"40 Jahr, und kaum Haar – so stand er vor mir"
Wusstet ihr, das Vizes Mutter Brigitte in Wirklichkeit Martha heißt und Walter Eschweiler ein WM-Spiel pfiff (1982, Italien – Peru)?
Ich dank des 10. Märzes jetzt auch. Wie es dazu kam, lest ihr hier:
Im Vorfeld meines alljährlichen Geburtstagsausfluges wollte ich auf Nummer sicher gehen. Keine Reise mit dem Flugzeug (-> siehe
AirBerlin-Streik März 2017, der), sondern einfach mit dem Auto in der Nähe bleiben. Da mir der Länderpunkt Polen noch fehlte, fiel die Wahl auf Stettin. Das Aufstehen gestaltete sich nach 3h Schlaf als äußerst schwierig, wurde ich doch am Vorabend von Freunden mit einer Überraschungsparty gefeiert. Glücklicherweise ging es den anderen vier Reisebegleitern nicht viel besser, als wir uns um 10h morgens in Hennings Auto zwängten. Ein Frühstücksbäuerchen später (Neffi: "Was riechten hier so lecker nach Boulette?" - Oese:
"Das ist Hühnchen." - Neffi: "Puh, mach mal Fenster auf, binick allergisch gegen") wurde schon wieder um Ansehen und Stadionbiere gefussballquizt. Dank des VHMs weiß ich nun, dass Walter Eschweiler zur Verleihung des "Welt-Referee"-Titels einen Fön geschenkt bekam...oder war es doch Pierluigi Collina?
Weit vor der Abreise hatte ich mich bei meinen Polenveteranen Zack und Ulli über die Gepflogenheiten im Nachbarland informiert: keinen Alk auf der Straße trinken, nicht bei Rot über die Straße gehen, keine 03-Klamotten tragen, keinen Alk auf der Straße trinken, min. 1,15h vor Spiel am Stadion sein (da Karten personalisiert werden müssen), kein Alk auf der Straße trinken, Haupttribünenplatz kaufen (Glowna trybuna, Strefa 1), nicht so viel und laut rumdeutschen und vor allem keinen Alk auf der Straße trinken. Dazu später mehr.
Stettin empfing uns mit feuchtkühlem Grau und diversen Nazigraffitis an den Häuserwänden. Sofort musste ich an eine Kolumne aus der taz denken: In Chemnitz zu leben ist wie einer Pflaume beim Schimmeln zuzusehen hieß es da, in Stettin ist selbst von einer Pflaume wenig zu erahnen. Ja, dieser verdammte Krieg hat nicht viel Altstadtmaterial in der Stadt aus Westpommern übrig gelassen.
Nichtsdestotrotz hat der polnischen Tourismusverband die West Pomerania Red Route in Stettin angelegt, eine sieben Kilometer lange Route mit 42 Sehenswürdigkeiten der Stadt. Vorbei an Hauptbahnhof, dem Gebäude der Versicherungsanstalt PZU „Życie” S.A. (Geburtshaus von Katharina der Großen) und Johanneskirche kann so die Metropole erkundet werden. Eine Metro findet der Pole allerdings nicht in Stettin, der öffentliche Nahverkehr wird durch Busse und Straßenbahnen bewältigt. Nach einem feudalem Mal, bestehend aus Piroggen, Schnitzel, Ente und Eisbein, ging es für die fünf Freunde zum Florian-Krygier-Stadion, die Karta Kibica für die Kiebitze musste ja besorgt werden. Für 40 Sloty gab es dann nach recht kurzer Wartezeit das Ticket für die Haupttribüne, es war noch genug Zeit bis zum Anpfiff. Diese wurde besonders von Neffi und Vize intensiv im Bus der Staatsmacht überbrückt, wurde doch auf mein "Ist das ne gute Idee, direkt vor den Bullen Bier zu trinken?" in Verbindung mit Zacks "kein Alk auf der Straße trinken" keine Rücksicht genommen. Knappe 30 Minuten dauerte das Verhör, in dem u.a. der Stammbaum der Familie als auch die politische Ausrichtung von Babelsberg 03 peinlichst unter die polnische Lupe genommen wurde. Vize verdrehte die Wahrheit wie ein Großer (siehe oben "Martha") und Neffi redete sich wie schon den Rest des Tages um Kopf und Kragen. Mit einigen Tagen Abstand tun mir die Herren der Policja leid, sie kennen jetzt nicht nur Neffis Eltern, sondern auch seine Tanten, Onkel, Lieblingsessen, Abifächer, Schuhgröße, Allergien (Huhn, schwarzer Pfeffer, Weizen, Garnelen) sowie erogenen Zonen.
