Spielbericht mal anders aus der Süddeutschen Zeitung. :biggrin:
Wo im Fußball ganz unten ist: Hannover 96 gewinnt ein miserables Spiel beim TSV 1860 München
München - Der Fußball vollbringt bisweilen Unglaubliches. Er versetzt vernunftbegabte Menschen in Raserei, er verwandelt Betonschüsseln in Orte eines gewaltigen Karnevals, in so genannte Hexenkessel, in welchen Zehntausende beseelt den Männern auf dem Rasen zusehen, wie sie den Ball in einer Weise passen und behandeln, dass das Spiel über sich hinauszeigt, manchmal sogar aufs Glück. Der Weg in diese Höhen ist weit, und der Preis für die schiere Existenz dieses fantastischen Fußballs ist sein Gegenteil. Denn die Summe aller Fußballspiele ergibt einen durchschnittlichen Kick, deshalb muss es für jedes Spiel von ganz oben eines von ganz unten geben. 26 700 Menschen hatten am Samstag das Pech, dabei zu sein bei einem Spiel von unten, als 1860 München im Olympiastadion gegen Hannover 96 0:2 (0:0) unterlag.
Es stehen im Floskelreich des Fußballs viele Wendungen bereit, um ein solches Spiel zu beschreiben, gern genommen etwa der "Grottenkick" (eng verwandt: das "unterirdische Spiel"). Der schlichte "Anti-Fußball" steigt ab bis zum "Gurkenspiel", von wo es nicht mehr weit ist bis zum "Altherrenfußball". Dieser erreicht seine vollkommene Form, wenn abfällig von einem "Spiel der Uwe-Seeler-Traditionself" die Rede ist. All dies mag Hannovers Trainer Ewald Lienen gemeint haben, als er sagte: "Das sah ja nicht sehr attraktiv aus, wie der Ball so über mich hinweg geflogen ist und die Mittelfeldspieler fast eine Halsentzündung bekommen hätten."
Im britischen Fußball nennt man diese Spielweise Kick&Rush, wobei auf der Insel dem Treten des Balles (kick) normalerweise ein überaus eifriges Rennen (rush) folgt. Am Samstag beschränkten sich beide Teams in München aufs Treten des Balles, das eifrige Rennen ließen sie - vielleicht aus taktischen Gründen oder einfach so - an diesem lauen Frühlingsnachmittag weg. Nichts deutete darauf hin, dass irgendwann ein Tor fallen könnte. Dann aber legte sich in der 71. Minute der Hannoveraner Markus Schuler den Ball zur Ecke bereit. Er schickte die Kugel auf eine Flugbahn in den Strafraum, an deren Ende Dariusz Zuraw einsam stand und den Ball mit dem Kopf ins Tor beförderte. Die Abwehr der Sechziger war lächerlich indisponiert. Torben Hoffmann stand Zuraw noch am nächsten, zugeteilt war jedoch Stürmer Paul Agostino, der sagte: "Das war mein Fehler. Ich wurde geblockt, aber trotzdem: Das geht auf meine Kappe." Die Aussage ist so großmütig wie übertrieben, denn zum einen wurde er von einem eigenen Mitspieler geblockt, zum anderen werden derart freistehende Gegner in einer funktionierenden Abwehr übernommen.
Drei Minuten später lief Thomas Brdaric dem Münchner Abwehrspieler Marco Kurz davon, locker wie ein Porsche einen Polo abhängt, und zur Krönung des kurzen Sprints schob er den Ball aus 14 Metern Entfernung zum 2:0 ins Netz (74.). Damit wäre die Geschichte des Spiels erzählt, wenn nicht Brdaric später noch für einen der besten Witze der Saison gesorgt hätte. Kurz vor Schluss der Begegnung hatte Rodrigo Costa den Hannoveraner am Hals berührt, es mag der Versuch absichtlichen Nachschlagens gewesen sein. Brdaric sank zu Boden, als sei er von zwei Blitzen getroffen worden, habe zudem einen Hammerschlag auf den Kopf bekommen und sei mit der Drohung konfrontiert worden, künftig täglich sein eigenes Lied ("Die wilde 13") hören zu müssen. Bei anderen Spielern hätten die Zuschauer in diesem Moment ans Schlimmste denken müssen, aber es war ja Brdaric, der wenige Sekunden später wieder topfit auf den Rasen stand, und der nach der Partie verkündete: "Ich bin kein Spieler, der sich theatralisch fallen lässt." Wenige Profis in der Bundesliga haben einen derart feinen Sinn fürs Groteske. Der Satz "Russland ist ein Zwergenstaat, der hervorragenden Käse produziert" ist nur halb so absurd wie Brdaric' Bemerkung. Er legte noch nach: "Ich gehe ja nicht einfach zu Boden, weil mich eine Fliege gestochen hat."
An diesem Tag, an dem die Sätze so viel schöner waren als das Spiel, fügte 1860-Trainer Falko Götz noch an: "Alle haben für uns gespielt, nur wir haben nicht für uns gespielt." Was den Sechzigern vor allem fehlt zum Spielen ist ein Spielmacher. Niemand in der Mannschaft ist in der Lage, eine Partie zu gestalten, weshalb der TSV sich auswärts leichter tut als daheim. Von den letzten acht Heimspielen gewannen die Münchner eines. "Unser Problem ist die Kreativität", sagte Götz. Er könnte auch sagen: "Unser Problem ist der Fußball", wiewohl Hannovers Sportdirektor Ricardo Moar wusste, dass es darum längst nicht mehr geht: "Fußball ist zur Zeit sekundär, es geht nur ums Überleben." Der große und schöne Fußball wird auch solche Sätze überleben. Und vor allen Dingen solche Spiele.