Slowakische Ostern 2
Der nächste Morgen begann trotz der Vor(abend)geschichte früh für mich. Um halb elf wollten wir das Heimspiel vom FC Artmedia besuchen, aus diesem Grund hatte ich den Wecker auf halb neun gestellt. Duschen, Frühstücken, Auschecken, Altstadtrundgang und Donauüberquerung zwecks Spielanreise sollten in diesen zwei Stunden geschafft werden. Ich erwachte um sieben Uhr. Ich kann nicht einmal genau sagen woran es lag. Unsere fünf Mitbewohner schliefen still und leise in ihren Betten, auch Görti und Cousin Martin schlummerten noch fest. Ich aber war wach. Und konnte das auch nicht mehr ändern. Da ich im Urlaub war und erst am Vortag geduscht hatte, beschränkte ich mich aus purer Faulheit und Lust an männlichster Männlichkeit aufs Zähneputzen, machte mich ausgehfertig und verließ das Hostel. Das Wetter vor der Tür schien auch noch zu schlafen. Es war alles ziemlich grau und ab und an tröpfelte es auf mich herab. Am Samstag war das Hauptstadtwetter noch wunderbar gewesen. Kalt war es zwar, aber der blaue Himmel mit leichter Bewölkung, dazu das leuchtende Himmelsgestirn – fast perfektes Osterwetter. Nichtsdestotrotz machte ich mich zielstrebig auf in die Altstadt. Bratislava, am Ostermorgen um halb acht, hatte mehr als ich erwartet hatte. Für einen Menschenfreund wie mich, der sich an größeren (und auch kleineren) Ansammlungen eigentlich nur in Fußballstadien erfreuen kann, waren die leeren Straßen eine Wohltat. Einzig ein asiatisches Touristenpärchen war ebenfalls schon auf den Beinen sowie eine polnische Kindergruppe, die ich aber schnell hinter mir lassen konnte.
Die Altstadt Bratislavas ist im Grunde schnell zu erlaufen. Durch das Michaelertor den Boulevard entlang, dann nach links auf den Marktplatz mit Altem Rathaus und Jesuitenkirche, weiter zum Nationaltheater und ein paar Schritte später landet der Besucher am Dom Sankt Martin. Es gibt sicher nicht soviel zu entdecken, wie in Tallinn oder Prag, aber dafür ist es auch nicht so überladen wie beispielsweise die große Schwester Wien auf der anderen Seite der Dunaj. Und gerade diese Beschaulichkeit macht das ehemalige Pressburg für mich zu einer der schönsten Hauptstädte in Europa.
Nach einer guten Stunde kehrte ich zufrieden ins Hostel zurück, wo das komplette Zimmer noch immer selig schlief. Da die Stunde trauter Einsamkeit für den Tag völlig ausreichend für mich war, begann ich nun aus reinem Eigennutz, meine Reisebegleiter zur wecken. Die eintretende Betriebsamkeit hatte zur Folge, dass auch der Rest des Zimmers langsam wach wurde, was wiederum zu einer Verzögerung der Morgentoilette führte. Zwei Duschen samt Waschbecken waren zu wenig für neun hygienebedürftige Erdenbewohner.
Bevor wir uns nun in den Stadtteil Petrzalka zum dortigen Stadion aufmachten, entschieden wir uns, noch einen kurzen Abstecher hinauf zur Burg zu machen. So sehr mir die Altstadt Bratislavas auch gefällt, die Burg auf dem Hügel über Stadt ließ mich auch heute wieder völlig kalt. Von den unzähligen Burgen und Schlössern, die es in der Slowakei zu entdecken gibt, ist die Pressburg wahrlich eine der langweiligsten. Das Wahrzeichen der Stadt erscheint mir lediglich aus der Ferne sehenswert. Bis vor sechzig Jahren erhoben sich übrigens nur die Ruinen der Burg über die Stadt. Ein Feuer hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Burg bis auf die Grundmauern zerstört und erst in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die Bratislavaer Burg originalgetreu wieder aufgebaut.
Oft wird über das unangenehme Verhalten deutscher Touristen im Ausland geschrieben. Nicht selten zu unrecht. Doch während unseres Besuchs auf der Burg, zeichneten sich die Gäste aus unserem östlichen Nachbarland durch allerlei Peinlichkeiten aus. Vielleicht lag meine Missbilligung an ihrem Verhalten auch daran, dass ich grundsätzlich wenig mit den Westslawen und ihrem an sich schönen Land anfangen kann. Warum auch immer… Auf der Suche nach einer ansehnlichen Postkarte für die Liebe(n) daheim, kehrten wir kurz in den burgeigenen Souvenirshop ein. Und was sich dort abspielte, spottete jeglicher Beschreibung. Schlimm genug, dass ich dort keine Postkarte fand, da es in diesem Laden nur Kram, Trödel, Plunder, Ramsch, Kitsch; Firlefanz, Klimbim – Schrott gab, nein, die Polen drehten dort vor Begeisterung ob dieser Dinge völlig durch. Ein Foto mit einer Strohpuppe hier, ein Lächeln in die Videokamera samt Keramiktasse dort und ständiges Freudengeschrei über irgendwelche Plastiksinnlosigkeiten überall. Um meine Vorurteile und Abneigungen zu bestärken redete ich mir ein, dass so etwas nur von ihnen, nein, DENEN kommen kann. Von Russen vielleicht noch, die kenn ich zwar nicht, aber egal; bestimmt… Italiener würden sicher auch so ein Spektakel veranstalten. Chinesen ganz gewiss auch. Ganz schlimm. Sollen die sich ein Beispiel an den Ungarn nehmen. Da wäre so ein Verhalten undenkbar. Oder bei Kroaten. Iren. Norwegern. Kanadiern…
Bis Spielbeginn blieb uns nun noch immer etwas Zeit, die wir mit einem Abstecher in die Altstadt füllten. Der zweite Rundgang binnen neunzig Minuten schmälerte meine Begeisterung für Bratislava nicht. Über Rathaus, Franziskanerkirche und Marktplatz marschierten wir am Michaelertor vorbei und durch eine der kleinen Gässchen zurück zum Auto.
