An alle, die jetzt nach Wochen Emigration aus ihren Löchern
kommen und alles mies finden: Ihr habt es nicht kapiert. Ihr werdet es nie
kapieren. Und ihr müsst es auch nicht kapieren. Denn es geht auch ohne
euch! Der Fußball braucht euch nicht! Die Fähnchenindustrie braucht euch
möglichwerweise, die Hersteller von Party-Accessoires und Softdrinks
vielleicht. Aber der Fußball gewiss nicht !!!
Ein paar Worte zum Spiel gegen Italien:
Große Trainer erkennt man daran, dass sie Überraschendes wagen.
Überraschendes, das gelingt. Ich leiste hiermit öffentlich Abbitte bei Herrn
Lippi, den ich nach seinem Äußeren stets für den Oberinnungsmeister eines
italienischen Handwerksverbands zu halten geneigt war, und verneige mich vor
seinem Schachzug, mit einer offensiven, Pressing spielenden Mannschaft in
dieses Spiel zu gehen. Sogar Bela Rethy ist es aufgefallen, dass Klinsmann
nach 30 Minuten verzweifelt auf die Uhr schaute, um seine Jungs in der
Kabine neu einstellen zu können.
Nach der Pause mögen die Italiener für manchen noch gefährlich ausgesehen
haben, aber es kamen nur noch hohe Bälle blind nach vorne. Zufallsprodukte.
Und die deutsche Mannschaft spielte endlich One-touch-Fußball. Nicht
perfekt, nicht konstant, leider nur bis zur Strafraumgrenze. Aber weitaus
besser als alles Grottengekicke (abgesehen vom Finale in Yokohama) der
glorreichen WM 2002. Nur: wer den Sack nicht zumacht, wird im Fußball eben
regelmäßig bestraft.
Wieder die Trainer:
Um die 73-te Minute hat Klinsmann zum ersten Mal während dieser WM Pech mit
einer Einwechslung. Er nimmt Borowski, der effektiv gespielt hat, aber platt
ist, raus und bringt Schweinsteiger. Ich mag diesen unbekümmerten
bayerischen Rotzlöffel sehr, aber diesmal war er leider ein glatter Ausfall.
Du kannst eben nicht immer Joker ziehen, auch wenn du Klinsmann heißt.
Dennoch, die zweite Halbzeit geht auf meinem Punktzettel knapp an die
Deutschen.
Und jetzt Lippi, das Schlitzohr:
Während die Deutschen zur Verlängerung auf den Platz laufen, taucht
plötzlich wie aus dem Nichts Iaquinta auf. Eine Einwechslung, die für einen
Moment große Unruhe in der deutschen Hintermannschaft schafft und sitzt wie
ein Hammerschlag. Genau genommen zwei Hammerschläge: Gilardino an den
Pfosten, Zambrotta an die Latte. Ach, wenn es schon sein musste - hätte doch
einer von beiden getroffen. Dann wäre wenigstens noch eine halbe Stunde Zeit
gewesen, ins Spiel zurückzukommen! Aber Lippi hat noch ein Ass im Ärmel.
104-te Minute, Del Piero für Perrotta. Wieder Zuordnungsprobleme bei den
Deutschen, und das in einer Phase, in der beide Mannschaften körperlich nur
noch aus dem Unterbewussten agieren. Deutschland angeknockt, Italien hat uns
in den Seilen, trotzdem große Gegenwehr, Podolski in der 115-ten, Buffon
großartig.
Den Rest der Geschichte kennen wir. Aber man muss wohl mit dem
Fußballverstand eines Joseph S. Blatter geschlagen sein, wenn man dieses
gesamte Spiel mit seinen taktischen Feinheiten nicht als eines der besten
des Turniers betrachtet.
Während der EM 2004 verdiente sich Tschechiens Trainer Karel Bruckner als
Taktikfuchs den Beinamen Kleki-Petra, Weißer Vater. Nach den (gerade auch
taktisch) enttäuschenden Auftritten der Tschechen bei dieser Endrunde stelle
ich den Antrag, diesen Ehrentitel nunmehr an Marcello Lippi, Italien zu
vergeben.