Bericht aus Seelow:
Wolfgang Heinze
- Vorsitzender des Kreistages Märkisch-Oderland-
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Mitstreiter,
allen ein großes Dankeschön, für Ihre/Eure Kraft und Initiativen, den Tag der Demokraten in Seelow aktiv mitzugestalten und den alten und neuen Nazis ein deutliches Signal entgegenzusetzen. Das verdient höchste Anerkennung.
Danke,
dem THW Seelow, der Volkssolidarität Seelow, dem DRK MOL-Ost e.V. und seiner Wasserwacht, SV Victoria Seelow
Ich schätze es waren 80-100 Victorianer auf den Füßen. Viele die was bewegen wollten, sicher auch Einige, die aus Sensationslust da waren, in der Hoffnung hier passiert etwas.(Rechte gegen Linke)
Klare Mehrheit für die Demokraten
Von Silke Müller
Keine halbe Stunde brauchte es, bis nach dem Ende des Neonazi-Aufmarsches in Seelow der Schmutz - vor allem zahllose flugblattähnliche Papierstreifen - vom Puschkinplatz wieder weggefegt war. Rund 50 Gegendemonstranten griffen unter dem Beifall von mehr als Hundert weiteren zum Besen. Der Seelower Posaunenchor spielte dazu.
Zuvor hatten in Seelow ab dem Mittag Bürger der Stadt, des Landkreises und auch aus anderen Regionen Brandenburgs sowie aus Berlin gegen den Aufmarsch protestiert und sich teilweise den Neonazis entgegen gestellt. Die Veranstalter schätzten, dass mindestens doppelt so viele Gegendemonstranten wie Rechtsextremisten den nach offiziellen Angaben etwa 1000 neuen und alten Nazis deutlich machten, dass sie in Seelow unerwünscht sind. Nur am Rande gab es dabei kleinere Zwischenfälle mit vereinzelten Steinewerfern, die von Polizeibeamten u.a. aus Bayern, Hessen und Brandenburg schnell und sehr besonnen unter Kontrolle gebracht wurden. Die Mehrzahl der Gegendemonstranten protestierte friedlich, aber deutlich. So stellten sich u.a. Berliner Antifa-Mitstreiter gemeinsam mit Jugendlichen, Erwachsenen und Rentnern aus Märkisch-Oderland einer noch nach Beginn des Aufmarsches vom Bahnhof kommenden Gruppe neuer und alter Nazis auf der Küstriner Straße in Höhe des Rathauses entgegen. Diese gelangten so nur über die wenig Beachtung findende schmale Mittelstraße zum Puschkinplatz. Dieser wurde von Gegenveranstaltungen der Berliner Antifa in der Frankfurter Straße/Ecke Breite Straße und vom Seelower Tag der Demokraten am Henwi-Kaufhaus lautstark mit Musik und Wortbeiträgen beschallt. Die rechtsextremen Demonstranten zogen sich in den hinteren Bereich des Marktplatzes zurück.
Auf der Bühne des Tages der Demokraten gestalten Bands aus dem Raum Seelow und Strausberg, eine Trommelgruppe aus Rüdersdorf, Solisten und viele Redner das Programm. Superintendent Roland Kühne erinnerte daran, dass während der Nazidiktatur schon einmal Pfarrer der Region gegen Nazigewalt demonstriert haben. SPD-Landtagsfraktionschef Günter Baaske kam direkt vom Tag der Demokraten in Halbe nach Seelow, dankte allen, die sich hier gegen den Aufmarsch stellten. Mehrfach wurde von der Bühne der Demokraten gefordert, in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland endlich eine antifaschistischen Klausel aufzunehmen. Nur so sei es möglich, die politische Auseinandersetzung mit der Ideologie der Rechtsextremen zu führen und ihnen zugleich Grenzen ihres Tuns innerhalb einer Demokratie aufzuzeigen.
Viel zu lange habe man die Neonazis einfach machen lassen, sagte ein 75-Jähriger aus Seelow, der zum Tag der Demokraten gekommen war. Das Wegschauen bringe nichts. Jobs und eine Zukunft vor allem für junge Menschen seien nötig, dann wüssten sicher viele, die auf dem Puschkinplatz aufmarschiert seien, wie man sein Leben auch anders gestalten könne, waren sich Ines Weissert aus Kienitz und Marina Zierke aus Letschin einig.