FC Artmedia Petrzalka - FK ZTS Dubnica
Sonntag, 23.03.2008 - Corgon Liga - 22. Spieltag - Stadión Petrzalka - Zuschauer: 2.400 - Endstand: 1-0
Obwohl Artmedia einer der ältesten Vereine der Stadt ist, die Ursprünge gehen bis ins Jahr 1898 zurück, zählt er keinesfalls zu den beliebtesten, geschweige denn erfolgreichsten Fußballklubs der Stadt. Den größten Erfolg feierte die Mannschaft vor drei Jahren, als sie die slowakische Meisterschaft erringen und sich in der Champions-League bis in die Hauptrunde vorkämpfen konnte. Aufgrund der UEFA-Bestimmungen musste Artmedia seine Heimspiele in der angeblichen Königsklasse des Fußballs übrigens im Tehelné pole austragen. Der heutige Gast aus Dubnica nad Vahóm, einem 25.000 Einwohner zählendem Städtchen bei Trencin, ist in der Bier-Liga das, was man eine klassische graue Maus nennt. Bereits 1926 gegründet zählt ein vierter Platz in der Saison 2004/05 zu den größten Erfolgen des Vereins, der sich in den vergangen zehn Jahren dadurch ausgezeichnet hat, exakt zehn Trainer beschäftigt zu haben.
Das Stadion in Petrzalka ist ein reines Fußballstadion mit drei ausgebauten Tribünen aus Stahl und Beton, die allesamt überdacht und mit grünen Sitzschalen versehen sind. Einzig die Gegengerade, mit dem alten Vereinsheim bricht aus der Eintönigkeit des Baus aus. Auf dem Gebäude gibt es einen überdachten Balkon, der augenscheinlich als „VIP-Loge“ genutzt wird, und davor einen stählernen Hochsitz für die Presse. Die einzige Möglichkeit zum Stehen gibt es links und rechts von diesem Hochsitz, wo einfache, nichtüberdachte sechsstufige Tribünen stehen, die so gar nicht zu ihren jüngeren Brüdern passen, aber im Gegensatz zu ihnen einen unglaublichen Charme ausstrahlen, weshalb wir es uns dort auch trotz Nieselregens in Hälfte zwei bequem machten.
In der Kurve hatten sich heute etwa 40 Freunde der Schwarz-Weißen niedergelassen, die sich trotz Trommel mit Anfeuerungsrufen arg zurückhielten. Ein paar Fahnen schmückten den B2-Block, unter anderem ein Engerau1898-Banner. Als SC Engerau spielte der Verein im Dritten Reich in der Gauklasse Niederdonau Süd. Im Übrigen ist Engerau, oder um mal wieder in die Jetzt-Zeit zurückzukehren, Petrzalka, erst seit Ende des Zweiten Weltkriegs ein Stadtteil von Bratislava. Ein äußerst beliebter zudem, trotz unzähliger Plattenbauten und der höchsten Bevölkerungsdichte der Slowakei.
In der anderen Ecke des Stadions hatte sich eine kleine Gesandtschaft aus dem Waagtal niedergelassen. Hinter ihren zwei drei Fahnen („Dubnický Fan Club“, „Blue Street Elite Dubnica“, „FK ZTS Dubnica“) klatschten und sangen die 14- bis 16-Jährigen fast durchgängig, wenn auch bescheiden. Viel Grund zur Freude hatten sie aber auch nicht; der Meisterschaftsanwärter Nummer zwei gewann knapp, aber nicht unverdient, geschweige denn mit viel Mühe. Das Spiel war ziemlich schwach; gerade von den Hauptstädtern hätte ich wegen ihrer Platzierung und ihren Ambitionen etwas mehr erwartet. Das einzige Tor des Tages verpasste ich auch noch, da ich just im Moment des Jubels am alten Vereinsheim stand und unter größter sprachlicher Kraftanstrengung mein mittägliches Frühstück erwarb; Klobása mit Kümmelbrot. Nach Piroggen DAS kulinarische Highlight in der Slowakei.
Der Schlusspfiff des Spiels bedeutete für uns auch Abschiednehmen von Bratislava. Unser nächstes Ziel war die mittlere Slowakei. Am Abend spielte in Ruzomberok der heimische MFK gegen den Fußballclub aus Senec. Für die 260 Kilometer auf slowakischen Autobahnen hatten wir fast fünf Stunden Zeit. Diese Voraussetzung ermöglichte es uns, dass wir auf unserer Fahrt noch die kleine Kreisstadt Bytca ansteuerten um den dortigen Viertligisten im Spiel gegen die Reservemannschaft des FC Rimavská Sobota zu unterstützen. Zeitweise zumindest… Dieses Unterfangen erwies sich allerdings anfangs schwerer als erwartet. Obwohl wir nahezu jede Straße des 11.000-Einwohner-Örtchens, in dem 1887 übrigens Jozef Tiso, der Präsident der ersten autonomen slowakischen Republik, geboren wurde, durchfahren hatten, wollte das Mestsky Stadión nicht auftauchen. Auch das Fahren auf eine Anhöhe blieb ohne Erfolg. Als wir kurz davor standen, die Partie Partie sein zu lassen und doch schon weiter nach Ruzomberok zu fahren, erblickte Cousin Martin plötzlich das Reklameschild einer Sparkasse, die in der gleichen Straße ansässig war, wie das Stadion. So folgten wir der Beschilderung und landeten schließlich im Zentrum der Stadt, das übrigens durchaus zu gefallen wusste. Aber für eine Stadtbesichtigung hatten wir nur wenig, nein, eigentlich gar keine Zeit. Hier entdeckten wir nun auch ein handgemaltes Spielankündigungsplakat und mithilfe eines kurzen Hinweises durch einen Bewohner fanden wir schließlich doch noch die Spielstätte. Das Auto stellten wir direkt vor dem Stadion ab und für 20 Kronen durften wir dieses auch betreten. Den kostenlosen Sitzkissenservice lehnten wir dankend ab.
