Maskierte Schläger überfallen Chemie-Fans
Ein Schwerverletzter und mehrere Leichtverletzte vor Hallenfußballturnier der 3. Kreisklasse in Leipzig
Von Steffen Enigk
Es ist der ganz kleine Fußball, es geht um die 12. Liga, die unterste überhaupt. In der Leipziger Grube-Halle wird am Sonnabend der Hallenmeister der 3. Kreisklasse ermittelt. Die neu gegründete BSG Chemie Leipzig spielt gegen Großpösna, Knautkleeberg II, Turbine II, den SV West 03 und den SV Lok Nordost II. Bevor um 9 Uhr der erste Anpfiff ertönt, treffen sich an der Straßenbahnhaltestelle in der Jahnallee einige Chemie-Fans. Doch aus ihrer Vorfreude auf den „Budenzauber“ wird schnell das blanke Entsetzen.
Um 8.45 Uhr taucht aus dem gegenüber liegenden Wochenend-Markt ein Trupp von Schlägern auf, marschiert direkt auf die Fan-Gruppe zu, prügelt brutal und offenbar gezielt auf einige der Anhänger ein. Ein 22-Jähriger bleibt liegen, muss mit Verdacht auf Schädelbruch ins Krankenhaus eingeliefert werden, ein 23-Jähriger verliert mehrere Zähne, wird ambulant behandelt. Andere tragen Hämatome davon. Als 20 Minuten später die Polizei eintrifft, ist von den Tätern nichts mehr zu sehen. Der Polizeibericht spricht von „20 bis 40 Maskierten“, es werde mit Hochdruck ermittelt.
Erik Fischer ist schon fünf Minuten nach dem Überfall vor Ort. „Als ich kam, war schon alles vorbei, wurde gerade erste Hilfe für die Verletzten geleistet“, erzählt Fischer, der im Leipziger Fan-Projekt für die Chemie-Anhänger verantwortlich ist. Er erfährt von den Betroffenen, dass der erste Schlägertrupp etwa 15 Mann stark war, dass danach noch eine zweite Welle von rund 30 Vermummten anrollte. „Aber wer diese Leute waren, konnte mir niemand genau sagen“, so Fischer, „es gibt nur Mutmaßungen.“ Auch Polizeisprecher Andreas Loepki hütet sich vor Schuldzuweisungen. „Die Täter haben keine Parolen gerufen und trugen auch keine Symbole“, erklärt der Beamte.
Natürlich kursieren Gerüchte. Einige der Schläger sollen als so genannte „Freie Kräfte“ der rechtsextremen Szene angehören, es könnten auch Anhänger des 1. FC Lok und des Halleschen FC beteiligt gewesen sein. Beweise fehlen, Indizien sind dünn. Die Chemie-Fans gelten als eher linkslastig, der Schwerverletzte kommt aus der Antifa-Szene. Gut möglich, dass politische Auseinandersetzungen und persönliche Abrechnungen auf dem Rücken des Fußballs ausgetragen wurden.
„Was da passiert, ist einfach nur krank“, sagt Steffen Kubald, Vorsitzender des 1. FC Lok, „mir liegen keinerlei Erkenntnisse vor, unser Verein hat mit diesen Vorfällen nichts, aber auch gar nichts zu tun, unsere Fans waren am Samstagvormittag auf dem Weg zum Hallenturnier in Riesa.“
Klaus Seiferth, Abteilungsleiter Fußball der BSG Chemie, bekam vom Überfall nichts mit. „In und vor der Halle blieb ja alles ruhig“, betont der 71-Jährige, „es gab im Vorfeld eine Sicherheitsberatung, wir hatten Ordner dabei, uns wurde auch gesagt, dass die Polizei präsent sein wird.“ Seiferth, seit 1946 in Leutzsch am Ball, ist schockiert über das Ausmaß der Gewalt. „Das hat nichts mit Sport zu tun, das ist einfach nur kriminell, diese Leute benutzen den Fußball als Bühne, um sich auszutoben.“ So konnte er sich kaum darüber freuen, dass seine Chemie-Mannschaft am Sonnabend Hallenmeister wurde: „Die Stimmung war weg, das macht doch keinen Spaß mehr.“
Die Polizei bittet Zeugen, sich bei der Kripo zu melden: (0341) 96 64 22 34
LVZ