Frage des Tages
Was halten Sie von den öffentlichen Protesten gegen Neonazis?
Die Gesellschaft darf Aufmärsche der Rechten nicht hinnehmen.
61 Jahre später
VON JÖRG SCHINDLER (SEELOW)
Frankfurter Rundschau
Demo gegen Rechtsextreme (dpa)
Heinz Schmidt wurde am 25.12.1927 geboren. Günter Westphal am 11.8.1928. Alfred Muschka am 20.9.1927. Karl Heinz Steding am 7.9.1927. K. Nonnenmacher am 21.4.1927. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie noch keine 18 Jahre alt waren, als sie am 23. März 1945 in einem sinnlosen Kampf starben.
Am 18. November 2006 steht die Sonne tief im Westen, als ein Tross Fahnen schwenkender Männer vor der Friedhofsmauer von Seelow Haltung annimmt. "Fahnen ab!", bellt ein grauer Trenchcoat-Träger durch die mobilen Lautsprecher - und dann: "Kränze niederlegen!". Schon lösen sich aus dem Pulk Zweiergruppen und drapieren ihre Gestecke so, dass die schwarzen Schleifen gut lesbar sind. "Treue um Treue" steht darauf oder "Sie starben für uns, weil sie an Deutschland geglaubt". Silbern prangt auf einem Kranz schlicht "NPD".
Dann stellen sich alle wieder Schulter an Schulter und lauschen dem Mann mit dem Mikrophon. Zwei Kahlköpfige in der vorderen Reihe filmen das Ganze mit ausgestrecktem Arm. Im Gegenlicht wirkt es, als zeigten sie den "Hitlergruß". "Ich rufe die Toten der Wehrmacht!", brüllt der Einpeitscher. Alle antworten: "Hier!". "Ich rufe die Toten der Waffen-SS!". Und alle, noch lauter: "Hier!" Es ist der gespenstische Höhepunkt eines Tages, von dem man in Seelow 61 Jahre lang dachte, man müsste ihn nie wieder erleben.
Fünf Stunden zuvor hatte Pfarrer Roland Kühne im klassizistischen Kulturhaus der Kleinstadt einen letzten Versuch unternommen, zum Volkstrauertag "verblendete junge Menschen" zum Nachdenken zu bringen. 55 Millionen Menschen, so der Gottesmann, seien im Zweiten Weltkrieg gestorben. "17 in jeder Minute." Kein einzelner davon tauge zum "Kriegshelden", so Kühne. "Wann werden wir es lernen?" Die vorläufige Antwort nach diesem Wochenende: manche offenkundig nie.
Seit vier Jahren nun zelebrieren Neonazis aus dem In- und Ausland regelmäßig ein "Heldengedenken" auf Brandenburger Boden. Diesmal jedoch hatten sie vor Gericht eine empfindliche Niederlage hinnehmen müssen: Den Waldfriedhof von Halbe, eine der größten Kriegsgräberstätten Deutschlands, hätten die Ewiggestrigen am Samstag nicht betreten dürfen. Um die große NS-Show nicht abblasen zu müssen, leitete die Szenegröße Christian Worch seine Gesinnungsgenossen deswegen kurzerhand ins 100 Kilometer entfernte Seelow um. Auch dieser Ort eignet sich trefflich für braune Blut-und-Boden-Mystik. Zigtausende deutsche und russische Soldaten waren auf den Seelower Höhen kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs gestorben. Auf zwei Friedhöfen liegen sie begraben - die Deutschen im Westen, die Russen im Osten. Letztere interessierten die Neonazis nicht.
Zeichen gegen Rechts (dpa)
Was die Seelower von der NS-Verherrlichung halten, darüber herrschte an diesem Wochenende kein Zweifel. "Nazi-Frei" hatten sie mit roter Signalfarbe auf ihr Ortsschild gemalt. Bettlaken und Transparente hingen aus Fenstern. "Habt ihr vergessen, wie es war?" stand darauf. "Mehr Bildung für Nazis" und "Unser Kreuz braucht keine Haken". Die Stadtverwaltung hatte den Rechtsextremisten zwar den Marktplatz überlassen müssen, Strom und Wasser jedoch gesperrt. Von zwei Seiten wurden die Neonazis unter Druck gesetzt: Auf dem Puschkinplatz, keine 100 Meter vom Versammlungsort der Braunen entfernt, demonstrierte ein antifaschistisches Bündnis mit Punkmusik. Gegenüber, ebenfalls in Sichtweite, nahmen Seelower Bürger mit Farbtöpfen den Kampf auf und ließen Kinder "bunte Bilder gegen braune Gedanken" malen. Dort war es der Landtagsabgeordnete Wolfgang Heinze (Linkspartei), der vor rund 1000 Bürgern aussprach, was alle dachten: "Seelow braucht nicht den Ruf eines Nazi-Wallfahrtsorts."
