Der Dank geht natürlich wieder an meinen Lektor, der aus einem Wirrwarr an Buchstaben einen hoffentlich gutlesbaren Text gezaubert hat!
Für Leute, die maulen, dass der Text zu lang ist – seid froh, er ist kürzer als die Wirklichkeit! Ausdrucken empfiehlt sich sicherlich, zu mal es sich an Orten meist besser liest, an denen man keinen Desktop mithin schleppen kann! Den ganzen Bericht mit Bildern (über 100, Datenvolumen cirka 18Mbyte!) gibt’s unter: www.soccerweb.de/vis/berichte/kaukasus06/
Von Gammlern, Herumlungerern und Glotzern – Transkaukasien im Sommer 2006
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Auf Klo hat man ja die besten Ideen und wenn dann noch eine Fußbodenheizung vorhanden ist sind der Fantasie eigentlich keine mehr Grenzen gesetzt. So saß ich also da, an diesen hektischen Tagen zwischen Weihnachten und Silvester und sinnierte über den Sommerurlaub. Weit weg sollte es gehen, warm musste es sein und unbekannt natürlich auch. Ein wenig im Atlas geblättert und auf der letzten Seite, bevor die alphabetische Ordnung des Ortsregisters das Buch abschließt, verharrt; Schwarzes Meer, Kaspisches Meer und der wilde Kaukasus… Die Entscheidung war gefallen! Schleunigst informierte ich mich über Einreisemodalitäten und mögliche Anfahrtswege, informierte Bekannte und begann mit der Grobplanung. Interessierte gab es viele, aber auch genauso viele Absagen, und so blieb am Ende nur einer übrig, der ein „vielleicht“ äußerte – LingenFeno. Die Monate verstrichen, aus Schnee wurde Matsch, aus Pullis wurden T-Shirts und aus dem harmlosen Studium wurde die Prüfungszeit. Die Tour nahm konkrete Formen an: Von der Ukraine sollte es mit der Fähre übers Schwarze Meer nach Georgien gehen, von dort die Nachbarländer besucht werden und der Rückweg sollte per Landweg über die Türkei und, auf jeden Fall, Albanien von statten gehen. Man wartete gespannt auf die Spielpläne, bekam bei einigen Auslosungen Weinkrämpfe, um nur wenige Minuten später beim Abgleichen der zweiten armenischen Liga mit dem feststehenden Programm die Welt zu umarmen oder den Laptop zu liebkosen. Die schriftliche Kommunikation mit LingenFeno erreichte ungekannte Ausmaße; Vor- und Nachteile der zwei möglichen Varianten wurden besprochen um sich zwei Wochen vor Abfahrt auf Plan B festzulegen.
„Du musst in zehn Minuten deine Tram bekommen“ war der erste Satz, den mein Gehör erreichte, just zehn Minuten nachdem es auf Schlafen gestellt worden war. Also schnell den Rucksack geschnappt und in, für die inneren Verhältnisse, atemberaubender Zeit zur Haltestelle gelangt. Dass die halbe Waschtasche und ein guter Teil der Wechselklamotten ihr Dasein für den nächsten Monat in der Wohnung meines Kumpels fristen sollten, konnte man zum damaligen Zeitpunkt nicht ahnen. Mit der Tram ging es zum Treffpunkt mit Lars aus Rochlitz und los konnte es gehen – der erste Grenzübergang wartete. Legnica wurde fast pünktlich erreicht, so dass es für den Fahrer nur Abzüge in der B-Note gab. Dieser begab sich weiter in den Pott, lockten ihn doch andere Spiele. Die PKS beförderte meinen geschlauchten Körper sicher nach Glogow, wo erst einmal die Gepäckfrage geklärt werden musste. Das verlässliches Gedächtnis war sich sicher, dass dieser Bahnhof schon einmal nächtlich ausgiebig inspiziert wurde und es keine Schließfächer gibt. Ein neues Einkaufzentrum gegenüber des Busbahnhofs schien wie geschaffen um das Problem zu lösen. Doch leider waren die dortigen Schließfächer eher für Einkaufstüten, ja bestenfalls geflochtene Körbe gedacht, so dass selbst unter Anwendung aller, in jahrelanger Übung angeeigneten Quetschtechniken der Rucksack hinausreckte wie die Zunge einer Couch-Potato nach einem nach zwanzig Kilometer abgebrochenem Marathon. Schließlich eilte ein Sicherheitsmann zur Hilfe und ließ mich den Rucksack im Büro abstellen, was aber bedeutete, dass ein Notkauf getätigt werden musste. Einfach Danke sagen und den Markt verlassen ohne jemals in den Konsum jenseits der Pforte mit dem blauen Pfeil einzukehren, hätte doch eher zweifelhaft oder gar undankbar ausgesehen. Mit einer Alibi-Banane ging es erst gemächlich, dann schnell schreitend und kurz vor Anpfiff laufend zum MOSiR.
11.08.2006 Chrobry Glogow 3:3 Rakow Czestochowa
MOSiR – 3. Liga Polen
Wenn Kassenrollen die Laufbahn verzieren, man aber weder etwas zur Flugbahn noch zum Abwurfpunkt berichten kann, ist man zu spät – Künstlerpech. Vorsichtige Blicke nach Links und Rechts ließen einen aber beruhigt weiter dem Geschehen auf dem Rasen verfolgen – andere Vertreter der Groundhopperpolizei waren nicht vor Ort. Irgendwann traf man Herrn Linke, man plauderte und schwupps – 3:0 für die Heimelf. Bengalen gingen an, eine große Blockfahne wurde gezeigt und siehe da, bei Abpfiff hatte sich Rakow ein Unentschieden erarbeitet. Gastfreundschaft gibt es in Polen auch nach dem EU-Beitritt noch. Als ein Chrobry Ultra merkte, dass wir aus Deutschland kommen schenkte er uns eine Ladung Ultra Merchandising (Aufkleber, Karten, Poster...) - dziekuje
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel – Abreise ist Anreise. Demzufolge startete der Freitagabend-PKP-Horizontal-Terror: Via Wroclaw, Czestochowa und Tarnow gelang ich nach Tuchow.
