Ganz Fußball-Leipzig und dazu halb Ostdeutschland hatte am Sonntag ein Auge auf die WM-Schüssel im Herzen der Messestadt geworfen. Denn nach Jahren der Querelen im Fußballniemandsland bzw. der Oberliga trafen der FC Sachsen auf den 1.FC Lok Leipzig wieder aufeinander. Das lediglich die zweite Vertretung der Grün-Weißen in Liga 5 auf den Erzrivalen trifft, fand in den Ankündigungen einiger "Fans" bzw. "Fangruppen" aber auch in den Sicherheitsbestimmungen keinerlei Beachtung. Die Spielregeln wurden vorher bis ins Details ausgeklügelt. So konnten am Spieltag keine Karten für Sektor B (FCS) und D (Lok) erworben werden, Rucksäcke waren tabu. Außerdem durfte auf dem Stadionvorplatz nicht gefilmt werden. Dazu kam die Finanznot des Oberligisten, der nun jeden Cent braucht. Neben T-Shirts und Spendenaktionen war auch jede verkaufte Karte eine willkommene Einnahme für den FC Sachsen.
Ich hatte mir bereits im Vorfeld eine verhältnismäßig preiswerte Karte (5,50€) für den Sektor B organisiert. Bevor es in die Kurve ging waren intensive Kontrollen angesagt, meinen Rucksack wurde ich am Eingang auch los. Im Block durfte ich mir über eine Stunde vor Anpfiff die Hitparade der FCS-Fans anhören, die sich gegen Zahlung eines Spendengeldes ihren persönlichen Song wünschen konnten. Das Internetradio "Leutzscher Welle" trug mit dem Hit von Queen "Radio Gaga" seinen Teil zum akustischen Geschehen vor dem Spiel bei. Die Ränge füllten sich nun allmählich. Die Diablos zogen es vor geschlossen anzureisen und "marschierten" auch gemeinsam in den Sektor B ein. Es folgten die "üblichen" Derbyszenen zu Beginn mit gellenden Pfeiffkonzerten für den Gegner sowie die ewig junge Hymne "You'll never walk alone". Den Kader des FC Sachsen verstärkte Oldie Twardzik im Tor sowie Köckeritz, Heinze und Semmer. Auch Timo Breitkopf konnte nach seinem Treffer gegen Pößneck in der Oberliga mit Selbstvertrauen in die Partie gehen. Vor so einem bedeutenden Spiel mit dieser Brisanz, aber auch dem Gewaltpotenzial, durfte ein Aufruf zur Fairness und ein Plakat gegen Rassismus nicht fehlen.
Die erste Hälfte ist sehr schnell erzählt. Lok macht das Spiel, bringt die Sachsen-Abwehr aber nie ernsthaft in Verlegenheit. Der FC Sachsen bemüht sich um Konter, meist über den starken Tino Semmer, doch die Genauigkeit in den Pässen und Abschlüssen ist eben auch nur Fünftligareif. Die einzig nennenswerte Szene hatte der Blondschopf Schreiber für den FC Lok als er aus guter Schussposition das Tor nur knapp verfehlte. Torlos ging es in die Kabine. Zu dem Zeitpunkt wusste keiner der offiziell verkündeten 12.150 Zuschauer, was für eine Dramatik sie noch im zweiten Durchgang erwartet. Zuvor sollte es noch di zweite Auflage des Leutzscher Liederladens geben.
Im zweiten Spielabschnitt kam es bereits nach fünf Minuten zu den gefürchteten und scheinbar unvermeidlichen Ausschreitungen. Nach einer klassischen Rudelbildung in der Hälfte des FCL flogen auf einmal Raketen aus dem Gästeblock auf das Feld. Dies war die Initialzündung zu drei Minuten Anarchie in der Arena. Nun flogen auch vom Sektor B Raketen in den Lok-Block (Sektor C). Der Schiedsrichter unterbrach folgerichtig die Partie und die Akteure auf dem Rasen versuchten ihre Anhänger zu beschwichtigen. Mit Musik wurde nachgeholfen, welche ausschließlich zur Beruhigung der erhitzten Gemüter aufgelegt wurde. Nach dem der Klassiker "Sunshine reggea" durch die Lautsprecher tönte, nahmen die Leutzscher den musikalischen Faden auf und verkündeten von nun an passend zur Melodie "Chemie, Chemie Leipzig - wir sind immer für dich da!"
