wir am Morgen Nové Zámky und Nitra achtlos hinter uns gelassen hatten. Zu keiner Zeit bestand die Notwendigkeit zu Hetzen; ein wenig Flanieren durch die touristisch interessanten Ortschaften wäre absolut sinnvoll gewesen. So saßen wir aber in der mittelslowakischen Einöde fest, bis zum Anpfiff des Ländervergleichs gegen Island waren es noch über vier Stunden.



    Aufgrund mangelnder Alternativen entschieden wir uns nun doch noch ein paar Kilometer zu fahren, um die Zeit totzuschlagen, möglicherweise noch ein wenig Kultur zu entdecken und die letzten slowakischen Kronen auf den Kopf zu hauen. Die Wahl fiel auf das knapp 30 Kilometer entfernte Levice mit seiner Burgruine aus dem 13. Jahrhundert. Kurz hinter der Stadtgrenze erblickten wir unsere Ziele einträchtig nebeneinander, getrennt nur durch die Hauptstraße – die Reste der Burg Lewenz und einen Hypernova. Aus infrastrukturellen Gründen steuerten wir zunächst den Supermarkt an, stellten das Auto ab und betraten den 24-Stunden-Supermarkt. Obgleich wir nun nicht vom Rund-um-die-Uhr-Service Gebrauch machten, verhält es sich mit diesem Angebot wie mit der Zerstückelung der Anstoßzeiten in den ersten beiden Fußballligen. In Deutschland würde ich es als völlig überflüssig und wertlos, sowie äußerst kritisch und missbilligend ansehen. Hier im Südosten Mitteleuropas war es eine willkommene Offerte. Menschlich würde ich meinen. Und ziemlich dumm… Bis auf 200 Kronen verjubelten wir hier unsere letzten Devisen, allein der Kauf einer Flasche Goral – einzig zur Unterstützung des Heimatvereins – verschlang dabei schon den Großteil der letzten Scheine im Portemonnaie.
    Dass wir uns einmal mehr an diesem Tag falsch entschieden hatten und statt des Supermarktes zunächst die Burg hätten anfahren sollen, stellten wir fest, als wir dort Punkt vier Uhr vor verschlossenen Toren standen – Öffnungszeit: Täglich 8 – 16 Uhr. Mit dem guten Wissen, dass wir wenigstens ein bisschen Zeit vertrödelt hatten, kehrten wir nach Zlaté Moravce zurück. Dort war mittlerweile etwas Betriebsamkeit ums Stadiongelände eingetreten, in unserem Fall in Form eines bulligen Ordners, der uns die Zufahrt auf den angrenzenden Parkplatz verwehrte. So blieb uns nichts anderes übrig, als wieder ein paar hundert Meter in die Stadt zu fahren, den erstbesten Parkplatz anzusteuern und dort eisern die letzten zwei Stunden Wartezeit zu verbringen. Lesen. Dösen. Dösen. Lesen.


    Slowakei – Island
    Mitwoch, 26.03.2008 - Freundschaftsspiel - Stadión FC ViOn - Zuschauer: 4.120 - Endstand: 1-2