FO Kinex Bytca - FC Rimavská Sobota B
Sonntag, 23.03.2008 - III. Futbalová Liga Stred - 6. Spieltag - Mestsky Stadión - Zuschauer: 160 - Endstand: 2-1
Schnell stellte sich heraus, dass wir das Wohlfühlangebot für unser Gesäß hätten annehmen sollen. Anfangs standen wir noch auf der Längsseite des Stadions, das ohne seine überdachte Sitzplatztribüne, die sich oberhalb des Vereinsheims befindet, ein schlichter Sportplatz wäre, ähnlich denen, auf denen Görti in der 1. Kreisklasse Woche für Woche selbst spielt. Aber der eisige Wind und nervende Regen trieb uns bereits nach ein paar Minuten auf selbige, von wo wir zumindest in den ersten Minuten eine ziemlich überlegene Heimelf sahen, die schnell und verdient in Führung ging. Zeitweise sah es so aus, als ob die B-Mannschaft aus Rimavská Sobota nach neunzig Minuten zweistellig abgeschossen werden könnte. Aber ohne erkennbaren Grund kam nach zwanzig Minuten ein Bruch ins Spiel der FO Kinex, so dass das Spiel fortan ziemlich öde und langweilig wurde. Deshalb fiel uns unser schändlicher Abschied nach der Hälfte der Spielzeit auch nicht schwer.
Für mich als Freund von Anzeigetafeln hatte das Mestsky Stadion einen ganz besonderen Leckerbissen parat. An der hinteren rechten Ecke des Spielfelds steht eine wunderbar alte elektronische Ergebnisanzeige; wunderbar anzuschauen, vor allem auch wegen des alten Mannes, der es sich in der Sitzecke darunter gemütlich gemacht hatte und ab und an seine Rolle als Ordner vergaß und stattdessen Fan war. Fans gab es am heutigen Ostersonntagnachmittag ansonsten keine. Die 160 Zuschauer machten ihrem Namen alle Ehre und schauten einfach nur zu. Aber warum sollte es in der vierten slowakischen Liga enthusiastischer zugehen als in der deutschen Oberliga, bedenkt man zusätzlich, dass sich die III. Fubalová Liga auf bestenfalls Bezirksliganiveau befindet. Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch das kleine Handballstadion direkt neben dem Fußballplatz. Dort befindet sich ein kleines Sanitärgebäude mit überdachter Sitzplatztribüne auf dem Dach. Intakt ist das Gebilde allerdings augenscheinlich nicht mehr; an einigen Fenstern fehlen die Scheiben und gelegentlich ist auch schon ein Stein aus der Mauer verschwunden. Um das betonierte Spielfeld sind mehrere zugewachsene Stehstufen zu bestaunen. Dem Handballsport wurde hier anscheinend schon längerer Zeit nicht mehr gefrönt. Schade eigentlich. In meiner bunten Welt, die sich in meinem Kopf befindet, sah ich mich im vollbesetzten Rund, den heimischen Verein zur slowakischen Handballmeisterschaft (unter freiem Himmel) schreien… Dumdidumdidum…
Begonnen hatte das Spiel übrigens mit einer Schweigeminute. Wegen meiner miserablen Sprachkenntnisse, die lediglich für Begrüßungen, Verabschiedungen und das Bestellen von Klobása, Bier und Tee ausreichen, konnte ich leider nicht herausfinden, weshalb hier heute wem gedacht wurde. Geschwiegen hätten besser auch die Musikboxen vor dem Spiel. Aus ihnen dröhnte zum Warmmachen der Spieler ein Blümchen-Hit nach dem anderen…
Unsere anschließende Abfahrt vom Stadion verzögerte sich leider um ein paar Minuten; die Ausfahrt vom Parkplatz war durch eine amerikanische Proletenkarre zugestellt, die uns schon während des Spiels aufgefallen war, wie sie die Straße um das Stadiongelände als Rennpiste missbrauchte. Hundertprozentig saß da ein Pole am Steuer…
Die letzten 80 Kilometer bis Ruzomberok legten wir ohne Probleme zurück, waren wir doch erst zwei Tage zuvor exakt diese Strecke abgefahren, als wir auf dem Weg nach Kniesen waren. So konnten wir uns auch wieder an dem wunderbaren Abschnitt zwischen Zilina und Martin erfreuen; heute sogar ohne Regen-, Schnee- und Graupelschauer. In Ruzomberok hatte es bereits begonnen zu dämmern, als wir unser Auto auf dem nahen Tesco-Parkplatz abstellten, der direkt neben dem Stadion liegt.