Die knapp 10 Minuten Spielunterbrechung schienen den Akteuren zum Verschnaufen gut getan zu haben, denn es entwickelte sich nun ein spannendes und vor allem ansehnliches Spiel. Der FC Sachsen hatte nicht nur auf den Rängen sondern vor allem auf dem Rasen das Heft des Handelns in die Hand genommen und wurde erstmals der Gastgeberrolle gerecht. Doch als die Leutzscher sich nun gerade um die Führung mühten, kam der Rückschlag durch einen Konter der Lokisten, den Kunert sicher vollstreckte (56.). Die erste Frustreaktion auf den Rängen war eine Rakete aus dem Leutzscher Block Richtung Sektor C. Doch während der Feuerwerkskörper durch das Stadion flog, segelte zeitgleich eine Etage tiefer eine lange Flanke durch den Leipziger Strafraum zum 1:1 (57.). Schlieder stand am langen Pfosten goldrichtig und köpfte ein. Der FC Sachsen Leipzig schien nun auf den Sieg zu drängen, kam aber zu selten zum Abschluss. Meistens sorgten Standards, vor allem Ecken, für Gefahr in der ungeordneten Blau-Gelben Hintermannschaft. Mal wieder ist Tino Semmer hervorzuheben der sich die Bälle erkämpfte und mit seiner Erfahrung das Spiel vorantrieb. Auf der anderen Seite löste sich die Leutzscher Abwehr langsam auf. Lok setzte nun auf den schnellen und direkten Gegenzug und kam durch den Torschützen vom Dienst, Rene Heusel, zur erneuten Führung (65.).
Die Reserve des FCS rannte nun immer wilder, aber auch kopfloser an. Es fehlten die klaren Strukturen im Angriff, während eine Abwehrformation überhaupt nicht mehr auszumachen war. So hieß es allzu oft Twardzik allein gegen den Rest der Welt. Doch inzwischen gesellte sich auch Unvermögen in das Sammelsurium des Derbykabinetts hinzu. So kam Schreiber völlig freistehend nur zu einem harmlosen Schüsschen, mit dem selbst Twardzik keine Probleme hatte. Kurz darauf war es Goalgetter Heusel völlig frei vor dem Tor, der nicht mal einen platzierten Schuss mit dem Runden auf das Eckige zu stande bekam. Da die Leutzscher weiterhin nicht die nötige Cleverness und Ruhe im Strafraum bewahrten, schallte es zu recht lautstark "Auswärtssieg" von der anderen Seite des weiten Runds. Die endgültige Entscheidung dann in der 90.Minute als der eingewechselte Sommer sich dank seines Hebers noch gebührend feiern lassen durfte. Kurz darauf war Schluss! Lok gewinnt dank der größeren Reife und Cleverness verdient gegen am Ende aufopferungsvoll kämpfende Sachsen mit 3:1. Beide Teams ließen sich von ihrem Anhang feiern, die Youngster der Leutzscher gaben nun ihr letztes Hemd für die Fans und verabschiedeten ihre Trikots in die Kurve.
Am Ende hatte Leipzig ein aufregendes Derby erlebt mit reichlich Emotionen und guter Derbystimmung. Auch die II.Mannschaft konnte mit erhobenen Haupt das Spielfeld verlassen, während sich die Feierlichkeiten im Gästesektor noch einige Zeit hinzogen. Laut MDR soll es bereits im Vorfeld zu Ausschreitungen gekommen sein, ob es danach noch zu Unruhen kam, ist noch nicht gänzlich geklärt. Ich machte mich kurze Zeit nach dem Abpfiff auf direktestem Wege gen Heimat auf. In Erinnerungen werden 12.150 enthusiastische Zuschauer, ein rassiges Derby mit einem furiosen Schlussspurt und ein Ohrwurm von "Sunshine reggea" bleiben.
Bilder gibt es im Verlaufe des Abends bei der FCS Fanpage, Videos folgen auf Youtube.