Da der Platzwart gerade erst die Kreidelinien nachzog, konnte ich mich also guten Gewissens auf dem zweiten Platz im Ort aufs Ohr legen. Man hätte länger liegen bleiben können, denn um 11 Uhr tat sich nichts am Sportplatz – das Spiel war auf 17 Uhr verlegt worden. So ging es gleich weiter nach Debica, wo ich vom Zwickauer in Empfang genommen wurde. Gemeinsam ging es zum Stadion, in dem auch schon TaliJan in Lauerstellung auf – vielleicht – Kommendes lag.
12.08.2006 Wisloka Debica 0:1 Motor Lublin
Ul. Parkowa – Dritte polnische Liga
Eigentlich war alles gerichtet: Ein eintreffender Gästemob und ein motivierter Heimmob. Dabei blieb’s dann aber auch. Aber Dank des besten Kielbasa Polens war ich am Ende wenigstens satt.
Nach dieser Enttäuschung ging es zur Überbrückung der Nacht zurück nach Brzeg und weiter nach Rzeszow. Dort wurde kurz gefrühstückt und schon ging die Fahrt weiter in das nur wenige Kilometer außerhalb gelegene Örtchen Boguchwala.
13.08.2006 Izolator Boguchwala 3:2 Orzel Przeworsk
Ul. Techniczna – Vierte polnische Liga
Rotzfreche sieben Zloty musste man bezahlen um den Sportplatz mit Bänken zu betreten. Die Heimelf führte schnell mit 2:0, doch pünktlich mit dem Eintreffen der cirka 20 Gästefans begann auch Orzel mit dem Fußballspielen, so dass ein Halbzeitstand von 2:2 zu Stande kam.
Dass sich Halbzeithopping rächt konnte ich auf dem Weg zum Dorfbus noch nicht ahnen. Von Rzeszow nach Krakow döste ich kurz um dann frohen Mutes den 30minütigen Fußmarsch auf mich zu nehmen. Immer noch frohen Mutes vernahm ich vorm Wawel-Stadion die Gesänge der Bytom-Fans; aber wieso singen die schon zehn Minuten vor Anpfiff?! Geiz ist halt nicht immer Geil – ich hätte ruhig vier Zloty ins Internetsurfen investieren sollen: das Spiel war auf 14.40 Uhr vorverlegt worden. Eigene Schuld, also das Positive aus dem Missgeschick ziehen: das gesparte Eintrittsgeld konnte in Nahrungsmittel investiert werden. Von Krakow ging es wieder Richtung Osten, nach Przemysl, wo nach kurzer Wartezeit auch schon der 23.45 Uhr Bus nach L’wow eintraf.
Drei Uhr Nachts, L’wow Busbahnhof, Regen – die Blase meldet sich. Kostenpflichtige Toiletten sind was für Sitzpisser. Darum ging es in die Dunkelheit zu meinem schon oft markiertem Revier. Markierung erneuert und nichts wie zurück zum Bett, Typ „Holzpritsche“. Nur die Jungs der Miliz hatte etwas dagegen, denn sie teilten mir mit, dass ich Hauptdarsteller in ihrem Film wurde. Mit der Taschenlampe kontrollierten sie den Drehort - alles roger, alles nass. Im Milizbüro bekam ich dann aber weder einen Preis noch eine Gage vielmehr sollte ich 20 Euro für meinen Auftritt zahlen. Das hatte ich natürlich nicht vor, dementsprechend gab ich mehrmals meine Version wieder, dass ich die Toilette nicht gefunden hätte. Dumm nur, dass mir der Milizchef an der Toilette entgegengekommen war und sich erinnerte. 1:0 für die Miliz. Nun zeigten sie auf einen Zettel über dem Schreibtisch der angeblich auf ukrainisch belegen sollte, dass die Höhe der Strafe gerechtfertigt ist. Kurz überflogen – das war vielleicht die Anleitung zum Bleistift anspitzen, aber kein Auszug einer Verordnung. Nach langem Hin und Her einigte man sich auf 10 Euro, also Ausgleich in letzter Minute und ich begab mich zu meinem Bett.
Der Regen prasselte gegen die großen Fensterscheiben während das Tageslicht langsam den Kampf gegen die Dunkelheit gewann – ich hatte verschlafen. Zeitlich war es nun eigentlich zu eng, um zum Bahnhof zu fahren, die Verfügbarkeit der freien Plätze nach Odessa zu überprüfen und bei negativem Ergebnis zurück zum Busbahnhof zu eilen um die halbwegs sichere Busverbindung zu bekommen. Es galt also abzuwägen zwischen Sicherheit (Bus) und Risiko (Zug). Für Leser früherer Berichte sollte klar sein, dass ich zehn Minuten später in der Marschrutka zum Hauptbahnhof saß. Den am Fahrkartenschalter zu sagenden Satz sagte ich so oft vor mir her, dass ich ihn fast wieder vergessen hatte, aber er kam, wenn auch stotternd, über meine Lippen. Selbst die Nachfragen der Verkäuferin konnten verstanden werden. Ein Hoch auf den Autor des Russisch-Lehrbuches, der in Lektion 4 das Thema „Am Bahnhof“ einbaute. Für 42 Griwna ergatterte ich das begehrte Ticket im Plazkartni-Wagon nach Odessa. Da die Abfahrt erst 22 Uhr sein sollte blieben 15 Stunden Freizeit. Die ersten drei Stunden brachte ich im Bahnhof über die Runden, da ansonsten der anhaltende Platzregen aus meiner gut sitzenden Jeans eine 80-er Jahre Freddy-Mercury-Gedächtnis-Jeans gemacht hätte.