MFK Ruzomberok - FC Senec
Sonntag, 23.03.2008 - Corgon Liga - 22. Spieltag - Futbalový Stadión MFK Ruzomberok - Zuschauer: 3.217 - Endstand: 1-1
Wenige Minuten vor Anpfiff des Spiels betraten wir das Stadion. Die Karte für das Gastspiel des Tabellenvorletzten hatte 80 Kronen gekostet. Der MFK Ruzomberok spielte in diesem Jahr eine bisher enttäuschende Runde. Zwei Jahre zuvor errang der Verein, pünktlich zur 100-Jahr-Feier, seinen ersten nationalen Meistertitel, die Vorsaison beendete er auf Platz vier. In der aktuellen Spielzeit lagen die Weiß-Gelb-Roten auf einem arg durchschnittlichen und somit enttäuschenden Mittelfeldplatz. Der Fußballklub aus Senec, einem kleinen Ort nordwestlich von Bratislava, hat eine relativ bewegte Historie hinter sich. In den letzten Jahren gab es eine Menge Umbenennungen, Neugründungen, Fusionen und Übernahmen. Alles in allem ziemlich undurchsichtig und nicht unbedingt sympathisch. Der jetzige Verein wurde 2004 als Aktiengesellschaft gegründet, die Vereinsfarben geändert, das Wappen erneuert…
Das Stadion besteht aus zwei baugleichen Sitzplatztribünen auf den Längsseiten, die insgesamt fast 5.000 Zuschauern Platz bieten und erst in den letzten Jahren entstanden sind. Die letzte Partie des 22. Spieltags wollten neben uns noch knapp über 3.000 weitere Zuschauer sehen. Bei unserer Ankunft waren diese leider auch schon fast vollständig im Stadion. Und die große Mehrzahl von ihnen auf unserer Tribüne. So blieben uns nur noch ein paar freie Plätze in den ersten beiden Reihen direkt vor der Bank der Gästemannschaft übrig. Im Laufe des Spiels stellte sich dies jedoch als Geschenk heraus; die kommenden neunzig Spielminuten waren durchgängig höchst unterhaltsam; nicht nur der 22 Akteure auf dem satten Grün wegen. Die Seiten hinter den Toren sind unbebaut, einzig der typische Sichtschutzzaun begrenzt das Areal von der Außenwelt.
Wie es die Zahlen auf dem Papier schon vermuten ließen, waren die Gastgeber die eindeutig bessere Mannschaft. Sie erspielten sich eine Vielzahl guter Möglichkeiten, konnten diese aber allesamt nicht nutzen. Anders die Gäste aus dem Westen des Landes. Mit ihrem ersten gelungenen Konter erzielten sie die absolut überraschende und ebenso unverdiente Führung. Es war erst das vierte Tor auf fremden Boden, dass der Brasilianer Gaucho fünf Minuten vor dem Halbzeitpfiff erzielen konnte. Das Publikum war am Toben, die Gästebank ebenso – freilich, beide Seiten aus völlig verschiedenen Beweggründen. Und wie die erste Hälfte endete, so begann dann auch die zweite: das Publikum tobte, die Gästebank ebenso – und wieder aus völlig verschiedenen Motiven. Nachdem Gästespieler Jelinek nach wiederholtem Foulspiel vom Platz gestellt wurde, witterten die Zuschauer die Chance das Spiel doch noch zu drehen und Ersatzspieler, Trainer und Manager der Wartberger konnten und wollten die Hinausstellung nicht akzeptieren. Wildes Reklamieren und Protestieren brachte natürlich nichts ein, außer, dass sie sich den Schmährufen und Beschimpfungen von der Tribüne gewiss sein konnten. Als ein Offizieller des FC dem Publikum für all die Wertschätzungen auch noch dankend applaudierte, war ganz großes Kino garantiert. Nun zeigten auch die beiden Bodybuildergestalten neben uns ihr wahres Gesicht. Entgegen der Annahme, dass sie der hiesigen Atzenszene angehörten, stellte sich heraus, dass sie die hauseigenen Gästebank-Bewacher waren. Dass mit ihnen dennoch nicht zu spaßen war, musste ein in allen Belangen „einfaches“ Pärchen feststellen, das zu Beginn der zweiten Hälfte vor uns Platz genommen hatte. Der männliche Part der beiden stellte sich nämlich als Lautsprecher heraus, der jede Spielszene in Richtung Auswechselbank kommentierte. Auch seine Klobása, die er dabei aß, bzw. wieder ausspuckte, hinderte ihn nicht daran. In den ersten Minuten war es eine ganz angenehme Unterhaltung, nicht nur für uns, auch für den Großteil der Tribüne. Einzig Martin hatte von Beginn an etwas gegen den Mittdreißiger. Verdarb er ihm doch seinen großen Appetit auf eine ebensolche Wurst. Grundsätzlich hätte er sich auch keine mehr kaufen müssen. Genügend Fleischfetzen lagen vor und auf dem Herrn verstreut… Aber auch die jungen Ordner hatten genug gesehen und zischten ihn unmissverständlich an. So endete das Schauspiel jäh und das Pärchen wurde fortan nicht mehr gesehen.