    Früher als wirklich gemusst, knapp anderthalb Stunden vor Spielbeginn, betraten wir das Stadion des Erstligisten FC ViOn. Das kleine Städtchen war sich seiner Ehre durchaus bewusst, die Nationalmannschaft zum Spiel gegen Island begrüßen zu dürfen. Das 5.000 Zuschauer fassende Stadion war bunt geschmückt, am Eingang spielte das städtische Blasorchester und die Menschen machten trotz des kalten Wetters einen freudig erregten Eindruck.
    Über den FC ViOn kann und will ich nicht viel sagen. Zum einen stellte er heute lediglich seine Heimstätte zur Verfügung und zum anderen bin ich aus dem Fußballclub in Zlaté Moravce noch nicht wirklich schlau geworden. Vor zwölf Jahren gegründet, stieg er 2007 in die erste Liga auf und wurde in der vergangenen Saison erstmals Pokalsieger. Dazu dieser Stadionneubau, das angrenzende Hotel ViOn – klingt in meinen Ohren irgendwie alles sehr nach hochgekauft.
    Zlaté Moravce war heute übrigens erst die zehnte slowakische Stadt, die Austragungsort eines Länderspiels sein durfte. In der Regel und weit über die Hälfte der bisherigen Heimspiele trug der slowakische Fußballverband bisher im Tehelné pole in Bratislava aus. Das Stadión FC ViOn ist ein reiner Allseater und nur die kleine Haupttribüne hat etwa 1.000 überdachte Plätze im Angebot. Die übrigen Sitzschalen sind auf den anderen drei Stadionseiten verteilt, fünf Reihen auf der Gegengerade, drei Reihen hinter den Toren. Das alles machte einen ziemlich künstlichen Eindruck auf mich, erinnerte mich irgendwie an die zweite österreichische Liga.
    Görti und ich hatten es uns auf der Gegengerade gemütlich gemacht. In der „Kurve“ tat es uns die örtliche Grundschulklasse gleich. Mit Trommel und Plakaten stimmte sich das Dutzend Elfjähriger auf die kommenden neunzig Minuten ein. Tage später entdeckte ich die gleiche Truppe auf Fotos im Internet – es war zugleich die treue Riege der Lokalmannschaft. Glücklicherweise ebbte ihre akustische Begeisterung noch vor dem ersten Pfiff des Schiedsrichters merklich ab. Selbst zur Hymne, die vom Band kam und zwischenzeitlich leicht leierte, wurde nur vereinzelt mitgesungen. Überhaupt waren die neunzig Spielminuten auf den Rängen eine ziemlich durchwachsene Angelegenheit. Die Stimmung im Stadion war dem Bau würdig – die meiste Zeit über war es ziemlich still, einzig der junge Fanblock krakelte vereinzelt in den Abendhimmel, noch seltener, aber dafür umso überraschender konnten sie die übrigen Zuschauer zum Mitmachen animieren. Anders auf dem Rasen. Die Gastgeber boten in den ersten 45 Minuten eine ganz ordentliche Leistung und konnten sich ein paar gute Chancen erarbeiten. Die Gäste aus dem hohen Norden hingegen beließen es bei körperlicher Anwesenheit. Das gleiche Bild bot sich auch in der zweiten Hälfte, mit dem kleinen Unterschied, dass das Publikum die vielen vergebenen Chancen nicht mehr ganz so wohlwollend zur Kenntnis nahm. Zwanzig Minuten vor dem Ende ging der FIFA-Weltranglisten-86. zum Entsetzen der Zuschauer gegen die 20 Ränge besser platzierten Slowaken mit ihrem ersten Torschuss völlig überraschend in Führung. Der nur wenige Minuten zuvor eingewechselte Gunnar Thorvaldsson traf unter gütiger Mithilfe des slowakischen Torhüters Jan Mucha zum eins zu null. Zwölf Minuten trug dieser Rückstand maßgeblich zur Besserung der Stimmung bei; immer öfter schrieen die 4.000 Kehlen nun „Slovensko do toho!“ in die Nacht. Unterstützt wurde die aufkommende Hektik auf den Rängen durch eine Vielzahl ausgelassener Großchancen und abrupt durch Eidur Gudjohnsen beendet. In der 82. Spielminute fand auch der zweite Schuss der Isländer seinen Weg ins Tor der Gastgeber. Die Zuschauer verabschiedeten sich nun zusehends, den Anschlusstreffer durch Marek Mintal wenige Minuten vor Schluss bekamen nur noch wenige mit. Das 14. Länderspieltor des Nürnbergers war zugleich die letzte sehenswerte Aktion des Länderkampfes; Chancenverhältnis 20 zu 2, Endergebnis 1 zu 2.
    Mindestens genauso enttäuschend wie das Ergebnis war im Übrigen auch die letzte Klobása, die wir in diesem Urlaub bekamen. Genau 200 Kronen hatten wir für unser Abendessen übrig behalten, brauchten davon etwas mehr als die Hälfte und bekamen dafür die schlechteste Wurst, die ich in einem slowakischen Stadion jemals gegessen habe. Die Dame in hinter ihrem Verkaufsstand holte zwei Exemplare aus ihrem Warmhalte-Topf, stellte sie dreißig Sekunden in die Mikrowelle und mit einer halben Scheibe Kümmelbrot durfte ich die große Enttäuschung in Empfang nehmen. Es passte irgendwie so alles in diesem Ort. Ich erklärte ihn anschließend auch zu meinem Greifswald der Slowakei: überflüssig, hässlich, schlecht.



    Um uns vollends zu vergrätzen hatte es Mitte der zweiten Halbzeit auch wieder begonnen stark zu schneien, so dass wir die ersten der 1.000 Kilometer ins heimatliche Wismar nur mühsam vorankamen. Einmal mehr war dabei das slowakisch-tschechische Grenzgebiet die wahrhafte Achse des Bösen. Sichtverhältnisse bis zum Ende der Motorhaube, verschneite Straßen und zu allem Überfluss auch noch neugierige Rehe am Waldesrand – bis Brno stellte uns das Wetter auf eine harte Probe. Erst dort besserte sich das Wetter, es hörte auf zu schneien, schließlich legte sich auch der Regen und wir kamen zügig voran; lediglich alle siebzig Kilometer unterbrochen um dem letzten Leiden Herr zu werden – der einsetzenden Müdigkeit. 30 Kronen ließ ich an jedem Kaffeeautomaten, der mir vor die Augen kam, um eben jene offen zu halten. Auf den letzten tschechischen Kaffee kurz vor der Grenze musste ich allerdings verzichten. Während ich den alten Kaffee der Natur übergab, steckte Görti die letzten Kronen in den Automaten, drückte auf den roten Knopf und schaute seelenruhig dabei zu, wie das schwarze Gold aus der Maschine tröpfelte. Direkt in den Abfluss. Die Pappbecher standen neben der Maschine… Diesen kleinen Fauxpas konnte ich ihm so einfach aber nicht durchgehen lassen. Es gab einen kurzen cholerischen Anfall meinerseits – ich schiebe es auf die Müdigkeit – und bis weit nach Berlin fuhren wir schweigend der Ostsee entgegen.