Pünktlich zur Knopper’s Zeit begann dann endlich der lang ersehnte Sommer; es begann der Urlaub – Auf in die Altstadt! Zehn Stunden später hatte ich eine Überdosis an Kirchen. Falls die Renovierung der Altstadt im jetzigen Tempo voranschreitet, wird L’wow, für Altgediente: Lemberg, in zehn Jahren auf einer Stufe mit Krakow, Budapest etc. stehen. Die restlichen Abendstunden bis zum Aufbruch wurden mit Lesen ausgefüllt, so dass ich, auch Dank der vorherigen Nächte, im Nachtzug schnell einschlief.
Im Laufe der Fahrt setzte Hektik im Wagon ein: das Aussehen der Reisenden wechselte von Alltagsmode in Strandmode, Odessa nahte. Da wollte ich in nichts nachstehen, war doch auch für mich die Vermischung von Körperdreck und -schweiß mit dem Wasser des Schwarzen Meeres geplant. Am Bahnhof wurde das überflüssige Gepäck zur Gepäckabgabe gebracht und mit Handtuch und sonstigen Strandutensilien ging es zum Büro von UKRFerry. Auf dem Weg dorthin knallte die Sonne erbarmungslos von oben und die Frauen ließen mich wieder einmal an der westeuropäischen Lebensweise zweifeln. Im Büro wurde man freundlich empfangen und knapp 140 Euro konnten bei UKRFerry als Einnahme verbucht werden. Im Gegenzug erhielt ich ein Ticket für eine Zwei-Mann-Außenkabine. Jetzt war nur noch die Länge meiner Freizeit, meines Strandaufenthaltes zu klären. Bei einer Abfahrtszeit von 23 Uhr wird eine Ankunft am Terminal um 20 Uhr völlig ausreichend sein; so jedenfalls dachte ich. Dass mein Gegenüber andere Vorstellung hatte, ganz andere Vorstellungen, eröffnete er mir sofort. Ich sollte doch gleich nach Illichewsk fahren, denn ich bräuchte noch zwei Stempel. So saß ich 30 Minuten später in der Marschrutka nach Illichewsk und schwamm statt im Cherno More im eigenen Schweiß. Gegen 15 Uhr hatte ich die zwei Stempel und wurde zum Terminal gefahren, wo mich schon das in komprimierter Weise empfing, was ab Freitag zum Tagesablauf gehören sollte wie der tägliche Lauf der Sonne: Gammeln, Lungern und Glotzen.
Schnell fand ich unter den ganzen Wartenden meinen Kabinenpartner, denn Georg wollte auch nach Georgien. Georg hatte gerade sein Maschinenbaustudium in Darmstadt abgeschlossen und war auf dem Weg nach Indien – mit dem Fahrrad. Gestartet war er zwei Monate zuvor in Wien und radelte seitdem immer an der Donau entlang, überquerte diese irgendwann und gelang nach Odessa. Weitere Abgesandte der Europäischen Union waren ein Pärchen aus Italien und der Slowakei. Den restlichen Platz im Warteraum füllten Ukrainer, Armenier und Georgier aus. Aus einem Augenblick wurde eine Weile, aus Minuten wurden Stunden und aus Vorfreude wurde Frust. Wäre in der Nähe wenigstens ein Strand gewesen, aber so weit das Auge blickte reckten sich Hafenkräne zum Himmel empor. Wenigstens gab es im Terminal einen Imbiss, der zuweilen, aufgrund von fehlendem Kleingeld, das Rückgeld in Form von Feuerzeugen erstattete. Aber irgendwann machte dieser auch zu, da sich der Imbiss hinter der Zollabfertigung befand. Man quatschte und döste, man las und trank. Gegen 22 Uhr fühlten sich die Beamten in der Verfassung die Passagiere ohne Auto abzufertigen. Ein Zöllner und ein Grenzbeamter waren für die 50 Wartenden zuständig. Das ich in der Schlange fast ganz hinten stand war an diesem Tag selbstverständlich. An Bord wartete dann wenigstens schon Abendbrot: Fisch und ungenießbarer Saft. Die Kabinen waren Top: Toilette und Dusche auf dem Zimmer, geräumig und sehr gepflegt. Einziges Manko: Die Schiffskneipe verfügte über Westpreise: Bier 1,50 Dollar und Wodka 8 Dollar. Scheinbar waren die Preislisten der MS Greifswald seit den Überfahrten von Saßnitz nach Klaipeda nicht entfernt worden oder den örtlichen Begebenheiten angepasst. Die Bar war an den drei Tagen dann auch so umlagert wie ein Steak-Stand beim Jahrestreffen der Vegetarier. Am nächsten Morgen drang durch das kleine Bullauge vermehrt warme Luft und die Lautsprecher verkündeten den Beginn des Frühstücks; also nichts wie aufstehen und ans Tagewerk machen: Frühstücken – dösen – Mittag essen – dösen – Abendbrot essen. Kurzer Blick aus dem Bullauge: eine andere Fähre fuhr direkt neben unserer, aber na ja, der Kapitän wird das schon richten. Aber Moment mal, die parallel fahrende Fähre kam mir bekannt vor. Also wurde der Blick nach rechts gerichtet und siehe da: Entweder fuhr der ganze Hafen auf einer noch größeren Fähre mit nach Georgien oder aber unsere MS Greifswald hatte noch gar nicht abgelegt. Kurz vor Mittag war es dann so weit, Menschen mit weißen Taschentüchern säumten die Promenade, Gebete für die Passagiere wurden gen Himmel gesandt und Tränen flossen. Ob es so war kann ich leider nicht berichten denn ich döste, geflüchtet vor der unbarmherzigen Mittagssonne, in der Kabine. Aber ich befürchte diese Schiffromantik existiert bei LKW- und Cargofähren gar nicht mehr. Folglich nässte ich mein Bett mit Schweiß, denn auch Liegen strengt bei solchen Temperaturen an, und wartete auf das Abendessen – Kreuzfahrerleben. Schnell stellte sich heraus, dass die Hälfte der Georgier Deportierte aus Europa waren. Die Jungs konnten daher auch spannende Geschichten von Festnahmen erzählen und Details zu gefälschten Einladungen in die Europäische Union preisgeben.
Am Abend entdeckte ich dann noch einen Australier und Neuseeländer auf der Fähre. Sie hatten einen Opel mit bulgarischem Nummernschild mit auf der Reise da Chris, der Australier, in Bulgarien gearbeitet hatte. Die letzte Zeit war er aber eher berufstechnisch in der Ukraine unterwegs und wollte nun in Armenien seiner Tätigkeit als Mineningenieur nachgehen. Glenn war schon knapp 50, besaß einen neuseeländischen und einen englischen Pass, war Inhaber eines Internetcafes in Neuseeland und hatte ungefähr genauso viele Länder besucht wie Papst Johannes Paul II. Für Gesprächsstoff war also gesorgt und das vor der Kulisse eines Sonnenuntergangs über dem Schwarzen Meer.
Das Leben kann manchmal auch schön sein. Der Sonnenaufgang war ebenso imposant nur musste man schon 5.30 Uhr aufstehen damit die Fotoentwicklung im örtlichen Rossmann was zu tun hat. Am zweiten Tag war es endlich so weit; ich wusste nie ob es Ammenmärchen oder Wirklichkeit war. Nun weiß ich es, es ist Wirklichkeit; es gibt sie im Schwarzen Meer. Angelehnt an der Reling, der MP3-Player täuschte dem Ohr Heimat vor, man sinnierte über dieses und jenes, die Augen waren geöffnet aber starrten den Gedanken folgend emotionslos auf die blaue Wüste, als sich plötzlich Löcher in dem unendlich erscheinenden Meer auftaten und sechs Delphine neben der Fähre aus dem Wasser sprangen und wieder eintauchten. Ein schneller Griff zur Seite wo normalerweise die Kamera anwesend war, aber Pech gehabt. Manns „Buddenbrooks“ eignet sich wahrlich nicht zum Fotografieren. So wurden irgendwelche Erinnerungen gelöscht um das gerade Erlebte mit dem nun wieder frei gewordenen Speicher im Gedächtnis zu belegen. Verflixt, wie war der Weg von der Uni zu mir nach Hause?
Am letzten Abend gab es noch einmal Piwo und Wodka von den LKW- Fahrern und ein Armenier lud mich ein, bei ihm zu Nächtigen wenn ich in Jerewan ankomme. Freitag um 9 Uhr sah man endlich wieder Land – Georgien. Die Fahrt hatte sich mehr als gelohnt: Man bekam einen ersten Eindruck von den Leuten, der Gastfreundschaft, konnte die russische Sprache verfeinern und den Körper an die Temperaturen gewöhnen. Kühe am Strand, heruntergekommene Hafenanlagen und verrostete Schiffe im Hafenbecken – Poti hieß uns willkommen. Jetzt war nur noch zu klären was man in den nächsten Tagen anstellen wollte. Mit Glenn und Chris wollte ich erst einmal mit dem Auto nach Batumi und dann mal schauen, der erste Fußballtermin war erst für Sonntag notiert. Um vielleicht Samstag schon zu einen Zweitligaspiel zu kommen rief ich bei Dinamo Tbilisi an und notierte erstaunt, dass die zweite Mannschaft Montag ein Heimspiel hat. Also nicht auf Teufel komm raus ein Samstagsspiel finden sondern relaxen, ja Urlaub machen. Die Fußpassagiere durften gegen 14 Uhr die Fähre verlassen, fehlten nur meine neuen Bekannten mit Transportmittel. Also setzte man sich neben die Fähre und schaute den arbeitswütigen Georgiern zu. Knapp drei Stunden später waren dann die Güterwagons (auf einer von fünf Schienen!) aus der Fähre befreit, welche die Auto/LKW-Zufahrt versperrten.
Das erstes Auto war dann ein Opel mit bulgarischem Nummernschild – Strike! „Come on Martin“ brüllte Glenn aus dem Fenster und so stürmte ich zum Auto und sprang hinein. Chris trat das Gaspedal durch um 200 Meter später die Bremsrückleuchten zu erhellen.
Schon am ersten Checkpoint war Schluss. Die grüne Versicherungskarte interessierte hier niemanden, man benötigte spezielle Papiere wenn man mit dem eigenen Auto anreiste. Als erstes Auto des Fährkonvois erreichten wir die PKW-Meldestelle, einen Baucontainer. Hier drückte man Chris dutzende Papiere in die Hand, zum Glück wenigstens in kyrillischer Schrift, die er ausfüllen sollte um diese dann an einer anderen Stelle vorzulegen bzw. abzugeben. Ordnungsgemäß wollte Chris die Papiere in dem anderen Büro überreichen jedoch erfuhr er, dass der Chef der Abteilung noch gar nicht da war. Bei den ganzen Fähren die in Poti einlaufen ist die Koordinierung der Arbeitszeit ein, zugegebener Maßen, heikles Unterfangen. Kurz vor der Abenddämmerung kam der Boss dann im abgedunkelten Auto vorgefahren und befasste sich mit den Problemen der Antragssteller. Die meisten wollten die Autos nur überführen, vorwiegend waren diese in Deutschland gekauft und sollten nach Armenien gebracht werden. Dafür benötigten die Autos eine Art Transitvisum für 30 Dollar, gültig für fünf Tage. Dieses Transitvisum war auch unsere einzige Chance das Auto in Georgien fahren zu dürfen, nur sollten wir 100 Dollar bezahlen. Dieser Vorschlag traf bei uns natürlich auf Ablehnung also wurde gewartet und gewartet. Mittlerweile war es dunkel geworden, sämtliche mit der Fähre transportierten Autos hatten das Hafengelände verlassen nur wir standen noch da ohne Erlaubnis das Auto bewegen zu dürfen und ohne Einsicht die Konsumfreudigkeit des Chefs zu bezahlen. Eine Radiostation sendete, für uns unverständlich, die 23 Uhr Nachrichten als Beamter B. E. Stechlich wieder kam. Zum wiederholten Male fragten wir ihn wieso alle Autofahrer 30 Dollar bezahlten und wir 100 Dollar bezahlen sollten. Er begründete dies mit der Erschwernis und blablabla. Zum tausendsten Male veranstalten wir nun das Handel-Spiel wobei er uns bis jetzt keinen Dollar entgegenkam. Aber irgendwann wollte er wohl auch nach Hause, denn plötzlich war er mit 80 Dollar zufrieden auch wenn ihm das großen Ärger mit seinem Chef bringen würde. Der Sat1-Comedy-Freitag live in Georgien.
Nichts wie weg vom Hafengelände und nichts wie hin nach, ja wohin fahren wir denn? Ich hatte zum Glück die Adresse eines billigen Hotels in Poti, weshalb wir uns entschieden aufgrund der fortgeschrittenen Zeit in der Hafenstadt zu nächtigen und am nächsten Morgen nach Batumi zu fahren. Nach der ersten Stadtrunde wollten wir eigentlich gleich wieder aufs Hafengelände. Ich habe mittlerweile auch einige heruntergekommene Städte gesehen, aber Poti war eine neue Dimension. Okay, es war Nacht und man war gestresst, aber auch ohne diese Umstände wäre man geschockt gewesen. Kaum ein Haus an dem nicht etwas fehlte, selbst vom normalen Ostblockstandard waren die Wohnhäuser so weit entfernt wie ich von der Komplettierung der Verbandsliga Rheinland. Straßen als würde man auf Legosteinen fahren und an allen Ecken lungerten die Leute in der typischen Hockposition herum und glotzten auf die Straße. So waren wir nicht wirklich traurig, dass wir das Hotel nicht fanden und somit einen Grund hatten doch schon Richtung Batumi aufzubrechen. Meine Informationen verrieten mir, dass an der Straße Richtung Batumi ein Beach-Resort beheimatet sein sollte. Circa zehn Kilometer außerhalb von Poti wurden wir fündig. Es war zwar nicht das gesuchte Beach-Resort aber immerhin ein Hotel. Die Zimmer waren okay (halt ein Bett und eine Lampe) und laut Inhaber waren es zum Strand keine 100 Meter. Vorm Schlafengehen füllten wir noch unsere Mägen und probierten heimische Biersorten. Das Essen ist mehr als empfehlenswert, scharf, viel Knoblauch, einfach lecker. Nur vom Bierbrauen sollten die Georgier lieber die Finger lassen…
Mit einem Lächeln im Gesicht schaltete ich die Weckfunktion meines Handys aus, denn ein morgendliches Bad im Schwarzen Meer wartete. Der Besitzer hatte Recht, es waren 100 Meter, es war ein Strand, nur der optische Zustand war ein anderer als die Vorstellungen, die man beim Wort Strand hat. Den ersten 20 Meter musste ich Kuhfladen ausweichen um die restlichen 80 Meter die am besten gelegene Müllkippe der Welt zu durchqueren. Ob hier auch Einheimische baden, dessen bin ich mir im Nachhinein nicht mehr so sicher, schließlich war außer mir und einer Kuh auch niemand zugegen. Auch wenn zum Teil Unrat im Wasser schwamm war die Qualität nicht so schlecht, nur Tauchen mit offenem Mund sollte man unterlassen.
Mit dem Auto ging es die restlichen 70 Kilometer Richtung Batumi weiter. Die Straßen waren nicht so schlecht wie befürchtet, einzig die Kühe, die praktisch alle 500 Meter mitten auf der Straße standen (autobahnähnliche Straßen nicht ausgenommen) und selbst hupen ignorierten, erschwerten die Fahrt. Ob sie von der Regierung eingesetzt werden um die Funktion wahrzunehmen, die bei uns Verkehrsinseln haben – Verkehrsberuhigung – konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Aber zum Glück hatten wir keine A-Klasse, so dass der mehrfach vollzogene Elchtest ohne Probleme verlief. Am Bahnhof in Batumi versuchte ich ein Ticket für den Nachtzug nach Tbilisi zu bekommen was aber leider nicht gelang. Die ganzen Wochenendtouristen vermasselten mir somit den Ground in Telavi. Da die Ozeanienfreunde kaum Informationen über Sehenswürdigkeiten besaßen waren sie erfreut, dass ich einen weiteren Tag ihre Rückbank bevölkern wollte. So ging es zu dritt zum Stadtbummel nach Batumi. Die Innenstadt versprühte den typischen Charme einer sowjetischen Ferienhochburg (Karussells, gestellte Fotos mit Tieren…). Das Wasser war hier schon sauberer dafür war der Strand aber auch total überlaufen. Da zwölf Kilometer außerhalb von Batumi eine Festung aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. wartete nahmen wir, ohne wirklich traurig zu sein, Abschied. Die Festung ist gar nicht mal so klein, war früher eine römische Siedlung und ist herrlich bewachsen. Überhaupt war die Vegetation am Fuße des kleinen Kaukasus ein Genuss. Wo man hinschaute Grün. Nachdem die touristischen Tagesaufgaben abgearbeitet waren ging es auf die andere Straßenseite zum Schwarzen Meer. Dort gab es zwar kein Sandstrand, dafür aber knapp 1 Meter hohe Wellen. Diese ließen mich kaum ins tiefe Wasser vordringen, da man kaum Standhaftigkeit auf den Steinen besaß und daher oftmals einfach zu Boden gerissen wurde. Das Wasser war mehr als sauber und der Strand nicht so umlagert wie der in Batumi. Da auch die Ozeanier am Sonntag in Tbilisi ankommen wollten, schlug ich vor, die Hälfte der Strecke noch am selben Tag zurück zulegen. Nach Tblisi gab es zwei Möglichkeiten, eine ausgebaute Straße von Batumi nach Tbilisi, aber ohne Sehenswürdigkeiten und eine zweite Strecke mitten durch den kleinen Kaukasus (höchster Berg ist 3700 Meter hoch) bei der vier Steinbrücken aus dem Mittelalter passiert werden sollten. Die Straße konnte so schlecht auch nicht sein, schließlich war sie in einer Kaukasus-Karte von Georg gelb markiert gewesen. Einziges Manko war, dass wir Drei keine Karte als unser Eigen bezeichnen konnten. Einzig eine kostenlose Touristenkarte auf englisch, grob gezeichnet, bei der mehr Bedacht auf die Sehenswürdigleiten gelegt wurde, stellte, neben meinem ungefähren geografischen Wissen, die kartographische Grundlage unserer Reise dar. Knapp 150 Kilometer war die Straße lang und der Bus benötigt sieben Stunden – dieses wusste ich noch zu berichten. Also nichts wie los, zeigte die Uhr doch schon 17 Uhr an.
Die ersten achtzig Kilometer waren recht angenehm zurückzulegen; die Straßen waren in Ordnung, die Landschaft mehr als reizvoll und die Steinbrücken eine Augenweide und sogar noch recht stabil. Neben der zweiten Brücke bauten gerade ungefähr zehn Männer eine neue Kirche und luden uns, als sie merkten, dass wir Touristen waren, sofort auf Wein und Äpfel ein. Sie erzählten uns von dem Projekt und boten uns an bei ihnen zu nächtigen, was wir aber leider ablehnen mussten, wollten wir doch am Abend noch Akhaltsikhe erreichen. Serpentine um Serpentine gewannen wir an Höhenmetern und die Straße wechselte den Belag von Asphalt zu Schotter häufiger als ein neues Lied von der CD erklang. Die Dämmerung setzte langsam ein als wir an eine Weggabelung kamen. Schilderlos versteht sich. Laut Touristenkarte ging die Hauptstraße direkt nach Akhaltsikhe, während die zweite mitten durch die Berge führen sollte. Guter Rat war nun teuer und ein Verkaufsstand der einen guten Rat anbot war weit und breit nicht zu erblicken. Also folgten wir der Straße, die am besten ausgebaut war. Mit Anbruch der Dunkelheit verschwand der Asphalt. Die Dörfer, die wir passierten, hatten, wenn überhaupt, nur Ortsschilder auf georgisch. Ein Königreich für ein kyrillisches Schild. Nachdem wir vergebens auf einen größeren Ort namens Khulo warteten, fragten wir Jugendliche ob dieser Weg denn überhaupt nach Khulo führen würde. „Da, da“ – immer geradeaus weiter. Die einzigen motorisierten Fahrzeuge, die uns noch entgegen kamen waren alte russische Militärlaster und Jeeps. Sie konnten auch ohne Probleme fahren, die Tachonadeln in diesen Fahrzeugen erreichte teilweise bestimmt die 50 Km/h Marke. Wir hingegen tuckerten mit 20 Stundenkilometern die Berge hoch. Schlaglöcher, heruntergestürzte Steine und Steigungen der Kategorie „Geschwindigkeitsrekord durch Rollen“ ließen auf der Schotterpiste nicht mehr zu. Nachdem die Uhr schon 22 Uhr anzeigte und die Lichter der Stadt Khulo, auf die wir so sehnsüchtig warteten, noch immer nicht zu sehen waren, realisierten wir, dass wir wohl doch auf der falschen Straße waren. Zum Glück trafen sich Dorfbewohner hinter einen 2025 Meter hohen Pass an einer Bushaltestelle. Sofort nach unserer Ankunft versammelte sich eine Menschentraube um unser Auto. Da die Bewohner das lateinisch Buchstabenwirrwarr nicht deuten konnten, lasen wir die Ortschaften auf unserer Karte vor, in der Hoffnung wir würden so herausfinden können, wo wir ungefähr waren. Schnell stellte sich heraus, dass wir uns auf einer Nebenstraße nach Akhaltsikhe befanden und Umdrehen und zur Gabelung zurückfahren einen längeren Weg bedeuten würde. Also Augen zu, außer die des Fahrers natürlich, und durch. Die Straße wurde immer besser: umgestürzte Bäume und zwei flache Flüsse waren u. a. die neuen Hindernisse. Der Opel lies sich zum Glück nichts anmerken und spulte das von ihm verlangte Programm ohne Murren ab. Plötzlich vernahm ich ein Fluchen vom Fahrer und ein Blick nach vorn offenbarte das Problem: Der Weg gabelte sich erneut. Demokratisch wurde abgestimmt und bei einer für Mitteleuropa schier utopisch klingenden Wahlbeteiligung von 100 Prozent gewann „Links“ mit 100 Prozent. Keine 500 Meter weiter war der Weg für ein normales Kraftfahrzeug aber überhaupt nicht mehr passierbar. Zu unserem Glück arbeitete aber noch ein Waldarbeiter mit seiner Familie um halb Elf bei totaler Finsternis. Er starrte uns an als hätte er noch nie Ausländer gesehen (was ich aber auch annehme), war dann aber sehr freundlich und hilfsbereit. Der Weg war natürlich falsch ergo hieß es umdrehen und den rechten Abzweig nehmen. Kurz darauf wurde der Track zu einer ebenen Schotterstraße, eine Straßenleuchte, eine Brücke und Gott sei Dank, ein Georgisch/Russisches Verkehrsschild deutete auf Zivilisation hin. Ungefähr um 23 Uhr erreichten wir Akhaltsikhe und checkten im ersten Hotel ein. Dies kostete zwar acht Dollar aber das war uns jetzt auch wurst.
Am Morgen bestellten wir die komplette Vitrine des Hotels als Frühstück; Rührei mit Peperoni, Tomaten, selbst gemachter Käse und frisches Fladenbrot. Dazu ein Getränk und das alles für knapp drei Euro. Unter dem Lachen der Ozeanier packte ich die übrig gebliebenen Nahrungsmittel fein säuberlich in Servietten ein und weiter ging die Reise. Über Borjomi (Heimat des bekanntesten und wohl besten Mineralwasser der ehemaligen Sowjetunion; der Mineralwasserpark ist aber nicht wirklich sehenswert) erreichten wir am Nachmittag Gori. Gori? Gori? War da nicht was?! Richtig, ein kleiner Fratz namens Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili, besser bekannt als Josef Stalin wurde in Gori geboren. Am Rathaus steht daher eine riesige Stalin-Statue und ein Stalin-Museum darf da natürlich auch nicht fehlen. Der Eintritt war uns dann aber doch zu teuer: Kriegsveteranen kostenlos, Georgier drei Lari, Ausländer zehn Lari, Fotoerlaubnis 30 Lari, Videoerlaubnis 200 Lari. Daher erhielt sein Geburtshaus den Vorzug, kurz fotografiert und ab ins städtische Stadion.
20.08.2006 Dila Gori 0:3 FC Borjomi
Temur Burjanadze Stadion – 1. Liga Georgien
Glenn und Chris kamen sogar mit und fragten nach den ersten gespielten Minuten ob dies tatsächlich mein Hobby sei – solche Spiele freiwillig angucken. Bei dem Anblick was die 22 Spieler auf den Rasen veranstalteten fiel es sogar mir schwer dem positive Aspekte abzugewinnen. Ich habe bei einem Erstligaspiel noch nie soviel Inkompetenz seitens der Spieler beim Umgang mit dem Ball und mit den eigenen Füßen gesehen. Das Stadion hingegen ist schön alt und zerfallen und bietet als Panorama die Festung der Stadt.
Die 70 Kilometer bis nach Tbilisi gingen recht zügig von statten, war doch sogar eine zweispurige Schnellstraße vorhanden. Bei Ankunft im Stadtzentrum war es trotzdem schon dunkel, von daher musste ein Mitglied, der von mir am meisten gehassten Berufsgruppe, vorneweg fahren um uns zu einem Homestay zu lotsen. Zwar war im eigentlichen Haus kein Zimmer mehr frei, dafür aber im Hof einer anderen Familie. Für 15 Lari gab es Sattelitenfernsehen, warmes Wasser und Abendbrot. Glenn und Chris zogen ein Hotel vor, so dass ich mich einschloss und Turmspringen sowie Euronews guckte.
Der Terminkalender für Montag war pickepackevoll, ja er artete fast in Stress aus. Gleich nach dem Frühstück ging es mit einer Marschrutka zur aserbaidschanischen Botschaft. Ich verpasste natürlich die richtige Haltestelle, konnte durch diesen Fauxpas aber schon das Lokomotiwi Stadion lokalisieren. Bei der Botschaft ging die Antragstellung schneller als gedacht. Eine Einladung war nicht vorzuweisen, denn das Hotel Baku in Baku lud alle Antragsteller ein. Von der Botschaft ging es zum Fußballverband, welcher im Lokomotiwi Stadion seinen Sitz hatte, um die genauen Daten der Rückspiele in der Vorrunde des georgischen Pokals in Erfahrung zu bringen. Der Verband fühlte sich aber überfordert und brachte mich zum Büro der Fußballliga. Dort versprach man mir sich darum zu kümmern und ich sollte doch am folgenden Tag noch einmal wiederkommen. Daraufhin sollte es zum Büro von Dinamo Tbilisi gehen, wurde mir doch mitgeteilt, dass diese heute spielen sollten. Da der Anwalt vom Erstligisten Zestafoni auch zum Dinamo-Stadion wollte, spendierte er die Taxifahrt und man unterhielt sich angeregt über die Probleme des georgischen Ligafußballs. Das Stadion wirkte von außen eher wie ein neues Projekt von Christo da es für den anstehenden Ländervergleich gegen Frankreich renoviert wurde. Meine Annahme, dass somit auch Dinamo temporär seine Ligaspiele nicht hier austrägt bestätigte ein Security-Mitarbeiter. Bei dieser Nachricht, so war ich mir sicher, würde meine noch einzutreffende Begleitung Purzelbäume schlagen. Das Büro von Dinamo war wie es dann immer so ist auch nicht am Stadion, sondern ziemlich weit außerhalb. Zum Glück fuhr ein Bus in die Nähe, so dass ich alsbald die Security-Leute vom Dinamo-Gelände beim Playstation spielen stören konnte. Das Gelände selber durfte ich nicht betreten aber per Haustelefon teilte mir eine Dame mit, dass im Stadion Sinatle im Stadtteil Awschala Dinamo 2 auf Akhaltsikhe treffen sollte. Diese Stadt ließ mich also nicht in Ruhe. Mit dieser freudigen Nachricht ging es wieder zur Botschaft und gegen 40 Dollar bekam ich meinen Pass samt 3-Tages-Visum zurück. Mit einer Melone bewaffnet ging es mit der Metro zur Endhaltestelle und von dort nochmals zehn Minuten mit dem Bus zum Sinatle Stadion.