Das Spiel begann mit einem Paukenschlag der Gäste, welche übrigens ohne Fanunterstützung in das U-förmige Stadion an die Oder gereist waren. Nach einer Ecke von Helik reagierte Piatek am schnellsten und netzte für die Weichselelf ein (5.). Pogon, unterstützt von mehr als 6000 Fans, war unbeeindruckt, agierte aber vor dem gegnerischen Tor zu überhastet und ungenau. Folgerichtig kam Krakau nach einem schönen Kopfballtreffer von Dityatev zur beruhigenden Zweitoreführung (22.). Währenddessen lernte Neffi den neben ihm sitzenden Lukasz kennen und erklärte ihm in radebrechendem Dengpolish die Relativitätstheorie, das Phänomen um Schrödingers Katze und die Zutaten für ein richtig gutes Moussaka. Im Spiel war die Spannung weg...und dann auch Neffi:
"Ich muss kurz pinkeln und würde dann Bier mitbringen". 35 Minuten später machte ich mir Sorgen: um den frierenden Henning neben mir, um den dürstenden VHM, um den skeptischen Aljoscha und dann auch um Neffi und begab mich auf die Suche. Schon aus der Ferne erkannte ich ein Maurerdekolleté im Verköstigungsbereich: "Ich hab ne Kippe über den Bieren versucht zu drehen, die sind jetzt alle voll mit Tabak, aber ich hab noch Sebastian und Daniel kennengelernt, die haben polnischen Wodka in ihren Socken (SOCKEN!) ins
Stadion geschmuggelt, müssen wa mittrinken." Ich riskierte das Augenlicht und probierte, war okay. Mit etlichen Böllern sollte Pogon nochmal vorangerieben werden. Im Gegensatz zu Vizes Meinung, dass Polenböller in Stettin Deutschböller heissen müssten, habe ich kürzlich durch Poschi erfahren,dass die international anerkannte Böllerskala eine West-Oest-Richtung hat – sprich: in Frankreich heißen diese Dinger Deutschland-Kracher, in Polen also Russland-Knaller. Wieder was gelernt!
Mit einem Eigentor von Drygas (89.) endete die Partie und wir stapften durch den Acker am Stadion gen Auto. Eine verpasste Autobahnabfahrt später ("Zurück, ich will noch neun Stangen Kippen kaufen") erreichten wir gegen 22 Uhr wieder heimische Gefilde. Ja, Stettin ist immer eine Abreise wert.
Euer Oese
Pogon: Zaluska – Rapa, Fojut, Dvali, Nunes (74. Rasmussen), Fraczczak, Piotrowski (65. Kort), Drygas, Delev, Listkowski (46. Matynia), Zwolinski
Cracovia: Peskovic – Fink, Helik, Dityatev, Pestka (76. Siplak), Covilo, Dimun, Diego (68. Strozik), Hernandez, Culina (64. Dabrowski),
Piatek
Tore: 0:1 Piatek (5.) 0:2 Dityatev (22.) 0:3 Drygas (Eigentor, 89.)
Zuschauer: 6.101
Bier: Bosman Lager (8 Zloty, süffig)
Wurst: Kiełbasa
mit viel Fett (12 Zloty, zum Abpfiff genau richtig)
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