Ein paar Worte auch noch zur Fanszene des MFK Ruzomberok. Die Gäste hatten keinen Anhang dabei, aber das war bei der (Vor-)Geschichte des Vereins auch nicht anders zu erwarten. Auf Seiten des MFK verhielt es sich da ein wenig anders. Im oberen linken Teil der Tribüne hatte sich ein kleiner Haufen zusammengefunden, der seine Mannschaft durch unregelmäßige Anfeuerungsrufe und Klatscheinlagen redlich unterstützte. Auf den ersten Blick war es nichts besonderes, ziemlich junge Menschen, alles im Rahmen des Erwarteten. Erst bei einem Gang auf das örtliche Örtchen gegen Ende des Spiels entdeckte ich unter ihnen einige Anhänger der dummspackigen Weltanschauung. Sie lungerten vor meinem Ziel herum und erschwerten mir den Zugang ein wenig, da sie seltsamen Balzritualen nachgingen. Die begehrten Mädchen, die dabeistanden – ich dachte kurzfristig, ich bin in der brandenburgischen Einöde gelandet… Im Grunde wäre dies alles keine Erwähnung Wert gewesen, doch waren sie kurz vor Abpfiff Grund eines Polizeieinsatzes auf der Tribüne. Ich weiß nicht woran sich die Situation entzündet hatte, aber plötzlich stürmten behelmte Polizisten an das Ende der Tribüne, überrannten Kinder, Frauen und Männer, die unglücklicherweise im Weg standen und prügelten mit ihren Schlagstöcken auf das glatzköpfige Dummvolk. Da ich nur schwerlich Begeisterung und erst recht kein Mitleid aufbringen konnte, fesselte mich dieses Schauspiel nur kurzzeitig und ich widmete mich wieder dem Spielgeschehen; die angezeigten fünf Minuten Nachspielzeit neigten sich dem Ende entgegen. Nach dem Platzverweis hatte der Gast seine Offensivbemühungen vollständig eingestellt, Konter endeten in der Regel schon an der Mittellinie. Mit Mann und Maus verteidigten sie die knappe Führung, was auch Dank der heimischen Unzulänglichkeiten bestens gelang. Was der MFK teilweise an Chancen vergab spottete jeder Beschreibung. Zusätzlichen Unmut zog sich der Heimtrainer zu, als er zehn Minuten vor dem Ende den jungen Offensivmann und Publikumsliebling Bozok vom Platz nahm. Das Publikum tobte, schimpfte und verhöhnte das eigene Team. Das es letztlich aber dennoch nicht zum ersten Auswärtssieg des FC Senec reichte, verdankten sie einem anderen Wechsel des Heimtrainers. Eine halbe Stunde vor Spielschluss hatte dieser den Serben Sivcevic eingewechselt, der in allerletzter Sekunde den glücklichen Ausgleich erzielte. Das Spiel wurde danach nicht wieder angepfiffen. Die Gäste waren fassungslos, die Stimmung auf Heimseite, sowohl bei Spielern als auch Fans, schwankte zwischen Freude, Erleichterung aber auch Enttäuschung. Vorangebracht hatte der Punkt beide Mannschaften nicht wirklich. Eher noch den Tabellenvorletzte, der seinen Vorsprung auf den letzten Platz um einen Punkt auf fünf vergrößern konnte. Die Mittelslowaken mussten ihre Hoffnungen auf internationalen Fußball in der nächsten Spielzeit wohl aber schon im Frühjahr endgültig begraben.
Nach dem Spiel fuhren wir sofort und ohne Umwege ins gut 150 Kilometer entfernte Trencin. Nach unserer Erfahrung vom Freitag galt es heute pünktlich vor 22 Uhr an der Pension Svorad anzukommen um dort unser Nachtquartier aufzuschlagen. Wir lagen wunderbar im Zeitplan, als wir im Tesco vor den Toren der Stadt in aller Ruhe unser Abendbuffet zusammenstellten und kurze Zeit später den Mietwagen an der ehemaligen Internatsschule abstellten. Cousin Martin und ich betraten die Herberge und begrüßten den alten Mann an der Rezeption. Mit Englisch kamen wir hier nicht weiter, mit Deutsch auch nicht: Russisch war der Schlüssel zum Erfolg. Martin hatte in den vergangenen Semestern seines Studiums ein Zertifikat erlangt, das ihm bescheinigte diese Weltsprache zu beherrschen. Und er tat es auch. Während mir nichts anderes übrig blieb als debil zu grinsen und dabei hin und wieder zu nicken, gerade so, als ob ich wenigstens Bruchstücke verstehen würde, entwickelte sich zwischen den beiden ein munteres Gespräch, dessen Inhalt mir aber gänzlich unbekannt blieb. Nichtsdestotrotz machte die ganze Situation einen ganz sympathischen Eindruck und spätestens als er Martin einen Schlüssel in die Hand drückte, war auch mir klar, dass wir für die folgenden beiden Nächte ein günstiges und gutes Bett gesichert hatten. Das Vierbettzimmer kostete uns 400 Kronen pro Nacht und die war es auch wert. Wir hatten eine eigene Dusche und Toilette und aus dem Fenster direkten Blick auf die Burg oberhalb der Stadt. Bei ein paar vergnüglichen Runden Knack ließen wir den Tag schließlich ausklingen und schliefen in den ersten Stunden des neuen Tages ein.
Am nächsten Morgen blieb uns nicht viel Zeit zum Ausschlafen. Cousin Martin musste zum Bus nach Brno gebracht werden, da am heutigen Ostermontag sein Urlaub schon wieder zu Ende sein sollte. Die Planungen der nächsten Tage hatten ihn nicht begeistern können. Wenigstens einen Tag wollten wir noch in Ungarn verbringen und das ist für Cousin Martin das Pendant zu meinem Polen. Außerdem riefen der Studentenjob, die holde Weiblichkeit und das leere Portemonnaie – von allem ein bisschen… Die Fahrt nach Brno war aber nur ein kleiner Umweg für Görti und mich. Am Abend hatten wir sowieso geplant nach Zlín zu fahren, um die letzte Begegnung des 22. Spieltags in der tschechischen Bier-Liga zu besuchen. Und da Brünn auch als touristisches Ziel durchaus zu gefallen weiß, verließen wir früh unsere Herberge und machten uns auf die 140 Kilometer lange Fahrt. Gegen Mittag sollte Martins Bus nach Dresden fahren, den er schon vorab in Deutschland gebucht und bezahlt hatte.
Zwei Stunden vor dem Termin erreichten wir die zweitgrößte Stadt Tschechiens und steuerten zunächst einen Parkplatz am Busbahnhof an. Tschechische Kronen hatten wir noch nicht im Geldbeutel, slowakische Kronen wollten die beiden Parkplatzwächter nicht annehmen und so blieb uns nichts anderes übrig als unseren vierstündigen Aufenthalt in Euro zu bezahlen, mit grenzwertigem Umtauschkurs allerdings. Doch da sich der finanzielle Schaden im unteren einstelligen Bereich hielt, war dies durchaus zu verschmerzen. Bevor wir uns von Martin verabschieden mussten, hatten wir geplant noch etwas in der Innenstadt zu essen und so schritten wir am Busbahnhof vorbei, unserem Ziel entgegen. Und da wir nun schon an der Station waren, schaute Martin im Vorbeigehen gleich einmal auf den Abfahrtsplan um herauszufinden, von welchem Bussteig die Fahrt später beginnen sollte. Doch was er dabei entdeckte war schier unglaublich, unfassbar, unerklärlich. Martin konnte den gebuchten Bus nicht finden. Er verglich seinen ausgedruckten Fahrschein mit dem ausgehängten Plan, aber keine einzige Busgesellschaft steuerte am heutigen Montag das größte Freilichtmuseum Sachsens an. Sonntags gab es einen Bus, der um 11.45 Uhr nach Dresden fuhr. Und freitags. Aber nicht heute, am Montag, dem 24. März. Martin schaute sich seinen Fahrschein nun noch einmal genauer an. Und was er nun entdeckte war noch schier unglaublicher, unfassbarer und unerklärlicher als der fehlende Bus am Plan: Im Glauben eine Fahrkarte für den heutigen Tag bestellt zu haben, hatte Martin ein Ticket für den Bus am 29. März gekauft. Freitag. Das war auch ihm noch nicht passiert. Selten zuvor hatte er 20 Euro so sinnlos in den Sand gesetzt. Er konnte sich diesen Fauxpas überhaupt nicht erklären. Selbst jetzt war er noch felsenfest davon überzeugt, dass jeder, aber nicht er einen Fehler gemacht haben musste; er hätte einen Fahrschein für den heutigen Montag. Mein tränenreiches Gelächter war sicherlich nicht hilfreich in dieser Situation. Aber was sollte er machen; er musste irgendeinen anderen Weg Richtung Heimat finden. Die Variante Bus fiel nun flach, also musste der Zug herhalten. Züge, die über Prag nach Deutschland fuhren gab es zu Genüge. Schmerzlich war freilich das zusätzlich zu entrichtende Entgelt. 30 Euro kostete die Fahrt im Eurocity Budapest-Hamburg. Vorteilhaft einzig, dass er nun 15 Minuten früher daheim war. Ein Vorzug auf den er gern verzichtet hätte und ein Missgeschick, das ihm unter anderem Namen wohl nie passiert wäre…
Bis zur Abfahrt des Zuges blieb uns nun noch ein wenig Zeit, die unvorhergesehene Umbuchungsaktion hatte einige Minuten in Anspruch genommen. Und so kehrten wir in ein ortsansässiges asiatisches Restaurant direkt am Bahnhof ein. Grundsätzlich versuche ich immer landestypisch zu essen. Und un-streng genommen war dies auch nun der Fall. Vor allem im und um den Bahnhof herum stellten Asiaten den dominierenden Bevölkerungsanteil. Das Essen selbst war dann aber die gerechte Strafe für den kulinarischen Ausflug auf den größten Erdteil. Bis nach Brno musste ich fahren, um die schlechtesten Chinanudeln meines Lebens zu essen. Es war eine seltsame Pampe frei jeglichem Geschmacks, die ich für 40 Kronen erworben hatte. Glücklicherweise hatte Görti das gleiche Essen bestellt; geteiltes Leid war halbes Leid. Mit fünfminütiger Verspätung fuhr schließlich der Zug auf Gleis 3 in den Bahnhof ein. Ein kurzer, schmerzfreier und absolut männlicher Abschiedsgruß und schon waren wir nur noch zu zweit.
Die Bahnhofsuhr zeigte kurz vor Mittag an, als wir uns auf den Weg in die Altstadt und hinauf zur Festung Spilberk machten. Die Straßen der mährischen Metropole waren ziemlich leergefegt. Einzig der eisige Wind pfiff durch die Gassen. Nach dem trüben Vormittag kämpfte sich mittlerweile mehr und mehr die Sonne in den Vordergrund, doch gegen die gefühlten polaren Temperaturen konnte auch sie nichts ausrichten. Wie es uns angekündigt wurde, ist Brno in der Tat einen touristischen Ausflug wert. An der Kathedrale Sankt Peter und Paul erreichten wir zügig die Festung über der Stadt, deren Museum am heutigen Montag zwar geschlossen war, doch der klare Blick über die Stadt und in die Ferne entschädigte.
Bevor wir uns auf die gut 100 Kilometer lange Fahrt in Richtung Osten machen wollten, schlenderten wir auf der Suche nach einem kleinen Café noch durch das bahnhofsnahe Einkaufszentrum. Wir waren im Urlaub, ein Stück Kuchen oder ein Eisbecher sollte den Ausflug nach Brno abrunden. Dass es nicht dazu kam und wir stattdessen ein Langos am Busbahnhof kauften, in der Mikrowelle aufgewärmt, lieblos mit Käse bestreut und geschmacklich auf einem Level mit der Nudelpfanne einige Stunden zuvor, lag vor allem an der Ungemütlichkeit in der Geschäftspassage. Die Menschen, die in der Stadt fehlten hatten sich offensichtlich hier verabredet; es war zu laut, zu bunt, zu kühl, zu schickimicki, zu teuer.