    Zur Morgendämmerung erreichten wir Dresden, einige Stunden später ließen wir das vernebelte Berlin hinter uns und kurz nach halb elf stand unser Fiat auf Zeit vor der elterlichen Garage. In der vergangenen Woche hatte er uns grundsolide 4.059 Kilometer durch die schönsten Städte, Dörfer und Landstriche der Welt gefahren. Die Slowakei, das Herz Europas, war uns, wie wir es auch gar nicht anders erwartet hatten, eine gute Gastgeberin gewesen. Und es ist unumgänglich, noch in diesem Jahr werde ich zurückkehren…


    Es blitzt über der Tatra, wild grollen die Donner,
    lasst sie uns stoppen, Brüder, sie werden sicher verschwinden, die Slowaken leben auf.


    Diese, unsere Slowakei hat bis jetzt tief geschlafen,
    aber der Donner und die Blitze ermuntern sie, wieder aufzuwachen.




    Mehr Fotos von Land und Leuten gibt’s auf ralman.de

  • Sehr schöner Bericht. :thumbsup:


    Dem kann ich mich nur anschließen. :bia:
    Besonders interessant war er für mich schon deshalb, weil ich vorhabe in diesem Sommer auch einen Kurzurlaub in der Slowakei mit Ausflügen nach Ungarn, Österreich und evtl. Polen zu machen. Ich hoffe nur die entsprechenden Ligen fangen dieses Jahr trotz der EM nicht wesentlich später an als in der laufenden Saison.

  • moin...schöner bericht.


    von integral waren zehn leute mit, aber auch erst nach schlußpfiff beim jubeln auf der gegengerade zu erkennen.
    gute pöbelei die letzte 15min auf der tribüne. ultra haufen von vasas is auch nicht wirklich jugendlich ;)
    ham schon tradition dort...zur 15min war ich mit der metro bei fradi-sheffield 6800 zuschauer beim freundschaftskick.


    honved dann freitag gegen diosgyör gesehen...heimgruppe streikt wegen 2 stadionverboten...
    diosgyör mit gutem auftritt 300 leute mit pyro etc.


    gruss

    "WORTE SIND EIN UNGÜNSTIGES MITTEL UM DIE WAHRHEIT DARZUSTELLEN." stanley kubrick

  • :thumbup:

  • Zitat

    Bevor wir uns von Martin verabschieden mussten, hatten wir geplant noch etwas in der Innenstadt zu essen und so schritten wir am Busbahnhof vorbei, unserem Ziel entgegen. Und da wir nun schon an der Station waren, schaute Martin im Vorbeigehen gleich einmal auf den Abfahrtsplan um herauszufinden, von welchem Bussteig die Fahrt später beginnen sollte. Doch was er dabei entdeckte war schier unglaublich, unfassbar, unerklärlich. Martin konnte den gebuchten Bus nicht finden. Er verglich seinen ausgedruckten Fahrschein mit dem ausgehängten Plan, aber keine einzige Busgesellschaft steuerte am heutigen Montag das größte Freilichtmuseum Sachsens an. Sonntags gab es einen Bus, der um 11.45 Uhr nach Dresden fuhr. Und freitags. Aber nicht heute, am Montag, dem 24. März. Martin schaute sich seinen Fahrschein nun noch einmal genauer an. Und was er nun entdeckte war noch schier unglaublicher, unfassbarer und unerklärlicher als der fehlende Bus am Plan: Im Glauben eine Fahrkarte für den heutigen Tag bestellt zu haben, hatte Martin ein Ticket für den Bus am 29. März gekauft. Freitag. Das war auch ihm noch nicht passiert. Selten zuvor hatte er 20 Euro so sinnlos in den Sand gesetzt. Er konnte sich diesen Fauxpas überhaupt nicht erklären. Selbst jetzt war er noch felsenfest davon überzeugt, dass jeder, aber nicht er einen Fehler gemacht haben musste; er hätte einen Fahrschein für den heutigen Montag. Mein tränenreiches Gelächter war sicherlich nicht hilfreich in dieser Situation. Aber was sollte er machen; er musste irgendeinen anderen Weg Richtung Heimat finden. Die Variante Bus fiel nun flach, also musste der Zug herhalten. Züge, die über Prag nach Deutschland fuhren gab es zu Genüge. Schmerzlich war freilich das zusätzlich zu entrichtende Entgelt. 30 Euro kostete die Fahrt im Eurocity Budapest-Hamburg. Vorteilhaft einzig, dass er nun 15 Minuten früher daheim war. Ein Vorzug auf den er gern verzichtet hätte und ein Missgeschick, das ihm unter anderem Namen wohl nie passiert wäre…


    für die unterhaltung nicht schlecht! blabla off! :schal5: