Hertha BSC oder 1. FC Union Berlin – Gibt es einen Machtwechsel in der Hauptstadt?

Auch alle, die Bundesliga Wetten abschließen, wunderten sich wie der einstige Underdog aus Köpenick den etablierten Hertha BSC zum Teil dominierte. Mittlerweile ist Union in den Matches der Favorit bei den Buchmachern, was sich in den Quoten zeigt. Die Hertha gilt mittlerweile eher als Abstiegskandidat, während Union die Liga aufmischt. Doch bei einem Derby kann immer alles passieren.

Hertha BSC vs. 1. FC Union – mehr als ein Fußballspiel

In den Spielen der beiden Stadtrivalen geht es nicht ausschließlich um das sportliche Übergewicht, viel mehr kämpfen die beiden Berliner Klubs auch um die eigens gelebte Identität. Beide Vereine stehen für völlig verschieden geprägte Fußball-Kulturen.


Das Berliner Olympiastadion.


Auf der einen Seite die Alte Dame: Gründungsmitglied und etablierter Verein in der Bundesliga, der vor allem durch den vor einiger Zeit gewonnenen Investoren Lars Windhorst finanziell ordentlich investieren kann. Auf der anderen Seit die Eisernen: ein in der DDR gegründeter Verein, welcher sich nach der politischen Wende durch viele Widrigkeiten kämpfen musste und dem nun endlich der Sprung in die Bundesliga gelang.


Beide Berliner Traditionsvereine starten also mit völlig entgegengesetzten Voraussetzungen und treffen nun seit einigen Jahren regelmäßig in der deutschen Bundesliga aufeinander.

Die Fußballstadt Berlin ist eine gespaltene Stadt

Neben Historie und Finanzkraft unterscheiden sich beide Vereine auch in Form der Verteilung der Fanunterstützung innerhalb Berlins voneinander. Berlin ist in diesem Zusammenhang bis heute nämlich klar geteilt: Im Osten dominieren die Union-Fans wohingegen die Anhänger der Hertha den Westen der Hauptstadt für sich beanspruchen. Aufgrund der jüngsten Erfolge der Unioner weicht dieses Bild allerdings langsam auf.


Die Heimstätten beider Vereine bestätigen diese geographische Kluft. Das Olympiastadion der Hertha liegt ganz in Westen der Stadt, im Bezirk Westend. Das Stadion an der Alten Försterei der Union dagegen befindet sich in Köpenick, im tiefsten Osten Berlins.

Aus Freundschaft wird Feindschaft – im Wandel der Zeit

Heute kaum vorstellbar: Zu Zeiten des Eisernen Vorhangs waren sich beide Hauptstadtklubs freundschaftlich verbunden. Sogar gemeinsame Hymnen wurden angestimmt: „Ha-Ho-He, es gibt nur zwei Mannschaften an der Spree – Union und Hertha BSC“.


Schon einige Zeit ist davon allerdings nichts mehr zu spüren. Gründe für das Auseinanderdriften der Sympathien sucht man in beiden Fanlagern vergeblich. Vielmehr eskaliert bei Partien untereinander die Rivalität zunehmend. Diskussionen sind da noch das freundlichste Stilmittel. Trikots, Schals und andere Fanartikel des Gegners werden verbrannt und selbst ein Platzsturm aufgebrachter Fans drohte in jüngster Vergangenheit.

Des einen Freud, des anderen Leid – die sportliche Verfassung der Vereine

Eskalierend wirkt dabei mit Sicherheit die Schnelligkeit in der sich, zunächst einmal rein sportlich, der nicht zu leugnende Machtwechsel vollzog. Nach dem Aufstieg der Eisernen im Jahr 2019 löste der Verein aus Köpenick die Hertha schnell als Nr.1 der Stadt ab.


So beendete der 1 FC Union die Berliner Stadtmeisterschaft im Jahr 2022 mit drei Siegen aus drei Spielen – eine Machtdemonstration. Freuten sich nach dem Aufstieg der Unionern noch viele Herthaner auf ein Aufeinandertreffen mit dem Emporkömmling vom Rande der Stadt, ist von der Euphorie heute wenig übriggeblieben.


Chancenlos und gedemütigt wird dem selbsternannten „Big City Club“ vom ungeliebten Stadtnachbarn gezeigt, wie ein Fußballklub Erfolge feiert. Kein Wunder, dass der Frust bei der blau-weißen Fangemeinschaft tief sitzt. Trotz über 300 Millionen Euro Investoren-Geld rennt man den eigenen Ansprüchen meilenweit hinterher. Vom mittelfristig ausgegebenen Ziel des europäischen Geschäfts ist der eigene Verein in etwa so weit entfernt, wie die Unionern vom befürchteten Abstieg.

Der Fall des „Big City Clubs”

Fußball wird am Ende auf dem Platz entschieden. Selten wurde diese altbekannte Phrase so deutlich wie nach dem Einstieg des Großinvestors Lars Windhorst bei der Hertha BSC. Neu formulierte Ziele, eine teure Imagekampagne, viele neue und zum Teil hochkarätige Spieler sowie eine Reihe von neubesetzten Funktionärsposten sollten die Alte Dame mit frischem Wind, oft in Form von frischem Geld, in glorreiche Zeiten führen.


Seit dem Einstieg 2019 der Investorengruppe „Tennor Group“ führte der Blick allerdings stetig nach unten statt wie erwartet nach oben. Fehlende Mentalität, Einsatz und Leidenschaft führten zum Vorwurf das Team sei eine überbezahlte Söldnertruppe ohne Moral. Trainerentlassungen am Fließband sowie jährliche Umbrüche in der Mannschaft bestätigen dieses Bild. Von der hochgehandelten Millionentruppe des Investors ist wenig übriggeblieben.

Union Berlin – ein Kult-Klub im Aufschwung

Im kompletten Gegensatz dazu steht die Entwicklung der Eisernen in den letzten Jahren. In Köpenick zahlt sich die harte, fleißige Arbeit der vergangenen Jahre aus: trotz geringer finanzieller Mittel wird eine schlagkräftige Mannschaft geformt, die als eingeschworene Truppe auftritt und durch den abgeklärten Trainer Urs Fischer ideal geleitet wird.


Urs Fischer erhält seit 2018 das Vertrauen der Verantwortlichen und zahlt es mit Erfolgen zurück. Auf die hohe Fußball-Kompetenz sowie die taktische Raffinesse des Trainers aus der Schweiz, blicken viele Vereine der Republik mit neidischen Augen.


Einst wahrgenommen als der kleine Bruder, der mal bei den Großen mitspielen darf, ist der 1. FC Union nun seit Jahren sportlich die Nr. 1 in Berlin.

Auf und neben dem Platz – ein Machtwechsel auf mehreren Ebenen

Nicht nur auf dem Platz bahnt sich eine Wachablösung im Berliner Fußball ab, auch in Bezug auf die Mitgliederzahlen sind die Köpenicker dabei den Stadtrivalen nachhaltig in den Schatten zu stellen.


Entgegen der zuletzt eindeutigen Ergebnisse auf dem Rasen, geht es hier allerdings bisher denkbar knapp zu. Nur wenige hundert Mitglieder trennen die beiden Vereine in totalen Mitgliederzahlen (1. FC Union: 42.491 / Hertha BSC: 41.200, Stand: Juni 2022).


Auszumachen ist demnach nicht ausschließlich eine sportliche Schieflage der Hertha, vielmehr ist auch ein Imageproblem erkennbar. Wo Union als hip, angesagt und modern gilt, zeichnet sich bei der Hertha das Bild der grauen Maus immer weiter ab.


Der nun größte Sportverein Berlins muss allerdings nun aufpassen durch die rasante Entwicklung nicht einen Teil seines Kultstatus zu verlieren. Die Rolle als Underdog gegen den Übermächtigen Rivalen in der Stadt geht nach und nach verloren. In und um den Verein nehmen viele die zunehmende Kommerzialisierung als große Bedrohung wahr. Die Aufgabe wird sein, weiter zu wachsen ohne dabei das eigene Gesicht zu verlieren.


In der kommenden Spielzeit erwartet die Bundesliga dann Berlin-Derbys mit umgekehrten Vorzeichen: Aufgrund der Erfolge der vergangenen Jahre wird der 1. FC Union wohl erstmals als Favorit in die Spiele gegen die Mannschaft von Hertha BSC gehen.