Bei strahlendem Sonnenschein verließen wir schließlich die Stadt und erreichten eine knappe Stunde später Zlín. Das Wetter war mittlerweile völlig umgeschlagen. Die Sonne war hinter dunklen Wolken verschwunden, nach anfänglichen leichten Regenschauern, fielen nun große Schneeflocken vom Himmel, die auf dem kalten Boden mehr und mehr liegen blieben. Da war er wieder; der verhasste Winter. Cousin Martin hatte uns eine große Anfahrtsbeschreibung mit auf den Weg gegeben. Wie es aber so oft ist, war nicht viel hängen geblieben. Allein der Hinweis: „Über die Hauptbrücke am Fluß und dann gleich links, da steht das Stadion.“ war uns noch gegenwärtig. So kam es wie es kommen musste, erst als wir das Ortsausgangsschild passiert hatten, war uns klar, dass der erste Anlauf gründlich in die Hose gegangen war. Also machten wir kehrt und starteten Versuch zwei. Dieser Fluss beziehungsweise so eine Brücke konnte nun nicht so schwer zu finden sein. Also fuhren wir nach links, dann nach rechts, ein Stück geradeaus, wieder rechts, noch einmal links, rechts, links… Es gab in Zlín keinen Fluss. In diesem Moment hätte ich selbst Haus und Hof darauf verwettet, dass es auch kein Stadion gab. Erst eine kleine Gruppe Slavia-Fans am Straßenrand brachte uns wieder auf den Weg. Und weil wir nun am Beginn einer kleinen Glückssträhne standen, erblickten wir neben ihnen auch einen Stadtplan. Beim Anblick des Wegweisers musste ich dann kleinlaut feststellen, dass es in Zlín durchaus ein Stadion gab, das tatsächlich auf der linken Seite einer Flussquerung lag. Und das alles ganz in der Nähe. Zu meiner Ehrrettung will ich aber darauf hinweisen, dass sich der Fluss letztendlich als Flüsschen, nein als Bach, quatsch, als Bächlein herausstellte. Die heimische Köppernitz ist ein reißender Strom dagegen.
Um das Stadion herum war anderthalb Stunden vor Anpfiff noch nicht viel los. Da die Parkplatzsituation recht überschaubar war, fuhren wir noch ein kleines Stückchen bis zum nahen Tesco und stellten unser Auto dort ab. Das Wetter hatte sich leider noch nicht gebessert; es schneite dicke Flocken vom Himmel. Nach ein paar letzten kuscheligen Minuten im warmen Gefährt machten wir uns schließlich auf den Weg zum Stadion, wo wir für 80 tschechische Kronen Plätze auf der Haupttribüne erstanden.
FC tescoma Zlín - SK Slavia Prag
Montag, 24.03.2008 - Gambrinus Liga - 22. Spieltag - Stadion Letná - Zuschauer: 3.520 - Endstand: 0-1
Das verschneite Letná-Stadion, das im Übrigen nur drei Flutlichtmasten besitzt, war knapp zur Hälfte gefüllt, während der Gästeblock ganz gut ausgelastet war. Aus der Hauptstadt waren gut und gerne 250 Fans angereist. Und auch auf der Haupttribüne saßen hin und wieder ein paar Zuschauer, die dem ewigen Zweiten der tschechischen Liga die Daumen hielten. Diese versprengten rot-weißen Grüppchen hatten gegenüber ihren Glaubensbrüdern im Gästeblock den Vorteil, dass sie unter dem Dach vor den kleinen Eiskristallen, die in immer größeren Mengen den Weg auf tschechischen Boden fanden, geschützt waren. Der Gästebereich, gezwängt in eine Ecke hinter dem Tor, ist im Gegensatz zu den übrigen drei Tribünen nicht überdacht. Zugleich ist er auch der einzige Stehblock im weiten Rechteck. Dass dies nicht immer der Fall war, verriet ein Blick vor Spielbeginn: Spärlich und höchst unregelmäßig gibt es noch ein paar wenige Sitze, die in den letzten Jahren nicht den Weg in den Innenraum oder sonst wohin gefunden haben. Auf der Gegenseite steht bis zur Mittellinie eine fast zwanzigreihige Tribüne mit blauen Sitzen, auf der sich die Zuschauer schutzsuchend ausschließlich in die oberen Reihen geflüchtet hatten. Hinter dem Tor gibt es eine halb so hohe Tribüne, in deren äußeren Ecke der heimische Mob stand. Nur hin und wieder konnten sie sich in den neunzig Spielminuten akustisch in Szene setzen. Es soll in der Vergangenheit durchaus vorgekommen sein, dass die Mannschaft optisch wie akustisch aktiver unterstützt wurde; es blieb heute leider nur bei kleinen Ansätzen. Aber auch der Gästeblock wusste nicht wirklich zu überzeugen. Es wurde zwar beinahe durchgängig gesungen, aber – wohl auch des Wetters wegen – erreichten ihre Anfeuerungsrufe keine bemerkenswerte Lautstärke. Unsere auf das Sanitärgebäude gesetzte und mit Vereinsgaststätte versehene Haupttribüne war durchaus gut besetzt. Auf dem Rasen gab es Dank des ortsansässigen Hauptsponsors und Namensgebers zu Beginn kurze Verwirrung bei mir. Der einst blau-gelbe FK Zlín spielte heute im firmeneigenen Rot und Weiß, die rot-weißen Prager hingegen im Blau der Tribünen. Verkehrte, kaputte Fußballwelt. Und auch ein: „Ey, dich kenn’ ich doch!