Halbe auch nicht: In dem südbrandenburgischen Ort waren es sogar 8000 Menschen, die der Einladung eines parteiübergreifenden Bündnisses zu einem "Tag der Demokraten" folgten. Bis zuletzt hatte man nämlich nicht ausschließen können, dass die Rechtsextremisten womöglich doch nach Halbe kommen würden. Sie taten es nicht. Sie konzentrierten sich lieber auf ihren großen Auftritt in Seelow. Und weder die Bürger noch die Polizei, die sämtliche Anfahrtswege kontrollierte und mit Hubschraubern über der Stadt kreiste, konnte diesen verhindern.
Und so sammelten sich neben der kreidebleichen Kirche von Seelow nach und nach rund 1000 völkisch Gesinnte, die einer akribisch ausgetüftelten Regie folgten. Die "eigenen Ordnungskräfte", so ließ der wie üblich unter Strom stehende Worch warnen, würden jeden Verstoß gegen die hausgemachten Regeln rigoros ahnden. So gelte etwa Rauch- und Alkoholverbot, Vertreter der "Systemmedien" seien "als nicht-existent zu betrachten". Die Kleidung habe angemessen zu sein, so die Veranstalter: "Wir wollen nicht, dass zu einem Heldengedenken unsere Kameraden aussehen wie die Leute von der Müllabfuhr." Wie Hitlerjungen und wie der "Führer" persönlich durften dagegen einige aussehen. Das hatte niemand verboten.
Um die Inszenierung perfekt zu machen, hatte der 50-jährige Worch einen Transporter als mobile Bühne auf den Platz karren lassen. Zudem mehrere Fackeln und Fahnenmasten, an denen unter anderem das schwarz-weiße Banner des "Freundeskreises Halbe" und die NPD-Flagge wehten. Ohnehin war die NPD eifrig darum bemüht, nach dem Bundesparteitag vor einer Woche in Berlin auch dieses "Heldengedenken" für ihre Zwecke zu nutzen. Mehrere Führungspersonen zeigten sich in vorderster Reihe, darunter Holger Apfel und Udo Pasteurs, die NPD-Fraktionschefs in den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Als Redner tat sich Birger Lüssow hervor, auch er Abgeordneter im Nordosten. Seine hingestammelten Sätze machten jedoch deutlich: Nicht jeder Neonazi eignet sich zum Demagogen.
Friedhof war gesperrt
Die Reden aber, sie waren ohnehin nur Vorgeplänkel zum braunen Festakt. Es war gegen 15 Uhr, als Christian Worch plötzlich eilig zum Abmarsch blies. Die Polizei hatte signalisiert, dass sie die Gegendemonstranten nicht viel länger werde auf Distanz halten können. Also schnappten sich die Neonazis Kränze und Fahnen und trotteten schweigend hinter der hoch gerüsteten Staatsmacht durch Seelow. Mitten drin im Pulk: ein Auto, aus dessen Lautsprechern "Die Moldau" von Smetana drang. Der war zwar Tscheche, ist nach Lesart der Extremisten aber als "Reichsdeutscher" zu betrachten.
Den Friedhof immerhin durften die Neonazis auch in Seelow nicht betreten. Also postierten sie sich, so militärisch es ging, vor dessen Mauer, hörten ergriffen eine Original-Radioansprache vom Mai 1945, in der von "heldenhaftem Ringen" die Rede war, und sangen gemeinsam das "Lied vom guten Kameraden". Christian Worch sah es mit Zufriedenheit. Sein Plan war aufgegangen. 1000 "Kameraden" hatten gespurt. Der älteste von ihnen war im übrigen 85 Jahre alt. Der jüngste elf. Da kommt wohl noch was nach.