21.08.2006 Dinamo Tbilisi 2 0:0 Meskheti Akhaltsikhe
Sinatle Stadion – 2. Liga Georgien
Das Stadion hat auf einer Seite eine teilweise stark zerfallene Stahlrohrtribüne mit fünf Stufen, in der Mitte einen Sprecherturm und ansonsten nichts. UEFA- oder gar FIFA-Spiele dürften hier in nächster Zeit nicht über die Bühne gehen. Das Spiel war teilweise besser als das am Vortag, dürfte Verbandsliganiveau aber nicht überschritten haben.
Zur Metrostation ging es durch die Vorstadtghettos zu Fuß zurück. Aufgrund meines eher untypischen Aussehens für südliche Verhältnisse wurde ich zwar stetig beglotzt trotzdem fühlte ich mich sicherer als in Hamburg-Wilhelmsburg. Am Abend war ich mit den Ozeaniern verabredet, wir tranken Bier und schaute dem lustigen Treiben vor der Großen Halle des staatlichen Orchesters zu. Dort war ein riesiger Springbrunnen, der das Wasser im Rhythmus zur gespielten Musik in die Höhe beförderte. Die Musik war gar nicht mal so schlecht, aber ein bisschen abwechslungsreicher hätte sie sein können. Denn stundenlang wurde Song 2 von Blur gespielt, was spätestens nach dem dritten Mal dezent langweilig wurde. Im Springbrunnen tanzten Kinder und ein großer Pulk an Menschen standen darum herum, aßen Popcorn und kauften leuchtenden Krimskrams. Den Vorteil der Zeitverschiebung bekam ich an diesen Abend auch mit. Man verabredete sich zur georgischen Prime-Time in der Innenstadt, trank und quatschte, fuhr wieder zur Unterkunft und schaute dort den deutschen Prime-Time-Film auf ZDF.
Am nächsten Morgen zog ich aus meiner Herberge um zwei Straßen weiter wieder einzuziehen. In der dortigen Wohnung vermietete eine Oma Betten zum Preis von acht Lari. Ich hatte von nun an zwar kein eigenes Zimmer mehr und von warmem Wasser und einer Toilettenspülung musste ich mich auch verabschieden, aber der Preis zählte und schließlich muss man ja nicht 24 Stunden in seiner Unterkunft rumhängen.
Vor der Altstadtbesichtigung ging es zum Büro der Fußballliga, wo ich schon erwartet wurde. Nach einer Stunde Suchen präsentierte mir der Mitarbeiter überglücklich den Spielplan der ersten Liga. Nu ja, den hatte ich schon selbst, also verdeutlichte ich ihm noch einmal, dass ich die Pokalansetzung benötige. Nun ging es schnell, er holte die tägliche Sportzeitung und übersetzte mir die Ansetzungen. Zudem erzählte er mir, dass das Nachholspiel Bolnisi vs. Rustawi nicht Mittwoch sondern Donnerstag stattfinden sollte. Dies glaubte ich zwar nicht wirklich, wurde aber im Hinterstübchen abgespeichert. Zwischenzeitlich erreichte mich eine SMS von LingenFeno, dass er die Grenze überquert hatte und kurz vor Batumi ist. So schlenderte ich gelassen durch die Altstadt, die ihr ganz eigenes Flair besitzt und nicht wirklich mit anderen Altstädten vergleichbar, aber auf jeden Fall empfehlenswert ist. Viele Kirchen, kleinere Parks, ein Eldorado für Liebhaber alter Balkone und Wohnungen in der Stadtmauer. Kurz vor dem Beginn der alltäglichen Hitzephase floh ich in einen Park. Täglich brachte die Sonne das Quecksilber so in Wallung, dass gegen 16 Uhr dem Betrachter eines Thermometers 40 Grad signalisiert wurde. Somit war ab 16 Uhr jede Fingerbewegung mit einem T-Shirt-Wechsel verbunden. LingenFeno ergatterte sogar noch eine Marschrutka nach Tbilisi und forderte größere Mengen Nahrungsmittel für seine Ankunft. Nachdem auch dies erledigt war ging es wieder zur Unterkunft, in der ich eine Amerikanerin traf, die von China aus den Europäischen Kontinent ansteuerte – allein. Mit ihr ging es zur besten Kneipe im Viertel, wo man fürs Bier ganz schön tief in die Tasche greifen musste – das Kleingeld war ziemlich versteckt. Ein Bier bekam man für 70 Cent und eine Flasche Rotwein für 3,50 Euro. Der Emslandhool teilte mir wenig später mit, dass seine Ankunft sich um vier Stunden verschieben würde. Da wir die Kneipe aber schon verlassen hatten machte ich mich frühzeitig auf den Weg zum Hauptbahnhof. Vielleicht nicht der sicherste Ort für Touristen, im Bahnhofshotel haben sich die Flüchtlinge aus Abchasien einquartiert, aber was soll’s. Immerhin fuhr alle zehn Minuten ein Streifenwagen hinter mir entlang und es war warm – welcher Bösewicht wird in einer so lauen Sommernacht schon ein Verbrechen begehen?
Gegen ein Uhr betrat LingenFeno hauptstädtischen Boden und es wurde schnell die Unterkunft aufgesucht. Bei einem Bierchen erzählte man sich das Neueste und Wichtigste. War für mich auch Neu, dass es noch eine andere und bessere Anfahrt zum Sportplatz Hundsangen der SG Hundsangen/Oberbach gibt, als die, die mir bekannte war... Man erzählte sich noch von großartigen Touren an vorherigen Wochenenden, als es zum Beispiel für mich mit SchwedtTorsten und AltenburgHarry zu einem Doppler in die Verbandsliga Saarland ging.