“ irritierte mich kurz vor dem Anpfiff. Erst im Laufe des Spiels kehrten Erinnerungen an eine einst vergebene Mitfahrgelegenheit zwischen der wohlklingenden Stadt Mannheim und dem französischen Strasbourg zurück, als eben jener westpolnische Unioner aus Fulda Görti und mich begleitet hatte… Die äußeren Umstände sprachen von Beginn an gegen ein ansehnliches Fußballspiel. Diese Befürchtung bewahrheitete sich dann auch schnell. Der Platz war eine große braun-grün-weiße Matschwiese, die Bälle blieben liegen wann und wo sie wollten, die Spieler rutschten mehr, als dass sie liefen. So war es auch nicht weiter tragisch, dass ich eine Viertelstunde der ersten Hälfte verpasste, als ich mich – schlussendlich auch erfolgreich – auf die Suche nach einem wärmenden Tee machte. Trotz alledem war die Partie spannend und entschädigte so für die fehlende Begeisterung auf den Rängen. Vor allem in der zweiten Halbzeit, als die Gastgeber der Prager Führung aus der 40. Minute hinterherliefen, gab es auch Dank der Platzbedingungen unterhaltsame Chancen auf beiden Seiten. Letztlich behielten die Hauptstädter aber die Oberhand und konnten ihre Tabellenführung vor Sparta behaupten. Eine Woche sollte das große Derby stattfinden; die Vorzeichen auf ein großes Spiel waren gegeben; die beiden Vereine trennten lediglich zwei Punkt. Zlín hingegen sicherte sich mit der Niederlage seinen Platz im Niemandsland der Tabelle.
Da die Zeit uns nicht trieb beschauten wir uns noch ein wenig die Feierlichkeiten der Sieger und schlenderten anschließend gemütlich zum Parkplatz. Bevor wir uns zurück auf den Weg in die Slowakei, nach Trencin machten, tauschten wir im Tesco unsere letzten tschechischen Kronen in ein Abendbrot und verließen gegen acht Uhr die Universitätsstadt. Bis zu unserer Herberge waren es etwa achtzig Kilometer und schon ohne Berücksichtigung der Witterungsverhältnisse prophezeite uns der Routenplaner eine fast eineinhalbstündige Fahrt. Der Weg in die Berge und über die Grenze war einmal mehr ein Teufelsritt; im Schneckentempo quälten wir uns durch die zugeschneiten Straßen. Erst nach dem Grenzübertritt, wenige Kilometer vor Trencin legte sich der wilde Schneefall, es tröpfelte nur noch ein wenig und bei unserer Ankunft hatte auch der Regen nachgelassen. Als ob nichts gewesen wäre funkelten die Sterne vom Himmel; die Trenciner Straßen waren trocken und pfützenlos.
Bevor wir uns nun dem wohlverdienten Schlaf hingeben konnten, stand noch die Planung des kommenden Tages an. In Deutschland war die Tour im Grunde nur bis zum heutigen Montag und dem Spiel in Zlín (von Martin) geplant (worden). Wir hatten zwar grob angedacht den Dienstag und Mittwoch in Ungarn zu verbringen, die Viertelfinalrückspiele im Pokal – in Debrecen spielte der heimische VSC gegen den FC Fehervar, in Budapest hatten gar zwei Vereine, Vasas und Honvéd, Heimrecht – sowie das Länderspiel gegen Slowenien waren im Angebot, aber über die genauen Ansetzungen hatten wir uns nicht wirklich informiert beziehungsweise gab es bis zur Abreise keine genauen Angaben. Gegen das Länderspiel am Mittwoch hatten wir uns bereits entschieden. Tausende Magyaren, die ihre Fahnen während der Hymne in den Himmel streckten, hatten wir bereits vor zwei Jahren gegen Schweden bewundert und in der Slowakei hatten wir die seltene Gelegenheit ein Länderspiel außerhalb der Hauptstadt, in Zlaté Moravce, zu besuchen. So blieb uns nun nur der Dienstag um das Land anzusteuern, welches maßgeblich dazu beigetragen hatte, dass unsere Reisegruppe nur noch aus zwei Menschen bestand. Und wäre an diesem Tag lediglich das weitentfernte Debrecen im Angebot gewesen – wahrscheinlich hätten wir darauf dankend verzichtet und versucht Karten für das sechste Eishockeyhalbfinalspiel zwischen Dukla Trencin und Slovan Bratislava zu bekommen und den Tag über ein wenig Vollzeiturlauber und Burgbesichtiger gespielt. Eishockey steht auf meiner Favoritenliste zwar ähnlich schlecht wie der Winter, Polen oder Überstunden, aber Debrecen, nein, das konnte warten. Doch soweit kam es nicht. Während unserer kurzen Unterhaltung in Zlín deutete der Westpole bereits an, dass Debrecen wohl erst am Donnerstag spielen sollte, Vasas und Honvéd Budapest dafür am Dienstag. Nachdem Cousin Martin das per SMS bestätigen konnte, stand unser Plan fest: Am frühen Morgen wollten wir uns auf den Weg nach Ungarn machen, vor Budapest einen kurzen touristischen Abstecher nach Esztergom unternehmen, in Budapest zwei, möglicherweise anderthalb Pokalspiele angucken und noch am Abend ins Herz Europas zurückkehren, wo wir kurz hinter der Grenze ein Nachtlager finden wollten. Erster Schritt zur Umsetzung war Schlafengehen.
[align=center][Blockierte Grafik: http://www.ralman.de/zeugs-urlaub06-tag05-01.JPG]